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Es gibt kein grünes Leben im Falschen

Tomasz Konicz

Bild: Bündnis 90/Die Grünen Nordrhein-Westfalen/CC BY-SA 2.0

Den Grünen fällt in der Klimakrise eine zentrale ideologische Funktion zu. Kommentar

Können die Grünen Kanzler? Diese Frage, aufgeworfen etwa von Spiegel-Online [1], scheint angesichts der Ergebnisse der jüngsten Landtagswahlen durchaus berechtigt. Bündnis 90/Die Grünen konnte in beiden Ländern zulegen, die Partei gilt als der klare Wahlgewinner der Urnengänge in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg.

Abseits aller regionalen Phänomene, wie einem konservativ auftretenden Winfried Kretschmann [2], der auch CDU-Wähler anspricht, bildet die manifeste Klimakrise den wichtigsten Faktor, der zum Aufstieg der Grünen beiträgt. Die Partei, die ihre Ursprünge in der radikalen Ökobewegung der 1970er und 1980er Jahre hat, gilt als die politische Kraft, die über die höchsten Kompetenzen in der Klimapolitik [3] verfügt.

Mit Ausnahme der AfD ist inzwischen allen relevanten gesellschaftlichen Gruppen und Akteuren zumindest klar, dass die Klimakrise real ist und dass umfassende Anpassungsleistungen der kapitalistischen Gesellschaften erforderlich sind. Mehr noch: Die Ahnung, dass es nach Jahrzehnten verfehlter kapitalistischer Klimapolitik so nicht weitergehen kann, hat sich längst zu einer grundlegenden Skepsis [4] gegenüber dem kapitalistischen System verdichtet.

Seit den 1980er Jahren des 20. Jahrhunderts [5] waren Ursachen und Folgen des Klimawandels den maßgeblichen Konzernen der Energiebranche bekannt. Seit den 1990er Jahren investierte die Energiebranche Millionen, um Klimaleugner zu finanzieren [6] und nennenswerte Maßnahmen der Politik zu torpedieren. Jahrzehntelang verhinderte etwa die Bundesregierung, geschmiert von der deutschen Autoindustrie [7], eine klimapolitische Wende in Europa.

Das Ergebnis seiner solchen "Klimapolitik" der kapitalistischen Funktionseliten aus Politik und Wirtschaft besteht folglich in einem gigantischen Anstieg der Emissionen von Treibhausgasen in den vergangenen Jahrzehnten. Der Wachstumszwang des Kapitals [8] triumphierte über alle klimapolitischen Sonntagsreden, die auf den Klimagipfeln der vergangenen Dekaden gehalten wurden.

Die grüne Ideologie des Ökokapitalismus

Eben hier, an dieser Tatsache [9] beständig steigender CO2-Emissionen in der globalisierten kapitalistischen "One World", setzt die ökokapitalistische Ideologie der Grünen an. Die in der Bevölkerung an Breite gewinnende Einsicht, dass ein grundlegender Wandel, eine tiefgreifende soziale Transformation notwendig seien, um den Folgen der Klimakrise effektiv begegnen zu können, wandeln die Grünen in ein Bekenntnis zu einem grünen Kapitalismus um.

Eine neue Ökoindustrie, neue Märkte, die der Wirtschaft neue Wachstumsschübe verschaffen, würden die Klimakrise überwinden, so das zentrale ökonomische Kalkül der intendierten ökologischen Wende, die eigentlich alles beim Alten lassen will.

Die Ökobranche würde demnach - ähnlich dem Autobau während des Wirtschaftswunders - als ein neuer ökonomischer Leitsektor fungieren, der gleichzeitig wirtschaftliche Stagnation und Klimakrise überwinden könnte. Es braucht nur noch massiver staatlicher Anschubfinanzierung, um dem neuen, grünen "Akkumulationsregime" zum Durchbruch zu verhelfen, so die Logik dieses Green New Deals.

Der Noske-Fan [10] Robert Habeck hat sein Bekenntnis zum Kapitalismus Anfang März gegenüber dem Institut der deutschen Wirtschaft folgendermaßen zum Ausdruck [11] gebracht:

Der Kapitalismus hat uns unfassbare Erfolge beschert. Auf der Welt lebt es sich insgesamt gesehen heute besser und sicherer, reicher und satter, gesünder und länger als es jemals für eine Menschheitsgeneration auf diesem Planeten galt.

Robert Habeck

Eine Lösung für die durch den Wachstumszwang des Kapitals ausgelöste Klimakrise kann folglich für die Grünen nur in mehr Kapitalismus bestehen. Alle klimapolitischen Maßnahmen der Partei werden den entsprechenden Systemzwängen gehorchen, die in ökonomischer Hinsicht auf uferlose Kapitalverwertung, auf eben jenes Wirtschaftswachstum abzielen, das die Ursache der Treibhausgasemissionen und der Klimakrise bildet.

