"Es gilt das ethische Abschreibeverbot"
Jochen Zenthöfer über Plagiate, das Versagen der Institutionen und die Parallelen zwischen wissenschaftlichem Arbeiten und Autofahren
Nach jahrelangen Diskussionen um Plagiate in Doktorarbeiten von vorwiegend bundesdeutschen Politikerinnen und Politikern werden in jüngster Zeit immer mehr Fälle von Sachbuchplagiaten bekannt. Der Journalist Jochen Zenthöfer hat ein Buch über die mehr als 200 wissenschaftlichen Plagiatsfälle geschrieben, die die Plattform VroniPlag Wiki ehrenamtlich seit 2011 dokumentiert hat. Dabei recherchierte er unter anderem, was aus den vom Wiki entlarvten Textbetrügern geworden ist.
Herr Zenthöfer, Ihre wissenschaftlichen Arbeiten sind durch und durch sauber? Immer korrekt zitiert?
Jochen Zenthöfer: Na, hoffentlich. Sie können ja mal nachschauen!
Wie kommt man dazu, ein Buch über Plagiate in der Wissenschaft mit Fokus auf die Plagiatsdokumentationsplattform VroniPlag Wiki zu schreiben?
Jochen Zenthöfer: Mich beschäftigt das Thema seit Jahren als freier Journalist für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. In dieser Zeit habe ich oft über die Arbeit von VroniPlag Wiki berichtet. Übrigens hat die FAZ nicht nur über prominente Fälle bei Politikern berichtet, sondern immer auch über Täter, die in der Wissenschaft aktiv und daher weniger bekannt sind. Das Buch ist aber mehr als eine Zusammenstellung all dieser Artikel, es ist eine Gesamtdarstellung.
Sind Sie ein Plagiatsjäger?
Jochen Zenthöfer: Nein. Ich bin Rezensent für Sachbücher, das mache ich seit über 15 Jahren für die FAZ Wenn mir bei der Lektüre von Büchern etwas komisch vorkommt, ob Kuriosata, Plagiate oder möglicher Datenbetrug, gehe ich dem nach. Das ist Beifang einer kritischen Lektüre.
Eine Ausnahme davon gab es etwa im Fall des Heidelberger Zeithistorikers Edgar Wolfrum: Da hatte die Universität bereits wegen eines Kapitels eines seiner Bücher ein universitäres Verfahren eröffnet. Daraufhin habe ich mir die anderen Kapitel angesehen, und fand darin sofort Plagiate. Diese Arbeitsweise zeigte sich dann auch in anderen Veröffentlichungen, wie die Rhein-Neckar-Zeitung herausfand.
Wie definieren Sie Plagiat? Im Duden liest man "Diebstahl geistigen Eigentums", in der Wissenschaft lautet eine Standard-Definition: "Die unbefugte Verwertung unter Anmaßung der Autorschaft". Welche Definition favorisieren Sie?
Jochen Zenthöfer: Die Definition von Teddi Fishman, Direktorin des International Center for Academic Integrity, aus dem Jahr 2009, ist gut (S. 5):
Ein Plagiat liegt vor, wenn jemand Wörter, Ideen oder Arbeitsergebnisse verwendet, die einer identifizierbaren Person oder Quelle zugeordnet werden können, ohne die Übernahme sowie die Quelle in geeigneter Form auszuweisen, in einem Zusammenhang, in dem zu erwarten ist, dass eine originäre Autorschaft vorliegt, um einen Nutzen, eine Note oder einen sonstigen Vorteil zu erlangen, der nicht notwendigerweise ein geldwerter sein muss.
Was ist an Wissenschaftsplagiaten überhaupt problematisch?
Jochen Zenthöfer: Diebstahl ist immer problematisch. Nur ein Beispiel der vielfältigen Folgen: Die Mainzer Soziologin Marina Hennig hält trotz massiver Plagiate in Doktorarbeit und Habilitationsschrift eine Professur. Damit nimmt diese unqualifizierte Person einer ehrlich arbeitenden Wissenschaftlerin die Stelle weg. Darunter leiden also nicht nur Forschung und Lehre, es ist auch ungerecht.
