Europa im Hitzestress

Globale Anomalie der Bodenlufttemperatur 2022. Bild: ECMWF

Energie und Klima – kompakt: Klimawissenschaftler ziehen erste Bilanz für 2022. Europa erwärmt sich besonders schnell. Und die Welt steht kurz vor dem Überschreiten der globalen Temperaturobergrenze.

Ein Tiefdruckgebiet nach dem anderen rauscht derzeit vom Atlantik kommend über Großbritannien nach Skandinavien und beschert Mitteleuropa Winde aus Süd bis Südwest. Immer wieder führen diese ausgesprochen milde Luft heran, die bei manchem Vogel schon Frühlingsgefühle auszulösen scheint.

Das neue Jahr fängt klimatisch so extrem an, wie das alte aufgehört hat, während im Rheinischen Braunkohlerevier die Polizei im Namen RWEs und mit dem Segen der grünen Wirtschaftsministerin Mona Neubaur in Düsseldorf und ihres Partei- und Amtskollegen Robert Habeck in Berlin aufmarschiert.

Der Widerstand der Klimaschützerinnen und Klimaschützer soll gebrochen werden, damit noch mehr Braunkohle aus dem Boden gekratzt werden kann. Ausgerechnet Braunkohle, der klimaschädlichste aller fossilen Energieträger.

Derweil lassen die Forscherinnen und Forscher vom Copernicus Climate Change Service und vom Copernicus Atmosphere Monitoring Service keinen Zweifel daran, dass der Klimawandel im vollen Gange ist. Die beiden Institutionen sammeln im Auftrag der Europäischen Union am European Centre for Medium-Range Weather Forecasts im britischen Reading aktuelle und historische Daten über Klimaentwicklung und Zustand. Am gestrigen Dienstag stellten sie auf einer Pressekonferenz eine erste Auswertung für 2022 vor.

Demnach war das vergangene für viele europäische Länder das bisher wärmste Jahr in deren Wettergeschichte. Betroffen war vor allem Westeuropa. Hierzulande war es wie auch für den Kontinent als Ganzes das zweitwärmste Jahr. Das bisher wärmste Jahr für Europa war 2020; 2019, 2015 und 2014 waren fast genauso warm wie 2022.

Insgesamt hat sich Europa etwas schneller als alle anderen Kontinente und rund doppelt so schnell wie der globale Durchschnitt erwärmt. Allgemein gilt, dass sich über den Landmassen das Klima deutlich schneller erwärmt, als über den Ozeanen.

Die Karte illustriert den Dürre-Sommer in Europa 2022. Bild: ECMWF

Besonders heiß fiel in vielen Ländern der Sommer aus, der intensive Hitzewellen und eine intensive Dürre mit sich brachte. In Großbritannien wurden erstmals Temperaturen über 40 Grad registriert. Über Frankreich, Spanien, Deutschland und Slowenien wurden die höchsten Emissionen aus Waldbränden seit mindestens 20 Jahren gemessen.

Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung hatte den Hitzesommer 2022 mit Copernicus-Daten bereits im Oktober eingeordnet und dabei auf die hohe Zahl der Hitzetoten hingewiesen, die sich in den Sterbestatistiken zeigt. Rahmstorf geht von etwas über 100.000 Menschen aus, die an der Hitze gestorben sein könnten, wobei die Übersterblichkeit besonders stark in Spanien ausgeprägt war.

Wenige Jahre verbleiben noch für 1,5 Grad

Global betrachtet hat 2022 zwar keinen neuen Temperaturrekord aufgestellt, aber es gehört zu den acht wärmsten Jahren, die alle in die letzten acht Jahre fallen. Das vergangene Jahr war etwa 0,3 Grad Celsius wärmer als der Durchschnitt der Jahre 1991 bis 2020, die bei Copernicus als Referenzperiode genommen werden. Damit habe die über den ganzen Planeten und das ganze Jahr gemittelte Temperatur rund 1,2 Grad Celsius über dem Durchschnitt der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gelegen.

Diese Zeit wird meist als vorindustrielle Zeit betrachtet, auf die sich die Zielvorgaben der internationalen Verträge bezieht. Zwar ist das historisch nicht ganz korrekt, aber die industriellen Aktivitäten und damit der Treibhausgasausstoß waren in diesen Jahrzehnten im Vergleich zum 20. Jahrhundert noch vernachlässigbar. Außerdem liegen aus der Zeit vor 1850 zu wenig präzise Temperaturdaten vor, um globale Mittelwerte bestimmen zu können.

Wir sind also nur noch 0,3 Grad Celsius von jenen 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau entfernt, die, wie 2015 in der Pariser Klimaübereinkunft vereinbart, "möglichst" nicht überschritten werden sollen. Beim gegenwärtigen Tempo der globalen Erhitzung werden wir diese Grenze irgendwann im nächsten Jahrzehnt überschreiten.

Wir hatten an dieser Stelle bereits vergangene Woche über die Gefahren geschrieben, die ein auch nur vorübergehendes Überschreiten dieser 1,5-Grad-Celsius-Grenze mit sich brächte. Eine neue Risikoanalyse des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und anderer Institute hatte vor dem Erreichen sogenannter Kipppunkte gewarnt.

In verschiedenen Subsystemen wie der Nordatlantischen Zirkulation, den Eisschilden auf Grönland und in der Antarktis oder dem tropischen Regenwald im Amazonasbecken könnten Auflösungsprozesse angestoßen werden, die auch mit der künstlichen Entnahme großer Mengen CO2 aus der Atmosphäre später nicht mehr aufzuhalten wären.

Doch seine groß angelegte Entnahme von CO2 aus der Lufthülle des Planeten ist ohnehin noch Zukunftsmusik. Im Augenblick steigt die atmosphärische CO2-Konzentration weiter an, denn rund die Hälfte dessen, was durch Verbrennungsmotoren, Industrieprozesse, Kraftwerke und durch Entwaldung in die Atmosphäre gelangt, bleibt dort für die nächsten Jahrtausende. Um 2,1 Millionstel Volumenanteile (ppm, "parts per million") nahm sie 2022 zu, wie die von Copernicus ausgewerteten Satellitendaten ergaben.

Der Anstieg der globalen Kohlendioxid- und Methan-Konzentration in der Atmosphäre seit 2003. Bild: ECMWF

Auch die Methankonzentration ist weiter gestiegen, und zwar in den vergangenen drei Jahren jeweils so stark wie seit langem nicht mehr. Methan ist auf einen Zeitraum von hundert Jahren hochgerechnet im Vergleich von Molekül zu Molekül 27 bis 30 Mal so klimaschädlich wie CO2.

Der seit etwa Mitte der 2000er Jahre wieder zu beobachtende weitere Anstieg der atmosphärischen Methankonzentration wird vor allem auf die vielen Lecks beim sogenannten Fracking, der unkonventionellen Förderung von Erdgas, zurückgeführt, das insbesondere in den USA sehr weit verbreitet ist. Künftig soll dieses besonders klimaschädliche Gas per LNG-Tanker auch den deutschen Markt erreichen. An den Küsten im Norden wurden dieser Tage die ersten Tanker gelöscht.

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