Das Kapital als das Geld, das durch Warenproduktion zu mehr Geld werden muss, ist den sozialen und ökologischen Folgen seiner Verwertungsbewegung gegenüber blind, es kennt nur eine Antwort: mehr Wachstum. Diesen weltzerstörerischen Automatismus des Kapitals kleiden die Grünen in Ideologie, die es ermöglichen soll, trotz manifester Klimakrise an dem Gesellschaftssystem festzuhalten, das eben diese Krise maßgeblich verursacht.

Die ökologische Wende, bereits unter Rot-Grün im ersten Anlauf spektakulär gescheitert (in memoriam Solarworld [12]), soll durch mehr Wachstum, durch neue Märkte, durch mehr Warenproduktion überwunden werden. Dem spätkapitalistischen Menschen, der nur über einen Hammer verfügt, wird alles zum Nagel.

Spätkapitalistische Realitäten

Wie hoffnungslos [13] dieses Unterfangen eines ökologischen kapitalistischen Wachstums ist, macht gerade der derzeit massiv forcierte Ausbau der Elektromobilität klar, der mit der Verbrennung fossiler Energieträger und den korrespondierenden Emissionen von Treibhausgasen erkauft wird - und dessen Apologeten jegliche Kritik an diesem Unterfangen am liebsten abwürgen würden.

Mag es auch rein hypothetisch möglich sein, die energieintensive Produktion eines E-Autos von der Rohstoffförderung bis zur Montage klimaneutral zu gestalten, so sieht der Fabrikalltag des real existierenden Spätkapitalismus ganz anders aus.

Als einer der wichtigsten Standorte [14] der Batteriezellenproduktion in Europa fungiert das Kohleland Polen, wo eine der größten Akkufabriken [15] Europas aufgebaut wurde - auch gerade, angesichts des Energiehungers der Branche, wegen der billigen Energiepreise. Auch deutsche Hersteller werden von den Zellenproduzenten beliefert. Was bedeutet dies für die Ökobilanz des zweitgrößten europäischen Standorts der Ökobranche?

Laut dem wissenschaftlichen Dienst des Bundestages [16]1 [17] fallen pro kWh an Batteriekapazität bei der Produktion in Polen rund 169 Kilo CO2 an. Dies ist mehr als in den USA, wo es im Schnitt 112 Kilo sind, und China, wo 159 Kilo Treibhausgas pro kWh freigesetzt werden.

Es ist aber auch einfach zu spät [18], um noch jahrzehntelang CO2 in die Atmosphäre zu pusten, um eventuell, irgendwann, in etlichen Dekaden, eine einigermaßen klimaneutrale Autoindustrie aufzubauen. Dieser Zug ist in den Jahrzehnten abgefahren, in denen auch die Autoindustrie "ihre" Politik dazu brachte, die notwendige ökologischen Transformation der Gesellschaft zu sabotieren [19], um kurzfristig die Profite zu maximieren.

"Brace for Impact"

Nach Dekaden, in denen die Dynamik des Klimawandels sträflich unterschätzt [20] wurde, befindet sich das spätkapitalistische Weltsystem in einer manifesten Klimakrise, die einen katastrophalen Verlauf zu nehmen droht.

Der Deutsche Wetterdienst (DWD) sieht kaum noch Chancen [21], den Temperaturanstieg in diesem Jahrhundert auf zwei Grad Celsius zu begrenzen, so dass noch Hoffnung auf eine Eindämmung der Folgen des Klimawandels bestünde. Ein Temperaturanstieg von drei bis vier Grad sei möglich, so der DWD.

Die Klimakrise entfaltet sich bereits konkret, etwa in Gestalt [22] der alljährlichen "Dürren", die eine verkrustete kapitalistische Landwirtschaft in der EU gefährden, deren Reformunfähigkeit jüngst die europäische Agrarlobby eindrucksvoll unter Beweis [23] stellte. Grundlegende, ungeheuer aufwendige Anpassungsmaßnahmen wären in der EU notwendig, um schlicht eine stabile und ausgewogene Nahrungsversorgung sicherzustellen.

Der steigende Meeresspiegel wird weite Teile Nordeuropas - vor allem Holland und Norddeutschland - gefährden [24]. Schon in den kommenden Jahrzehnten [25] wird man in Berlin und Den Haag entscheiden müssen, ob viele Milliarden in den Deichausbau fließen sollen oder ob Teile des Territoriums aufgegeben werden.

Die Städte müssten an steigende Temperaturen angepasst werden, da sie ansonsten unbewohnbar werden. Folglich müssten nicht nur radikale, sofortige Maßnahmen zur Emissionsreduzierung implementiert werden (im Verkehrssektor wäre dies ein sofortiger Umstieg auf öffentlichen Nah- und Fernverkehr), sondern auch globale Schritte zum Entzug von Treibhausgasen aus der Atmosphäre, zum Carbon-Capture, die binnenkapitalistisch an den hohen Kosten [26] scheitern.

