Es ging "nicht um Journalismus, sondern um Politik"
Seite 2: Ein Gegengewicht zum Mainstream
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Was meinen Sie: Wird die taz es schaffen, nochmal so ein Gegengewicht zum Mainstream zu werden, wie es sie es einmal war?
Mathias Bröckers: Die gute Nachricht ist: es wäre möglich. Denn die taz ist dank ihrer 1991 geründeten Genossenschaft unabhängiger und freier als jede andere Tageszeitung. Die 18.000 Genossenschaftsmitglieder wollen keine Rendite erwirtschaften, sondern morgens eine gute Zeitung lesen.
Da die taz auch nie so stark von Anzeigenerlösen abhängig war wie alle anderen, ist von der allgemeinen "Zeitungskrise" deutlich weniger betroffen. Zudem hat sie in Jahrzehnten ökonomischen Prekariats gelernt, mit Krisen umzugehen und ist deshalb besser aufgestellt als die meisten anderen Zeitungen.
"Wir haben keine Chance, aber wir nutzen sie!" war das Editorial der ersten Nullnummer 1978 überschrieben; heute hätte die Redaktion sehr viele Chancen, aber nutzt sie in meinen Augen viel zu wenig. Ich hatte deshalb mal bei einer Strategie-Besprechung vorgeschlagen, die nächsten freiwerdenden Redaktionsstellen mit Leuten zu besetzen, die nicht auf Journalistenschulen waren - und viele böse Blicke geerntet.
Dabei habe ich gar nichts gegen Journalistenschulen und kluge und nette Menschen, die da ausgebildet sind, ich fand nur, dass die taz genug Leute hat, die du heute ins Sportressort, morgen in der Wirtschaft und übermorgen in die Kulturredaktion setzen kannst, und die nirgendwo wirklichen Mist produzieren, aber auch nie was wirklich Gutes. Weil sie für nichts mehr richtig brennen. Das kann man dieser Generation vielleicht aber auch nicht übelnehmen, sie hat einfach nicht mehr die Wut im Bauch, die uns damals angetrieben hat.
Sie beobachten und kritisieren Medien schon seit langem. Wo liegen aus Ihrer Sicht denn aktuell die größten Probleme in Berichterstattung und Journalismus?
Mathias Bröckers: In dem Buch, das wir gerade gemacht haben, ist auch den Leserbrief einer Wohngemeinschaft aus dem Jahr 1979 abgedruckt, der das aktuell größte Problem des Journalismus erfasst: "Wir haben es besprochen in unserer WG: Wir bitten Euch, uns aus Eurer Kartei zu streichen.
Das richtet sich nicht gegen die Zeitung oder sonstwas. Wir haben nur einfach keine Lust mehr zum Zeitungslesen, ganz einfach. Außerdem: Diese Regelmäßigkeit, mit der die taz täglich erscheint, strukturiert die Tage so künstlich, das missfällt uns eben."
Da sage noch einer, dass die Hippie-WGs der 1970er nicht mit geradezu prophetischer Weitsicht ins digitale Zeitalter ausgestattet waren! Heute guckt der Durchschnitts-Teenie alle fünf Minuten auf sein Handy, die künstliche Strukturierung läuft im Turbo-Modus, zum Zeitunglesen hat da niemand mehr Lust.
Das ist formal sicher das größte Problem für alle Zeitungen und wohin dieser erneute "Strukturwandel der Öffentlichkeit" führt, ist noch gar nicht absehbar; inhaltlich hat die fortschreitende Konzentration im Medienwesen schon in eine große Krise geführt.
Wenn wie in den USA 90% des Medienoutputs von fünf Konzernen dirigiert wird - und in Deutschland sieht es ja kaum besser aus - kann von Pressevielfalt ja eigentlich keine Rede mehr sein. Zwischen veröffentlichter und öffentlicher Meinung klafft eine immer größere Lücke. Und dafür sind nicht die sozialen Medien verantwortlich. Die füllen nur auf, was die "Lückenpresse" einfach offen lässt.
Anmerkung:
Mathias Bröckers gehört zur Gründergeneration der taz, war dort bis 1991 Kulturredakteur und bis 1996 Kolumnist. Seit 2006 berät er den taz-Verlag bei seiner digitalen Entwicklung. "40 Jahre taz - Das Buch" ist im taz-Verlag erschienen. 400 Seiten, gebunden, Großformat, 40 Euro, ISBN 978-3-937683-72-0