Es lebe die Scheinheiligkeit!

Seite 2: Globalisierung ist Entregionalisierung

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Aus einem weiteren Grund ist ein Erfolg des Pariser Klimaabkommens undenkbar: wegen des weltweiten Wettbewerbs. Jedes Freihandelsabkommen steht dem Geist eines Klimaabkommens diametral entgegen. Weniger Emissionen bedeutet weniger Containerschiffe, weniger Transportkilometer, mehr regionale Wertschöpfungskreisläufe. Standortwettbewerb erzwingt Konkurrenzfähigkeit, erzwingt, dass die Staaten zu Erfüllungsgehilfen und Handlanger privater Konzerne werden.

Was hat mehr Wucht: Die Drohung mit der Schließung eines Werkes mit 3000 Beschäftigten aufgrund zu hoher Umweltauflagen oder die Drohung mit einem Anstieg des Meeresspiegels um 1,4 Meter in 100 Jahren?

Weil diesem weltweiten Treiben kein Ende gesetzt wird, heucheln die Gestaltungseliten des Planeten unisono. Wahrscheinlich sind viele von ihnen froh, dass sie ihr Image auf Trumps Kosten polieren können und gleichzeitig so weitermachen dürfen wie bisher.

Die EU-Kommission verhandelt Freihandelsabkommen mit Japan, Australien, Neuseeland, Chile und vielen anderen, Angela Merkel gibt TTIP noch längst nicht verloren: Entregionalisierung bleibt Programm, um größere Industriestrukturen zu fördern, die den Verbrauchern (was für ein ätzender Begriff) mit billigeren Produkten mehr Konsum ermöglicht.

In den Industriestaaten sind viele Voraussetzungen erfüllt, die Emissionen tatsächlich zu senken, die entfesselten Wachstumskräfte zu bändigen und eine Zukunft mit Maß und Ziel zu befördern. Wären die Vermögen und Einkommen gerechter verteilt, müsste schon heute kein Mensch mehr in Armut leben.

Es sind soziale und ökologische Basisbewegungen wie Attac, Bund Naturschutz, Campact oder Ende Gelände, die den Parteifürsten (einschließlich den Grünen) erst die nötige Chuzpe geben können, auch unbequeme Forderungen zu stellen und Entscheidungen zu treffen. Kinderwerbung und Werbung in öffentlichen Räumen zu verbieten, Automobilkonzernen den Weg zu weisen und Konsumpraktiken öffentlich zu diskreditieren ist erst möglich, wenn es eine gesellschaftliche Stimmung dafür gibt - wenn es ein Stück weit "Hip" ist, aus der Reihe zu tanzen.

So lange Konsum der Dreh- und Angelpunkt ist, wird auch gegen den Klimawandel nichts helfen. Wie wäre es, sich über Konsumpraktiken öffentlich lustig zu machen, vor allem über solche, die eher Stress als Spaß versprechen und lediglich aus Statusdenken oder Gewohnheit getätigt werden? Eine Woche Bahamas - nur Workaholics machen so was. Audi Q7 und 500-Euro-Hndy, aber keine Zeit, der Frau (dem Mann?) im Haushalt zu helfen? Zum Sport mit dem Sportwagen? Die Kinder mit Konsolen ruhig stellen statt gemeinsamer Outdoor-Erlebnisse?

Eine andere Stimmung ist nötig - das ist nicht mehr und nicht weniger als ein Kulturwandel, der unsere alltäglichen Haltungen und Handlungen verändern muss, von dem Niko Paech oder Harald Welzer unentwegt schreiben.

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