Es wäre folglich ein gigantischer, schwindelerregender Aus- und Umbau der gesellschaftlichen Infrastruktur notwendig, der eigentlich global koordiniert werden müsste, um die kommende Klimakrise ohne Zivilisationsbruch zu überstehen.

Die Produktion immer neuer Waren, um aus Geld mehr Geld zu machen, wird dieser ungeheuren infrastrukturellen Aufgabe, die sich im volkswirtschaftlich im Kapitalismus als ein Kostenfaktor manifestiert, nicht gerecht. Elektroautos können nicht schwimmen, mensch kann sie auch nicht essen - genauso wenig wie Geld. Die Mittelklasse-Idee, mittels ökologischen Konsums, etwa durch ein Solardach samt Tesla, die Klimakrise zu überwinden, stellt eine bequeme Illusion dar. Es gibt kein grünes Leben im Falschen.

Die Systemtransformation in einer postkapitalistischen Gesellschaft, die - jenseits eines blindwütigen Wachstumswahns - die oben geschilderte ungeheure Transformationsaufgabe bewusst koordiniert und angeht, stellt somit tatsächlich eine Überlebensnotwendigkeit dar. Die Überwindung des Kapitals, das an seine Entwicklungsgrenzen stößt, ist der letzte kapitalistische Sachzwang.

Die Notwendigkeit, technische, organisatorische und strukturelle Reformen mit einem grundlegenden systemischen Wandel zu koppeln, müsste gerade bei den Grünen reflektiert werden, da die "Ökopartei" ansonsten zum Verwalter des drohenden ökologischen Kollaps zu verkommen droht.

Fußnoten

[27] [1] S. 9


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-5989737

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/die-gruenen-nach-den-landtagswahlen-kommen-sie-so-ins-kanzleramt-a-e9ff68e4-4669-4ed9-84ef-6f4564a56b59
[2] https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/landtagswahl-der-konservative-kult-um-winfried-kretschmann,SRWi8iw
[3] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1055080/umfrage/umfrage-zur-parteikompetenzen-in-bezug-auf-die-klimaschutzpolitik/
[4] https://www.heise.de/tp/features/Konjunktur-fuer-Gesundbeter-4770183.html
[5] https://www.heise.de/tp/features/Keine-Gnade-fuer-Klimaschaender-4337947.html?seite=all
[6] https://www.heise.de/tp/features/Die-grosse-Klimaverschwoerung-3383723.html
[7] https://www.heise.de/tp/features/Klimapolitischer-Schwindel-fuer-Fortgeschrittene-4210218.html?seite=all
[8] https://www.heise.de/tp/features/Kapital-als-Klimakiller-4043735.html?seite=all
[9] https://ourworldindata.org/co2-emissions
[10] https://www.deutschlandfunkkultur.de/robert-habeck-ueber-sein-stueck-neunzehnachtzehn-das-herz.1008.de.html?dram%3Aarticle_id=434655
[11] https://twitter.com/iw_koeln/status/1367073829282013186
[12] http://www.konicz.info/?p=2398
[13] https://www.heise.de/tp/features/Mogelpackung-Elektromobilitaet-5987309.html
[14] https://www.elektroauto-news.net/2021/beobachtung-e-batterien-werden-zu-polens-exportschlager
[15] https://www.wnp.pl/praca/lodz-czy-opole-waza-sie-losy-mega-inwestycji-lg-chem,345609.html
[16] https://www.bundestag.de/resource/blob/710958/88d53d0482edb1731594729850ee49e7/WD-8-165-19-pdf-data.pdf
[17] #anchor_fussnote_1
[18] https://www.heise.de/tp/features/Weltklima-auf-der-Kippe-4456028.html
[19] https://www.heise.de/tp/features/Klimapolitischer-Schwindel-fuer-Fortgeschrittene-4210218.html?seite=all
[20] https://www.heise.de/tp/features/Weltklima-auf-der-Kippe-4456028.html
[21] https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/panorama/dwd-warnt-vor-drastischem-temperatur-anstieg-100.html
[22] https://www.heise.de/tp/features/Mehr-Apokalypse-wagen-4708817.html
[23] https://www.heise.de/tp/features/Hunger-im-Klimawandel-4999517.html?seite=all
[24] https://www.eea.europa.eu/data-and-maps/figures/european-coastal-lowlands-most-vulnerable-to-sea-level-rise
[25] https://northseagreen.com/2020/will-the-netherlands-really-be-underwater/
[26] https://www.bloomberg.com/news/articles/2021-03-05/bill-gates-investment-in-carbon-removal-tech
[27]