Nehmen Wissenschaftsplagiate zu, oder nimmt nur deren Wahrnehmung zu, oder beides? Für beide Unterfragen: Welche sind die Gründe dafür?
Jochen Zenthöfer: Ob Plagiate zunehmen oder nicht, wird niemand beantworten können. Eine Vermutung ist, dass, wenn mehr wissenschaftlich publiziert wird, in absoluten Zahlen auch mehr plagiiert wird.
In Ihrem Buch beschreiben Sie die Vorgangsweise der Plagiatsaufdecker-Plattform VroniPlag Wiki. Hat die Initiative eigentlich schon einen Preis erhalten? Würde ihr nicht langsam so etwas wie der Nobelpreis gebühren?
Jochen Zenthöfer: Nobelpreise gebühren guten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die ehrlich, fair und transparent arbeiten. VroniPlag Wiki ist im Grunde eine Rezensionsplattform. Für gute Rezensionen gibt es keine Nobelpreise.
Warum reagieren Universitäten häufig so defensiv oder gar nicht auf Plagiatsverdachtsmeldungen? Es müsste doch eigentlich deren Forschergeist geweckt werden. Genaues Hinsehen gehört zur Forschung wie das Amen im Gebet. Die Unis müssten sich eigentlich freuen. Was läuft da schief?
Jochen Zenthöfer: Eine gute Frage. Vermutlich sehen Unis zunächst, dass eine Plagiatsaufarbeitung viel Zeit kostet und Personal wie Mittel bindet. Das möchte sich jeder Präsident, jede Dekanin ersparen. Manche Universitäten sind übrigens engagiert und aktiv, wie in Bayreuth, andere zurückhaltend bis destruktiv, wie die LMU in München. Vermutlich liegt das an den beteiligten Akteuren und der Kultur in ihren Häusern.
Sie haben unter anderem den Plagiatsfall des CSU-Generalsekretärs Martin Huber aufgedeckt. Wie kamen Sie dazu, ihn zu überprüfen?
Jochen Zenthöfer: Die Plagiate waren mir schon vor seiner Berufung aufgefallen. Ich plante einen Artikel über Politiker, die über die eigene Partei promoviert wurden. In diesem Zusammenhang hatte ich Hubers Arbeit gelesen. Es fällt sofort auf, dass hier nicht sauber gearbeitet wurde. Erstaunlicherweise scheint das niemand aus der CSU überprüft zu haben – trotz einschlägiger Parteierfahrungen mit Plagiaten.
Planen Sie weitere Enthüllungen?
Jochen Zenthöfer: Als freier Journalist bei der FAZ denke ich nicht in der Kategorie "Enthüllung".
In der FAZ war kürzlich zu lesen, dass der Begriff "Plagiat" kein juristischer sei. Das stimmt zumindest nicht mehr für das österreichische Hochschulrecht, das im Jahr 2015 eine Begriffsdefinition aufgenommen hat:
Ein Plagiat liegt jedenfalls dann vor, wenn Texte, Inhalte oder Ideen übernommen und als eigene ausgegeben werden. Dies umfasst insbesondere die Aneignung und Verwendung von Textpassagen, Theorien, Hypothesen, Erkenntnissen oder Daten durch direkte, paraphrasierte oder übersetzte Übernahme ohne entsprechende Kenntlichmachung und Zitierung der Quelle und der Urheberin oder des Urhebers.
Sehen Sie bei dieser Definition Verbesserungsbedarf? Wäre eine solche Legaldefinition Vorbild für deutsche Länder-Hochschulgesetze? Und warum ist sie nicht längst im Urheberrecht?
Jochen Zenthöfer: Der FAZ-Artikel von Uwe Ebbinghaus und Helmut Mayer unter dem Titel "Die große Plage der Verlage" bezog sich auf die Rechtslage in Deutschland. Hier muss man unterscheiden zwischen dem Urheberrecht, den Promotionsordnungen und den Regeln guter wissenschaftlicher Praxis.
