Es sind die Gamer!
Nach Halle der Nachhall - Ein Kommentar
Ein junger Mann, der Juden, Feministinnen und vieles andere hasst, schreitet zur Tat. Er will Menschen in der Synagoge in Halle abknallen. Auf einer Gamingplattform will der 27-jährige geständige Täter seine Absichten live unter die Leute bringen.
Im "Ausnahmezustand", wie sein Anwalt sagt, tötete er aus Frust über die letztlich misslungene Tat zwei völlig unbeteiligte Menschen, die sich zufällig auf der Straße aufhalten oder beim Döner die Mittagspause verbringen. Jana, Liebhaberin von Schlagern, und der junge Maler und Fußballfan Kevin sind die Opfer.
Laut Spiegel meinte die Mutter des Täters, staatlich angestellte Lehrerin, ihr Sohnemann hätte doch nichts gegen Juden gehabt, "aber nur was gegen die Leute, die hinter der finanziellen Macht stehen - wer hat das nicht?" Möglicherweise ist es dieses entlarvende Geschwätz einer Mutter unter Schock, das mehr über den gesellschaftlichen Zustand sagt als manche spätere "Analyse".
Soweit die Fakten. Doch was geschieht? Was immer geschieht. Niemand redet davon, dass jetzt endlich rechtsradikale Netzwerke ins Visier genommen werden sollen. Dass man sich überlegen sollte, ob immer mehr Überwachungsstaat der letzten 20 Jahre tatsächlich zu den gewünschten Ergebnissen führte. Dass für rechten Terror in den letzten Jahren ein systematisch geschürtes Klima entstand.
"Wenn wir wollen, schlagen wir Euch tot…"
Am 3. Oktober demonstrierten 1000 Hardcore-Nazis in Berlin. Sie skandierten Mordphantasien gegen alles was anders ist. Der Marsch wurde freundlichst von der Polizei begleitet, die höchst zufrieden am Ende keine "Unfriedlichkeit" feststellen konnte. Wenige der Schreihälse waren vermummt. Es geschah ganz offen: "Wenn wir wollen schlagen wir Euch tot."
Was geschah vor Ort oder danach? Nichts? Dann kam Halle. Was geschah jetzt? Das Übliche: "Jüdisches Leben sei zu schützen." Gut und richtig so. Jeder Anschlag auf jüdisches Leben in Deutschland ist ein ganz besonderer Anschlag gegen alle Werte, die wir zu verteidigen haben. Aber auch jeder Anschlag auf ALLES sonst, was nicht in die furchtbaren Denkschablonen der Nazis passt, ist ein Anschlag auf uns alle. Egal, wo wir religiös verankert oder nicht verankert sind. Gleich wer von uns, ob Juden, Migranten, Schwule, im Visier der Rechtsextremen stehen.
Wer davon aber zuerst beredt schwieg war Springer-Chef Döpfner. Immerhin Vorsitzender des Verbands der Presseverleger. Kein Wort zu Nazis. Dafür aber jede Menge indirektes Verständnis für rechtsextreme Motive. Döpfner lenkt ab mit Limburg, wo Tage zuvor ein LKW wohl als Tatwerkzeug benutzt wurde und neun Menschen verletzte. Er tönt gegen "politische Korrektheit" - als ob die etwas mit Halle zu tun hätte. Er verweist auf einen HSV- Fußballer mit tatsächlicher oder vermeintlich falscher Identität. Merkels Flüchtlingspolitik sei der "Brandbeschleuniger". Und letztlich: Kein Wort zur Ermordung des CDU-Landrats Lübcke, kein Wort zum NSU, kein Wort zu rechtsradikalen Netzwerken bei Polizei und Bundeswehr. Nichts. Das ist der Stoff, mit dem Nazis bestens leben können.
Vermummungsverbot im Internet und die Gamerszene
Und bei so vielen Nebelkerzen darf natürlich "die Politik" nicht fehlen. Als Erster fiel der Innenminister Niedersachsens und Möchtegernvorsitzender der SPD auf. Er forderte ein "Vermummungsverbot im Internet". Weshalb aber, werter Herr Minister, sollten Nazis im Internet vermummt auftreten, wo sie doch selbst auf der Straße und bei ihren Konzerten in der Regel ungeniert unvermummt sind?
Spontan kam die übliche Fraktion der sonstigen Internetüberwacher hinzu: Mehr Überwachungsstaat wird gefordert. Wo? Natürlich im Internet. Verschlüsselte Messengerdienste wie WhatsApp seien das wirkliche Übel, wird behauptet. Wo und wann bitte hat der Täter von Halle mit wem verschlüsselt kommuniziert? Er sei doch ein Einzeltäter, heißt es beschönigend. Dass kommunizierende Einzeltäter aber ein Widerspruch in sich sind, erschließt sich unseren innenpolitischen Haudraufs parteiübergreifend offensichtlich nie. Leider offensichtlich aber auch nicht der Mehrheit derer, die medial darüber berichten.
Last but not least kam nun Innenminister Seehofer um die Ecke, dem nach langer Zeit endlich wieder die Gamer als die wahren Gegner im Land einfielen. Und schwups - schon hat sich die Diskussion gedreht. Endlich muss man sich nicht mehr mit dem eigentlichen Naziproblem auseinandersetzen, das bis in den Bundestag hinein zu besichtigen ist, sondern man hat die schaurig wahren Übeltäter erwischt.
Es gibt "toxische" Computerspiele, sagen nun alle. Und haben Recht damit. Die gibt es. Und jetzt? Dummerweise erlernte der Täter das Schießen aber nicht "toxisch" am heimischen Bildschirm, sondern bei der Bundeswehr.
Die grüne Renate Künast will dessen ungeachtet das ohnehin misslungene "Netzwerkdurchsetzungsgesetz" zur "Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken" auf Computerspiele ausdehnen und springt Seehofer begeistert bei. Sicher hätte das den Täter von Halle zutiefst beeindruckt und von seiner Tat abhalten lassen, hätte er nur etwas mehr vom Netzdurchsetzungsgesetz gewusst.
"Wer Computerspiele einschränken oder verbieten will, der macht es sich zu einfach", sagt jetzt Thomas Jarzombek. "Computerspiele werden mal wieder zum Sündenbock erklärt. Das ist kompletter Unsinn und führt in der Debatte über den Anschlag in Halle auf die ganz falsche Fährte." Gut gebrüllt, Löwe. Nur: Jarzombek ist CDU-MdB. Hat er es so schon seinem Innenminister von der CSU gesagt?