Es muss geritten werden

Seite 3: Weiße Juden

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Während es von Brenken um Deutschlands Gloria und um die Zucht geht, sind die "Pferdejuden" nur am Geld interessiert. Von Rasse haben sie keine Ahnung. Der Rittmeister sieht sofort, dass Harro ein Springpferd ist. Die verständnislosen Juden halten ihn für einen Traber. Später wohnen wir einer Szene bei, in der ein jiddelnder "Pferdejude" Harro an den berlinernden Herrn Brosig verschachtert. Der Verkäufer beharrt darauf, seinen Geschäftspartner "Herr Brosinger" zu nennen. Das ist eine Schlüsselszene. Herr Brosinger alias Brosig ist entweder ein assimilierter Jude, der seinen Namen einberlinert hat, oder der "Pferdejude" hält ihn für einen solchen, weil für ihn alle Händler Juden sind. Hier wird der Übergang von den "Pferdejuden" zu den "weißen Juden" gestaltet. Nach dieser Szene gibt es keine Figuren mit eindeutiger jüdischer Zuschreibung mehr. Aber die Händler und die Geldverleiher werden denselben Hut tragen wie vor ihnen die "Pferdejuden", sind "Juden", ohne dafür jüdischer Herkunft sein zu müssen.

Rabenalt würde das zum Lokalkolorit erklären und darauf verweisen, dass im Nachkriegsberlin alle Pferdehändler und Wucherer eine Melone auf dem Kopf hatten. Selbst wenn dem so gewesen sein sollte, würde es an der propagandistischen Funktion nichts ändern. In den ersten zwanzig Minuten des Films wird - durchaus geschickt - eine Assoziationskette etabliert, die dafür sorgen soll, dass dem Zuschauer bei Handeltreibenden und Geldverleihern das Attribut "jüdisch" einfällt, obwohl kein Jude mehr zu sehen ist. Die Assoziation ist eines der bevorzugten Mittel der NS-Propaganda.

Am meisten über den Antisemitismus im NS-Kino erfährt man in Dorothea Hollsteins Buch "Jud Süß" und die Deutschen. Hollstein zufolge sind Ohm Krüger und … reitet für Deutschland die ersten beiden Spielfilme, in denen Personen auftreten, "die die Propaganda schon seit längerer Zeit als ‚weiße Juden’ anprangerte: Deutsche, die ihr arisches Erbe verraten, indem sie sich ebenso schändlich wie Juden benehmen und die daher auch keine bessere Behandlung verdienen." Ein Zuschauer im Dritten Reich hätte die "weißen Juden" wahrscheinlich auch ohne die "Pferdejuden" im ersten Viertel von Rabenalts Film erkannt, da die Propaganda nicht nur im Kino stattfand.

Heute wäre das anders, weil nicht jeder, der … reitet für Deutschland sieht, ein Stammtischbruder ist oder auf rechten Websites die Ausführungen zur Finanzkrise studiert. Während durch Schnittauflagen der FSK sonst schon mal der Sinn herausoperiert wird, durften die Pferdejuden und Herr Brosig/Brosinger mit Billigung der Jugendschützer bleiben. So wurde sichergestellt, dass die antisemitische Botschaft erhalten bleibt. Danke, liebe FSK! (Wer wie ich nicht der König von Deutschland ist und weder die Umwandlung der Bundesprüfstelle in ein Institut für Medienkompetenz noch die radikale Neuausrichtung der "Selbstkontrolle" der Filmindustrie anordnen kann, dem bleibt nur der Sarkasmus.)

… siegt für Deutschland

Um Deutschland steht es schlecht. Der Kritiker der Filmwoche (23.10.1940) fasst die Situation wie folgt zusammen:

Mann und Pferd, die sind … eines - aber dann, als sie zu Hause angekommen sind, als die trüben Gestalten der Novemberrevolutionäre den Ton angeben dürfen, werden sie auseinandergerissen, die Reiter und ihre Pferde, - edles Blut wird um Spottpreise von Schiebern und jüdischen Pferdehändlern ersteigert, die wertvollsten Zuchttiere wandern über die Grenze in die Hände der Gegner, und zertrümmert wird, was einst einen wertvollen Teil der Volkswirtschaft ausmachte und worauf jeder Deutsche stolz war.

