Europas Doppelkrise: Regierungen fallen, Wirtschaft schwächelt

Baukrane auf dem Hintergrund des Verlustdiagramms.

(Bild: Roman Barkov / Shutterstock.com)

Der Zerfall der Regierungen in Frankreich und Deutschland trifft Europa zu einem schlechten Zeitpunkt. Unternehmen warten auf politische Klarheit, um Investitionen zu tätigen.

Deutschland und Europa stecken in einer ökonomischen Krise – das ist seit Langem bekannt. Und die Hoffnung auf eine baldige Wende scheint vergeblich, nachdem erst die deutsche und nun auch die französische Regierung zerbrochen sind.

In einer Analyse der Nachrichtenagentur Reuters heißt es, die politische Krise in den beiden großen europäischen Volkswirtschaften komme zu einem besonders ungünstigen Zeitpunkt. Viele europäische Unternehmen stehen vor wichtigen Investitionsentscheidungen, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können. Die politischen Krisen erschweren dies jedoch.

Europa vor großen Herausforderungen

Die Herausforderungen für Europa sind klar. In den USA kehrt Donald Trump ins Weiße Haus zurück. Schon vor seiner Vereidigung hat er Zölle auf europäische Produkte in Aussicht gestellt; auch in der Sicherheitspolitik stellt er höhere Anforderungen an Europa.

Zudem müssen sich die Europäer auf zunehmende Handelsspannungen mit China einstellen. Nachdem Brüssel zusätzliche Zölle gegen chinesische Elektroautos verhängt hat, schlägt das Pendel zurück nach Europa. Aber auch deutsche Komponentenhersteller warten auf Klarheit, etwa über die europäische Industriestrategie für Elektrofahrzeuge.

In der Europäischen Union ist man sich weitgehend einig, dass die einzelnen Volkswirtschaften modernisiert werden müssen, um den Wohlstand einer alternden Bevölkerung von 450 Millionen Menschen zu sichern. Doch ob die Politiker in der Lage sind, die notwendigen Reformen umzusetzen, ist ungewisser denn je.

Enrico Letta, Autor eines EU-Berichts über die Schwächen der europäischen Wirtschaft, warnt: „Die Krise in Frankreich und die in Deutschland dürfen die Umsetzung der Wirtschaftsreformen nicht verlangsamen“. Der Sturz der Regierung von Präsident Emmanuel Macron sei ein „potenzieller Meteorit“ für die finanzielle Stabilität in einer Region, die mit einer hohen Verschuldung zu kämpfen habe.

Europa bleibt zurück

Dass die Regierungen in Europa unter Druck geraten, wird oft – auch von Reuters – mit dem Aufstieg rechts- und linkspopulistischer Parteien in Verbindung gebracht. Dies erschwere die Konsensfindung in den nationalen Parlamenten und den EU-Institutionen und damit die langfristige Beseitigung von Missständen.

Der Aufstieg dieser Parteien dürfte jedoch nicht die Ursache, sondern die Folge von Problemen sein, die nicht angegangen werden. Man könnte auch sagen, dass es sich die Europäer in den vergangenen Jahren bequem gemacht, über ihre Verhältnisse gelebt und sich selbst überschätzt haben.

Beim Wirtschaftswachstum pro Kopf sind die Europäer seit der Finanzkrise 2008 hinter den USA zurückgefallen, so Reuters. Und der Aufstieg anderer Länder zu wirtschaftlichen Supermächten wurde weitgehend verschlafen. Stattdessen habe man sich in wirtschaftlicher Kleinstaaterei eingerichtet.

Ein einheitlicher Kapitalmarkt hätte neue wirtschaftliche Impulse gegeben. Banken und Konzerne hätten eine Größe erreichen können, die sie im globalen Wettbewerb stark gemacht hätten. Aber das ist bisher daran gescheitert, dass man sich auch nach 20 Jahren gemeinsamen Daseins in einer Wirtschaftsunion nicht so recht über den Weg traut.

Nicht zuletzt rühren die Probleme wohl auch daher, dass die Regierungen der EU-Staaten ihre Stärke überschätzt haben. Deutlich wurde dies nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine. Sanktionen wurden verhängt, um Russland in die Knie zu zwingen. Aber, so Reuters, man beraubte die europäischen Hersteller einer billigen Energiequelle.

Unternehmen warten auf politische Klarheit

Viele Unternehmen stehen jetzt vor wichtigen Entscheidungen, ob sie noch in Deutschland und Europa investieren können. Der Zusammenbruch der Regierungen in Deutschland und Frankreich macht es ihnen nicht leicht.

Axel Petruzelli, Betriebsratsvorsitzender im Stuttgarter Werk des Autozulieferers Bosch, sagte der Nachrichtenagentur Reuters, der Bruch der Ampelkoalition sei „Gift für uns“. Man warte dringend auf Klarheit über die deutsche Industriepolitik für Elektroautos – aber mit Antworten sei wohl erst nach Neuwahlen zu rechnen.

Auch die Lufthansa sieht sich mit Funkstille aus Berlin konfrontiert. Sie fordert eine Senkung der im europäischen Vergleich hohen Flughafengebühren und erwägt sogar eine Verlagerung auf kostengünstigere Drehkreuze wie Rom.

Für den französischen Triebwerkshersteller Safran ist die politische Stabilität ein Schlüsselfaktor bei der Standortentscheidung für ein neues Werk für Carbonbremsen, die Anfang nächsten Jahres fallen soll. Das Scheitern des französischen Parlaments, sich auf einen Haushalt für 2025 zu einigen, erhöht zudem den Druck, die Ausgaben zu begrenzen.

Wachstum stockt, Handelskonflikte eskalieren

Da die europäische Wirtschaft in diesem Jahr nur um knapp ein Prozent wachsen wird, ruhen viele Hoffnungen auf dem Konsum. Doch die politischen Krisen könnten die Verbraucher verunsichern. „Ein solches politisches Klima ist für den Konsum im Allgemeinen und für größere Anschaffungen wie ein neues Auto im Besonderen nicht förderlich“, sagt Marc Mortureux von der französischen Autolobby PFA.

Unmittelbare Herausforderungen gibt es im Handel: Chinas Entscheidung, Zölle auf europäische Brandy-Importe zu erheben, war für die Branche potenziell katastrophal. Trumps Drohung, Zölle von mindestens zehn Prozent auf alle US-Importe zu erheben, stellt Europas Solidarität auf die Probe.

Die Spannungen innerhalb der EU wurden deutlich, als die EU ein Handelsabkommen mit den Mercosur-Staaten paraphierte. Es kollidiert mit deutschen Interessen, neue Märkte für Autos und Maschinen zu erschließen, und französischen Interessen, den Agrarsektor vor Importen zu schützen. Durch die politischen Veränderungen in Paris und Berlin sei das endgültige Schicksal des Abkommens unklarer geworden, so Reuters.