"Es braucht Billionen für nachhaltige Entwicklung weltweit"

Dürre in Somaliland. Bild: Oxfam East Africa / CC-BY-2.0

Uwe Kekeritz, entwicklungspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, über die Hungersnot in Ostafrika und die Fehler der EU-Staaten

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Herr Kekeritz, allein in Somalia benötigen laut UN drei Millionen Menschen dringend Lebensmittel, Zehntausende sind akut vom Hungertod bedroht. Haben die Industrienationen in den vergangenen Jahren versagt?

Uwe Kekeritz: Das kann man so sagen. Die Hungerkrise am Horn von Afrika ist ja nicht von heute auf morgen gekommen, sondern kündigt sich bereits seit Langem an. Die Auswirkungen des Klimawandels wurden durch den besonders starken El Niño 2015/2016 verstärkt. Aber noch kann die internationale Staatengemeinschaft handeln, um wenigstens das schlimmste Leid zu lindern.

Bei der letzten großen Hungersnot in Somalia 2011 starben eine Viertelmillion Menschen. Wie schätzen Sie die Lage heute ein?

Uwe Kekeritz: Die Zustände sind katastrophal. Inzwischen sind zigtausende Menschen auf der Flucht. Sie verlassen ihre ländliche Umgebung und versuchen, in die Städte zu gelangen. Die Tiere verenden, weil sie nichts zu fressen, vor allem aber nichts zu saufen haben. Besonders schockierend: Schon jetzt leiden in Somalia über 360.000 Kinder unter Mangelernährung, rund 70.000 davon schweben in Lebensgefahr. Da stellt sich die Frage: Wo bleiben die Taten all jener Regierungen, die seit Jahren große Worte schwingen?

Die Hilfsorganisationen der UN brauchen nach eigenen Angaben bis Ende des Monats mindestens 4,4 Milliarden US-Dollar, um die Menschen in Ostafrika mit dem Nötigsten zu versorgen. Bis Anfang dieses Monats hätten sie allerdings noch nicht einmal 100 Millionen erhalten. Überrascht Sie das?

Uwe Kekeritz: Leider nein. Viele UN-Organisationen, wie zum Beispiel das Welternährungsprogramm oder die Weltgesundheitsorganisation, sind chronisch unterfinanziert. Im Fall von Ostafrika kommt sicherlich hinzu, dass viele Staaten zweckgebundene Beiträge leisten. Zudem ist die Bereitschaft der internationalen Staatengemeinschaft, die humanitären Bedarfe zu decken, unterschiedlich groß. Bei der Syriengeberkonferenz im vergangenen Jahr leistete die Bundesregierung erfreulicherweise einen großen Beitrag. Andere Krisen dieser Welt bekommen leider weniger Aufmerksamkeit und weniger Geld, um die Not zu lindern.

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) forderte kürzlich einen globalen Krisenfonds in Höhe von 10 Milliarden US-Dollar. Er sagte: "Es hilft nichts, wenn wir immer nur reagieren. Wenn die Hilfszahlungen kommen, ist es oft schon zu spät." Geben Sie ihm recht?

Uwe Kekeritz: Mit dieser Aussage hat der Minister grundsätzlich recht. Auf akute Krisen zu reagieren, ist zudem teurer als rechtzeitig Vorbereitungen zu treffen. Allerdings ist Herr Müller ein Meister darin, öffentlichkeitswirksam Milliarden-Fonds zu fordern. Er ist Teil der Regierung. Er müsste handeln statt es bei Forderungen zu belassen.

"Wir produzieren bereits jetzt genug Nahrungsmittel, um alle Menschen zu ernähren"

Was stimmt Sie zuversichtlich, dass die Weltgemeinschaft die Hungersnot langfristig in den Griff bekommt?

Uwe Kekeritz: Wir produzieren bereits jetzt genug Nahrungsmittel, um alle Menschen zu ernähren. Hungersnöte sind auch menschengemacht und ein unnötiges Leid. Aber es gibt Entwicklungen, die Mut machen. Allerdings sind jene nicht auf EU-, sondern eher auf UN-Ebene angesiedelt.

Zum Beispiel?

Uwe Kekeritz: Die globale Nachhaltigkeitsagenda mit ihren 17 Zielen, die 2015 von193 Staaten in New York verabschiedet wurde. Darin ist beschrieben, was zu tun ist, um Hunger und Armut auf der Welt zu bekämpfen. Die Basis ist gelegt worden, nun müssen auch die europäischen Regierungen liefern. Leider vermisse ich bei vielen von ihnen das Bemühen, die Vorhaben effizient und zügig umzusetzen. Da hapert es an vielen Stellen noch gewaltig.

Ist das angesichts der Tatsache, dass die Europäische Union in einer Krise steckt und viele Regierungen innenpolitisch gewaltig unter Druck stehen, nicht erwartbar gewesen?

Uwe Kekeritz: Es ist bedauerlich und tragisch zugleich, dass einige europäische Länder ihrer entwicklungspolitischen Verantwortung nicht gerecht werden. Deren Argument, sie seien nicht mehr in der Lage, das Vereinbarte zu leisten, halte ich für grundfalsch. Europa, ein Kontinent, der für Frieden, Demokratie und Wohlstand steht, sollte stets mittel- und langfristig denken. Wenn wir wollen, dass die Menschen in Ostafrika eine Perspektive haben, dann müssen wir auch bereit sein, entsprechende Mittel zu Verfügung zu stellen.

EU-Entwicklungskommissar Neven Mimica fordert indes den großen Wurf, er sagte vor Kurzem im Tagesspiegel, die weltweite offizielle Entwicklungshilfe erreiche im Jahr um die 250 bis 300 Milliarden Dollar, das seien lediglich zehn bis 15 Prozent der Entwicklungserfordernisse. Sein Appell: "Wir müssen von Milliarden zu Billionen kommen." Halten Sie das für realistisch?

Uwe Kekeritz: Herr Mimica sprach dabei von den SDGs (Ziele für nachhaltige Entwicklung, Anm. d. Red.). Das Neue an den SDGs ist, dass sie alle Länder in die Pflicht nehmen. Sie sind keine Agenda, die sich allein an Entwicklungsländer richtet, wie es die Millenniumentwicklungsziele vielleicht noch taten.

Noch einmal: Halten Sie das für realistisch?

Uwe Kekeritz: Das mag nach Unsummen klingen, aber die Weltwirtschaftsleistung betrug im Jahr 2015 laut Weltbank rund 74 Billionen US-Dollar. Insofern stimmt die Aussage: Es braucht Billionen für nachhaltige Entwicklung weltweit. Dabei darf es aber nicht allein um Entwicklungsgelder gehen. Das Versprechen der Industrieländer, 0,7 Prozent ihres Bruttonationaleinkommens für Entwicklungszusammenarbeit auszugeben, ist fast 50 Jahre alt. Die Bundesregierung löst es nach wie vor nicht ein (2014: 0,42%, 2015: 0,52% (vorläufig) , d. Red.)