Europäische Daten gehen die USA nichts an
Ein Urteil, das als Sieg für den Datenschutz gefeiert wird, ist eine Etappe im Kampf der kapitalistischen Zentren EU und USA
Der Europäische Gerichtshof hat am Donnerstag die EU-US-Datenschutzvereinbarung "Privacy Shield" gekippt. Hintergrund ist eine Beschwerde des Datenschutzaktivisten und Juristen Maximilian Schrems, der die irische Datenschutzbehörde aufgefordert hat, die Datenübertragung in die USA in gewissen Fällen zu unterbinden.
Facebook Irland leitet seine Daten an den Mutterkonzern in den USA weiter. Dort ist es verpflichtet, die Daten auch Überwachungsbehörden wie dem FBI oder der NSA zugänglich zu machen, ohne dass die Betroffenen dagegen gerichtlich vorgehen können. Die irische Datenschutzbehörde wandte sich an das höchste irische Gericht, das wiederum den Fall dem EuGH vorlegte.
Es ist schon das zweite Mal, dass Schrems eine Datenvereinbarung zwischen den USA und der EU zu Fall brachte. Die Genugtuung nach dem jüngsten Urteil war groß und reichte von der FDP über die Grünen bis zu den Linken. Auch außerparlamentarische Gruppen wollten an der Gerichtsentscheidung partizipieren. Wenn das Urteil dann noch als großer Sieg für den Datenschutz gefeiert wird, ist eine nüchterne Betrachtungsweise angebracht.
Symbolpolitik ohne praktischen Nutzen
Denn es ändert sich in der praktischen Politik erst einmal wenig. Die Luxemburger Richter erklärten, dass Nutzerdaten von EU-Bürgern weiterhin auf Basis sogenannter Standardvertragsklauseln in die USA und andere Staaten übertragen werden können. Da der Großteil des Datentransfers sich auf diese Standardklauseln bezieht, reagiert die Politik recht gelassen. Die EU-Kommission wird nun wieder Verhandlungen mit den US-Behörden aufnehmen, die sich einige Zeit hinziehen dürften. Am Ende könnte wieder eine Vereinbarung stehen, die vielleicht vom Europäischen Gerichtshof erneut gekippt wird.
Derweil läuft der Datenverkehr gemäß der Standardvertragsklauseln weiter. Max Schrems ist der einzige, der davon profitieren kann. Er hat sicherlich Chancen bei sämtlichen Parteien, die sich im globalen Standort EU gegen die USA positionieren wollen. Darum geht es im Kern beim gegenwärtigen Streit. Der schillernde Begriff des Datenschutzes suggeriert, dass es um Bürgerrechte geht.
Daten sind heute eine wichtige Profitquelle und die will man den USA nicht so billig überlassen. Damit möchte die EU selbst Profit machen. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Moritz Körner benannte diesen Zusammenhang in einem Interview mit dem Deutschlandfunk deutlich:
Ein weiterer Hebel sei auch in der US-Wirtschaft zu finden, denn die EuGH-Entscheidung betreffe direkt das Geschäftsmodell von Digitalunternehmen wie Facebook: "Mark Zuckerberg wird jetzt sicherlich auch mal mit seinen Behörden dort sprechen müssen, denn das ist tatsächlich etwas, was sein Geschäftsmodell gefährdet, und das ist auch gut so."
Moritz Körner, Deutschlandfunk
Es geht also nicht um Datenschutz, sondern darum, die US-Digitalunternehmen zu schwächen, die schließlich eine wichtige Konkurrenz im globalen Kampf der kapitalistischen Zentren sind.
Kein Persilschein für die USA
Das bringt Körner in dem Interview an vielen Stellen zum Ausdruck. So erklärt er, "dass die weitreichenden US-Überwachungsgesetze nicht mit den Grundrechten in der EU vereinbar sind. Das ist der erste Punkt. Dort müssten tatsächlich US-Überwachungsgesetze verändert werden".
Deutlicher kann die Anmaßung, über die USA triumphieren zu wollen, von EU-Nationalisten wie Körner nicht formuliert werden. Nun kann man sich zurücklehnen und sagen, hier handelt es sich um die Auseinandersetzung von zwei kapitalistischen Zentren und ihrer Vertreter. Doch man sollte auch die anti-US-amerikanischen Töne nicht überhören, die in dieser Debatte mitschwingen. Gerade in Deutschland kann man den USA anscheinend nicht oft genug deutlich machen, wie überlegen doch die eigenen Werte sind, die jetzt mit dem Adjektiv "europäisch" versehen werden.
Das scheint auch für manche Nachgeborene eine späte Genugtuung dafür, dass vor 75 Jahren auch US-Soldaten mitgeholfen haben, den Nationalsozialismus zu zerschlagen. Wer diesen Zusammenhang für konstruiert hält, sollte sich fragen, warum dann Moritz Körner davon spricht, dass es keinen Persilschein für die USA geben dürfe. Persilscheine wurden die Formulare genannt, mit denen sich Ex-Nazis nach 1945 bescheinigen ließen, dass sie schon immer gegen Hitler und Co. waren.
Mit solchen Persilscheinen wurde die Entnazifizierungspolitik der Alliierten nach 1945 schon sehr früh konterkariert, bevor sie im ausbrechenden Kalten Krieg in den Hintergrund trat. Wenn Körner betont, dass es keinen Persilschein für die USA geben dürfe, stellt er diesen geschichtlichen Zusammenhang selbst her. 1945 haben sich viele deutsche Volksgenossen mit Persilscheinen von ihrer Beteiligung an der mörderischen NS-Politik freigesprochen. Was sind die Verbrechen der USA, für die es nach Meinung von Körner keinen Persilschein geben darf?
Nun sind es nicht nur Politiker wie Körner, sondern auch Nichtregierungsorganisationen wie noyb, die den USA EU-Regelungen aufzwingen wollen. So erklärte ein noyb-Sprecher im Deutschlandfunk-Interview:
Aber allgemein liegt es hier wohl an den USA, dass deren interne Rechtsordnung, wenn es um die Überwachung geht, tatsächlich nun neu überdacht werden muss.
Alan Dahi, Deutschlandfunk
Wenn Daten nicht mehr privat sind, sondern der Gesellschaft gehören
Nun weiß Dahi auch, dass es sich hier um einen Machtkampf zwischen zwei kapitalistischen Zentren handelt, bei dem nicht klar ist, ob es hier einen Sieger geben wird und wer das sein wird. Es kann auch temporäre Kooperationen geben, beispielsweise wenn es neue islamistische Anschläge geben sollte. Organisationen wie noyb frönen schon im Namen ("none of your business") einem Ultra-Individualismus, wie er kennzeichnend für den Kapitalismus ist, wo vor der Ware jeder individuell ist.
Für eine emanzipative Gesellschaft müssten aber die Daten zusammengetragen werden, damit sie die gesellschaftliche Planung befördern. Das geht natürlich nicht in Gesellschaften, die vom kapitalistischen Verwertungsinteresse geprägt sind. Aber die meisten Datenschützer können sich gar nicht mehr eine solche Gesellschaft vorstellen. Doch das sollte kein Grund sein, in einem Streit Partei zu ergreifen, wo es nur darum geht, ob die EU oder die USA mit den Daten Geschäfte machen.