Brosig lässt Harro das Springpferd beim Trabrennen laufen, was nur misslingen kann. Danach muss der Hengst den letzten Pferdeomnibus von Berlin ziehen, auf der nächsten Etappe wird er vor den Wagen eines Transportunternehmers gespannt. Als ein Kavallerietrupp vorbeireitet, erweist sich Harro als echtes Militärpferd (der Übergang zwischen Sport und Militär ist fließend; von Brenken sagt von sich, dass er Soldat und Reiter sei, in dieser Reihenfolge), will sich anschließen und verursacht einen Unfall. Dadurch wird Marten auf den Hengst aufmerksam. Er kauft ihn und bringt ihn auf das Gut des Rittmeisters. Endlich ist Harro wieder dort, wo man weiß, was Rasse ist. Als dann noch von Brenken seine Lähmung überwindet und wieder über Hindernisse springt, könnte alles gut sein, wenn da nicht zwei weitere Versatzstücke der NS-Propaganda wären: das "Versailler Diktat" der Siegermächte und eine "rötliche", demokratisch gewählte Regierung.

Weil die Zucht darniederliegt, steht das Gestüt des Rittmeisters vor der Pleite. Als Geldverleiher Dolinski von der Firma Brenner & Co. legt Paul Dahlke mit gewohnter Brillanz einen seiner vielen Kurzauftritte in NS-Propagandafilmen hin. Weil demnächst die Wechsel fällig werden und auch Dolinski nichts von der Zucht versteht schlägt er vor, die edlen Tiere des Gestüts an den Pferdemetzger zu verscherbeln. Von Brenken lässt den "Melonen-August" (Geldgier + Melone = "weißer Jude") hinauswerfen, ist nun aber zum Handeln gezwungen. Er wird beim Regierungsdirektor vorstellig, bittet um eine Staatsbeihilfe für die Pferdezucht und muss sich mit der Bemerkung abfertigen lassen, dass für solchen "Luxus" kein Geld da sei.

An der Wand des völlig verständnislosen Regierungsdirektors hängt ein Bild des SPD-Reichspräsidenten Friedrich Ebert. Von diesem wird auf ein Bild von Hindenburg überblendet. Das ist der Mann, der Hitler 1933 zum Reichskanzler machen würde. Wir befinden uns im Dienstzimmer des Wehrkreiskommandeurs. Hier darf von Brenken auf mehr Verständnis hoffen. Aber dem General sind die Hände gebunden. Er muss der interalliierten Kontrollkommission zu Willen sein, weil der Minister Wert darauf legt, "dass man den Herren auch noch die Stiefel küsst". "Ja, lieber Brenken", sagt der General, "das ist aus Ihrem alten Kommandeur geworden: Lakai der interalliierten Schnüffler."

Rittmeister von Brenken ist das zu resignativ. Er will unter allen Umständen beim Turnier in Genf starten und spricht nun einen dieser Dialoge, in dem Sport und Militär verbunden und die (jüdischen) Geschäftemacher als die Bösen identifiziert werden: "Eines Tages wird auch die Reichswehr wieder Pferde brauchen, und dann ist die Zucht kaputt. Wir können doch nicht denken wie die Börsenmakler! Herr General, ich will als Deutscher mit einem Pferd aus deutscher Zucht zum ersten Mal wieder bei einem internationalen Turnier reiten." Wenn er dort siegen würde, meint der General, würde das sogar "auf unseren rötlichen Minister Eindruck machen", und dann wäre auch von Brenkens Zucht zu retten. An ein solches Wunder aber glaube er nicht.

Der Letzte, der nicht an ein Wunder glaubte, war der Geheimrat, der es für ausgeschlossen hielt, dass von Brenken durch Willensanstrengung die Lähmung überwinden und wieder reiten könnte. Der Rittmeister belehrte ihn damals eines Besseren, und weil er mit seinem Bekenntnis zur deutschen Zucht ein Erlöser ist, geschah dieses erste Wunder in der Weihnachtsnacht. Damit wissen wir bereits, dass auch das zweite Wunder gelingen wird. Vorher wird noch einmal deutlich gemacht, wer in der von den Nazis verteufelten Weimarer Republik das Sagen hat: Die "weißen Juden" und die Halsabschneider.

