Deutsche Industrie verliert dramatisch an Wettbewerbskraft
Deutsche Wirtschaft verliert international an Boden. Energie- und Produktionskosten belasten stark. Bei Wettbewerbsfähigkeit droht Absturz ans Ende Europas.
Die Lage der deutschen Wirtschaft könnte kaum düsterer sein: Seit mehr als zwei Jahren befindet sich Deutschland in einer anhaltenden Stagnationsphase, im zweiten Quartal 2024 schrumpfte die Wirtschaftsleistung erneut.
Nach Ansicht der Experten des Münchner ifo-Instituts hat die aktuelle Schwäche neben konjunkturellen auch handfeste strukturelle Ursachen. Die Industrie steht vor großen Herausforderungen wie Dekarbonisierung, Digitalisierung und Fachkräftemangel.
Industrie unter Druck: Immer mehr Branchen klagen über Wettbewerbsnachteile
Besonders besorgniserregend ist die Situation im deutschen Verarbeitenden Gewerbe. Laut ifo Konjunkturumfrage berichtet die Mehrheit der befragten Industrieunternehmen von einer Verschlechterung der Wettbewerbsposition in Deutschland, in der EU und weltweit. Vor allem die Auslandsmärkte werden in allen Branchen sehr negativ eingeschätzt.
Ein Blick auf die Details zeigt die Dimensionen: Seit 2017 ist der Trend in allen abgefragten Märkten – Inland, EU und weltweit – mit Ausnahme eines kurzen Zwischenhochs in der Erholungsphase nach der Corona-Pandemie deutlich negativ.
In den vergangenen beiden Jahren verschlechterte sich die Situation dramatisch: Die Umfragewerte so schlecht wie noch nie seit Beginn der Erhebung 1994, heißt es in dem kürzlich veröffentlichten ifo-Bericht „Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie im freien Fall?“. Besonders prekär sei die Lage auf den Märkten außerhalb der EU.
Energiepreise und Bürokratie: Deutschlands Standortnachteile schlagen durch
Als Hauptgründe für die Misere nennen die befragten Unternehmen die hohen Energiepreise, die insbesondere die energieintensiven Industriebranchen wie Papier, Chemie, Glas und Metall im internationalen Vergleich stark belasten. Aber auch der hohe Bürokratieaufwand, steigende Kosten für Vorprodukte und die Steuerbelastung werden beklagt.
„Diese Gründe verursachen höhere Produktionskosten des Standorts Deutschland als in vielen anderen Ländern“, erklären die Studienautoren Stefan Sauer und Klaus Wohlrabe. Zudem leide die deutsche Wirtschaft unter einem anhaltenden Fachkräftemangel, der sich in den kommenden Jahren noch verschärfen dürfte.
Deutschland am Ende Europas? Nachbarländer schneiden deutlich besser ab
Besonders deutlich wird der Abwärtstrend Deutschlands im europäischen Vergleich. Ein Vergleich der Untersuchungsergebnisse aus 31 europäischen Ländern zeigt: Bei der Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit in den vergangenen zwei Jahren liegt die Bundesrepublik auf einem der hinteren Plätze – zusammen mit Finnland, Belgien und Österreich.
Das bedeute zwar nicht, dass Deutschland derzeit die schlechteste Wettbewerbsfähigkeit in Europa habe, denn es gehe nur um die relative Entwicklung, schreiben Sauer und Wohlrabe. „Allerdings lässt sich festhalten, dass die komparativen Vorteile des Standorts Deutschland zuletzt immer weiter geschrumpft sind.“
Um der Abwärtsspirale und einer drohenden Deindustrialisierung entgegenzuwirken, fordern die ifo-Experten dringend positive wirtschaftspolitische Impulse. Kurzfristig müsse die politische Unsicherheit durch eine rasche Regierungsbildung nach den anstehenden Neuwahlen reduziert werden.
Mittel- und langfristig müsse die Wettbewerbsfähigkeit durch Senkung der Energiekosten, Bürokratieabbau und Modernisierung der Infrastruktur gestärkt werden. „Nur wenn es gelingt, die strukturellen Probleme anzugehen und verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen, kann eine großflächige Abwanderung der industriellen Produktion aus Deutschland möglicherweise verhindert werden“, mahnen Sauer und Wohlrabe.