"Es war keine Straßensperre"
Die von ihren Geiselnehmern aus noch unbekannten Gründen freigelassene italienische Journalistin Sgrena widerspricht der Darstellung des amerikanischen Militärs über den Beschuss des Autos, in dem sie saß
Im Pentagon versucht man, für den Beschuss des Fahrzeugs, in dem die italienische Journalstin Giuliana Sgrena zum Flughafen in Bagdad gebracht werden sollte, die Italiener verantwortlich zu machen, die zu schnell gefahren und auf Warnzeichen nicht reagiert hätten (Das befreite Opfer wird zum Opfer der Befreier). Sgrena, die mittlerweile in Rom angekommen ist, erhebt jedoch Vorwürfe und hat, wie ihr Lebensgefährte Pier Scolari nach dem Besuch im Krankenhaus berichtete, in das sie zur Behandlung ihrer Schusswunde kam, erklärt, dass der Beschuss des Autos nicht gerechtfertigt gewesen sei.
Man muss die Aussagen von Sgrena, Mitarbeiterin der linken Zeitung Il Manifesto und Kriegsgegnerin, als auch von ihrem Lebensgefährten, sicher mit Vorsicht aufnehmen, ebenso wie die Darstellung des Vorfalls, die das US-Militär bislang gegeben hat. Eingeräumt hat das Pentagon, dass der Wagen beschossen wurde, wobei Nicola Calipari, ein italienischer Geheimdienstmitarbeiter, getötet, zwei weitere - einer davon schwer - und Sgrena verletzt wurden. Calipari soll versucht haben, mit seinem Körper die Journalistin vor den Kugeln zu schützen und ist dabei selbst erschossen worden.
In einer Stellungnahme des Pentagon hieß es, dass die Italiener die Amerikaner nicht über die Fahrt informiert hatten. Zudem habe der Fahrer auf Handzeichen, Lichtsignale und sogar Warnschüsse nicht reagiert und sei mit hoher Geschwindigkeit an einen Kontrollposten herangefahren. Dann hätten die US-Soldaten auf den Motorblock des Wagens geschossen.
Sgrenas selbst sagte, dass der Wagen, den Umständen entsprechend, nicht schnell gefahren sei. Die Fahrtrichtung des Wagens sei eindeutig gewesen und habe zu keinem Missverständnis Anlass geboten. Auf ihn sei ein Kugelhagel abgefeuert worden, von über 300 Schuss ist die Rede. Überdies behauptete sie, dass es sich um keine Straßensperre gehandelt habe, sondern um ein Militärpatrouille. Der ebenfalls im Krankenhaus befindliche Geheimdienstmitarbeiter, der mit im Auto gesessen hatte, bestätigte dies und sagte, sie seien zuvor mindestens an drei Kontrollpunkten ohne Probleme vorbeigefahren. 700 Meter vor dem Flughafen habe die letzte Kontrolle eine Leuchtrakete abgefeuert und dann geschossen.
In der von Scolari übermittelten Version seines Gesprächs mit Sgrena soll diese behauptet haben, dass die gesamte Kommandokette von der Fahrt informiert gewesen sei und sie bereits von italienischen Soldaten am Flughafen erwartet worden seien (ein Begleiter von ihr hatte auch davon gesprochen, dass die Amerikaner und Italiener von ihrer Ankunft benachrichtigt worden seien). Möglicherweise habe es sich um einen Irrtum von jungen, unerfahrenen Soldaten, vielleicht aber auch um einen Angriff gehandelt, kommentierte Scolari. Dafür würde sprechen, dass Sgrena "Informationen" gehabt habe, denen die anderen keine Bedeutung beigemessen hätten. Nach diesen sollte Sgrena "nicht lebend nach Hause kommen". Man glaube auch deswegen nicht die Version der Amerikaner, weil die Soldaten für einige Minuten versucht hätten, niemanden, auch nicht die Rettungskräfte, an das Auto heranzulassen. Das aber wäre freilich eher ein Zeichen dafür, dass die Soldaten von einem Selbstmordattentäter ausgegangen sind.
Ein Mitarbeiter der irakischen Regierung, der anonym bleiben wollte, soll hingegen gesagt haben, dass weder die Iraker noch die Amerikaner von der Freilassung informiert worden seien. Die Italiener hätten vermutlich befürchtet, dass die Iraker in die Verhandlungen eingreifen würden und das Leben der Journalistin hätten gefährden können. Überdies wollte man vermeiden, dass die Journalistin vor ihrem Abflug von irakischen Sicherheitskräften über ihren Aufenthalt bei den Terroristen befragt werden könne. Wenn Lösegeld für die Freilassung von Sgrena gezahlt wurde, was wahrscheinlich ist, und möglicherweise andere Absprachen mit den Entführern getroffen wurden, hätten die Geheimdienstmitarbeiter guten Grund gehabt, möglichst schnell das Land zu verlassen, um keine Fragen beantworten zu müssen. So könnte es sich durchaus um eine fehlende Kommunikation mit fatalem Ausgang gehandelt haben.
Letztes Jahr waren bereits die beiden Italienerinnen Simona Torretta und Simona Pari vermutlich von der selben Gruppe entführt und schließlich wieder frei gelassen worden. Bislang ist nichts über die Umstände der Freilassung bekannt. Vermutlich wurde auch hier Lösegeld gezahlt.