Vom General geht von Brenken zu Dolinskis Chef, dem Generaldirektor Brenner, um vier Wochen Aufschub zu erbitten, damit er in Genf reiten kann. Der Wucherer (Drehbuch: "eine Inflationswanze") lehnt ab und tritt nun an die Stelle des "Pferdejuden", der bei der Auktion Harro ersteigerte und die deutsche Zucht damit um Jahre zurückwarf. Der Rittmeister ist jedoch kein Unteroffizier, sondern eine Führerpersönlichkeit. Deshalb gibt er Brenner eine Ohrfeige und startet doch. Um zu demonstrieren, was alles möglich ist, wenn man einen echten Führer hat, halten ihm sein Freund Olav Kolrep und die anderen guten Deutschen von Alt-Mellin den Rücken frei.

Während von Brenken, Harro, Toms und Marten mit dem Zug nach Genf fahren, will Brenner das Gut zwangsversteigern lassen. Olav und seine Kameraden verhindern das, indem sie den Generaldirektor (natürlich mit Melone) und die anderen Spekulanten durch falsche Umleitungen in die Irre führen. Die "Inflationswanzen" kommen nie bei dem Gut an, das versteigert werden soll. Die ganze Aktion ist rechtswidrig, aber an die Gesetze der rötlichen Regierung muss man sich nicht halten, weil die nur den üblen Machenschaften der Juden und der anderen vaterlandslosen Gesellen Vorschub leisten. Olav Kolrep ist hier eindeutig der Sympathieträger. Unterstützt wird er vom Gerichtsvollzieher, der sich mit "deutschem Gruß" als Nazi zu erkennen gibt (eine ganz ähnliche Szene findet sich in Venus vor Gericht). Kinder könnten da glatt auf den Gedanken kommen, dass die Leute mit dem Hitlergruß die Guten sind. Hier sind wieder die informierten Grundschüler gefragt, die sich von solch plumper Propaganda nicht aufs Glatteis führen lassen und die das Prüfungsgremium der FSK bestimmt im Blick hatte, als es den Film ab 6 Jahren freigab. Ja doch, auch der Hitlergruß ist da mit drin (wie alles andere, das ich hier beschreibe - ausgenommen die Szene mit den zwei "Galiziern" im Pferdestall).

Der Rest ist schnell erzählt. Ernst von Brenken tritt in Genf vor einem mehrheitlich deutschfeindlichen Publikum an, dessen lautstarke Unmutsäußerungen (angefacht von einem Mann mit Melone) er durch eine souveräne Leistung zum Verstummen bringt. Auch diejenigen, die ihn nicht leiden konnten, zollen ihm ihre Bewunderung. Rabenalt zeigt beim Springen Frauenbeine in Seidenstrümpfen, um die Atmosphäre erotisch aufzuladen. "Ross und Reiter sind doch eins", sagt Toms und gibt dem Rittmeister einen dicken Kuss, ehe er mit seinem Hengst den Großen Preis von Europa gewinnt. Nach dem Sieg wird Toms ihren Rittmeister heiraten und dem Führer viele reinrassige Kinder schenken dürfen. Aber vorher wird noch die deutsche Nationalhymne intoniert, weil die darauf nicht vorbereitete Kapelle im letzten Moment die Noten gefunden hat. Von Brenken, Toms und Marten haben Tränen in den Augen, und Harro hätte die vermutlich auch, wenn er wüsste, was gespielt wird. Die deutsche Zucht, sie lebe hoch!

Weitere bereits erschiene Folgen der Serie "Das Dritte Reich im Selbstversuch":

Teil 1: Hitlerjunge Quex
Teil 2: Hans Westmar - Ein deutsches Schicksal
Teil 3: Braune Volkstänzer im russischen Wald
Teil 4: Nicht ohne die Gestapo, oder auch: Ich will meine Mutter wiederhaben!
Teil 5: Ritt in die Freiheit
Teil 6: Die Russen kommen! Aber wo?
Teil 7: Verräter und Unternehmen Michael
Teil 8: Robert und Bertram und Die Rothschilds
Teil 9: Fälschung und Entartung im NS-Kino
Teil 10: Gefahr aus dem Bierkeller
Teil 11: Blick in den Abgrund
Teil 12: "Feinde" und "Heimkehr"

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.