Juristisch relevant sind Plagiate einerseits im Urheberrecht. Juristisch relevant wird es andererseits auch dann, wenn sich ein Täter gegen den Entzug seines Doktorgrades vor dem Verwaltungsgericht wehrt. In Deutschland haben die Verwaltungsgerichte für solche Fälle eine kluge Kasuistik entwickelt, die en detail in meinem Buch Plagiate in der Wissenschaft (transcript Verlag) beschrieben ist.
Wir diskutieren mittlerweile nicht mehr nur über Plagiate in Doktorarbeiten, sondern auch etwa in Sachbüchern. Sind Plagiatsvorwürfe gegenüber Sachbüchern überhaupt sinnvoll? Kann es Plagiate in einem Sachbuch geben?
Jochen Zenthöfer: Ja. Sachbücher wollen eine wissenschaftliche Diskussion entweder wissenschaftlich oder populärwissenschaftlich bereichern und weiterführen. Das ergibt sich aus dem Aufbau eines Buches, etwa, wenn es Quellennachweise und Literaturverzeichnis kennt, oder aus dem Verlag oder der Serie, in der das Werk erscheint. Wenn die Serie einen wissenschaftlichen Anspruch hat, wird das auch für das einzelne Buch gelten. Es gibt nur wenige Sachbücher, die keinen wissenschaftlichen Anspruch haben: Schülerarbeiten, Fotobände, Reisebücher und dergleichen.
Die Wissenschaft kennt seit circa 25 Jahren Richtlinien guter wissenschaftlicher Praxis. Brauchen auch Buchverlage und Sachbuchautoren solche Richtlinien?
Jochen Zenthöfer: Jeder, der wissenschaftlich publiziert, muss die Richtlinien guter wissenschaftlicher Praxis einhalten. Ein Vergleich: Jeder Autofahrer muss die Verkehrsregeln beachten – nicht nur auf der Autobahn, sondern auch auf dem Parkplatz des Supermarktes oder dem Waldweg.
Wenn wir über Plagiate diskutieren, interessiert uns meist, was plagiiert werden kann, was also die Quelle eines Plagiats sein kann: Was ist alles plagiierbar? Seltener diskutieren wir, in welchen Genres und Darstellungsformen Plagiate überhaupt vorkommen können. Es wurden ja schon Plagiate in Bischofsreden und Kochrezepten angeprangert. Wo sehen Sie die Grenze, was ist sinnvollerweise (nicht mehr) "plagiatsvorwurfsfähig"?
Jochen Zenthöfer: Keine wissenschaftlichen Plagiate finden sich in Werken, die nicht wissenschaftlich sind. Allerdings kann es hier natürlich Urheberrechtsverletzungen geben. Zudem gilt das ethische Abschreibeverbot. Wenn ein Bischof seine Rede kopiert, ist das kein Wissenschaftsplagiat, aber moralisch verwerflich. Über diese Kategorie, die im Grunde noch neben den drei anderen Kategorien steht (Urheberrecht, Promotionsordnungen, gute wissenschaftliche Praxis), wacht die öffentliche Meinung.
Thema Ihres nächsten Buchs?
Jochen Zenthöfer: La Juridiction. Es geht um mein Heimatland Luxemburg, mit Plagiaten hat das Buch jedoch nichts zu tun.
Jochen Zenthöfer, geboren 1977, lebt und arbeitet in Luxemburg und ist unter anderem freier Journalist der FAZ. Auf seiner Website ist über ihn zu lesen: "Journalist. Soldat. Richter, nach Studium in Berlin und Australien (Prädikatsexamen). Aufenthalte in Asien, u.a. Handelskammer EKONID, Indonesien. Doktorat in Potsdam." Sein Buch Plagiate in der Wissenschaft erschien im Juni 2022 im transcript Verlag, Bielefeld.
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