Eurovision Song Contest: Wird Deutschland gedisst?

Die Band Lord of the Lost nach dem Sieg beim Vorentscheid "Unser Lied für Liverpool". Bild: © Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0

Es bleibt dabei: Erst intensives Schönhören des deutschen Beitrags zu Hause, dann beim Contest weit hinten. Über die vielen Gründe für das schlechte Abschneiden.

Die Reaktionen waren ebenso erwartbar wie das Ergebnis: Der Eurovision Song Contest kommt mit einem intensiven Schönhöhren des deutschen Beitrags und geht mit dem deutschen Interpreten auf einem der hinteren Plätze.

Dauer-Moderator Peter Urban sinniert noch schnell, dass man eben überall in den Top 10 landen müsse und unmittelbar danach ertönt großes Wehklagen, begleitet vom Streichorchester der deutschen Leitmedien.

Keiner möge Deutschland, heißt es, und die Bild-Zeitung analysiert, dass das daran liege, dass die Deutschen immer alle belehren müssten. Klimaschutz, Flüchtlinge und so. Die ARD solle sich das Geld sparen, aussteigen.

Spoiler: Das wird sie nicht tun. Denn rein vom Preis rechnet sich die Sache. 473.000 Euro habe die Startgebühr den NDR in diesem Jahr gekostet, berichtet die Rheinische Post. Hinzu kommen Reisekosten, Honorare für die Band, Personalkosten im Sender selbst.

Für gut acht Stunden Sendezeit ist das ein guter Preis.

Was rauskommt, kann nur so gut sein, wie das, was man reinschickt

Doch der ESC ist keine normale Sendung. Der "Grand Prix" ist eine Welt für sich, mit einer lange Zeit sehr treuen Fangemeinde, einem sehr speziellen Wahlsystem und Regeln, die ständig verändert werden. Und die Herangehensweise des NDR scheint schon seit Jahren zu sein: Den Weg des geringsten Widerstands gehen, das machen, was man immer schon gemacht hat.

Es ist eine sehr kleine Gruppe, die darüber entscheidet, was am Ende unter dem Siegel "Germany" zum ESC geschickt wird. Und selbst wenn man mal das Publikum entscheiden lässt: Was dabei rauskommt, kann nur so gut sein, wie das, was man reinschickt.

Rückblende: 2009. Damals schickte der NDR ein musicalhaftes Konstrukt namens Axel Sings, Oscar Swings ins Rennen; das Ergebnis war ein überraschend guter 20. Platz. Denn zwar beteuerte man im NDR monatelang, dass das Lied doch voll super sei. Aber gespielt wurde es nicht mal in den eigenen Radiosendern.

Beim nächsten Mal tat man sich dann mit Stefan Raab zusammen, und Lena gewann mit "Satellite" den ESC. 2012 gab es den achten Platz; von 2017 zu 2018 sprang Deutschland von Platz 25 auf den Vierten. Es geht also. Der Beweis wurde mehrfach erbracht:

Schlechte Ergebnisse für "Allemagne" liegen weder am Klimaschutz, den Flüchtlingen oder weil Europa Deutschland grundsätzlich nicht mehr lieb hat. Sie liegen daran, dass Beiträge nicht gut genug sind.

Will man das im Stau, beim Bügeln, Kochen, Putzen hören?

Nur weil man ein Lied einigermaßen gut beim Autofahren hören kann, bedeutet das nicht, dass der Song auch beim ESC gut abschneidet. Und wenn man selbst das nicht kann, sollte man es gleich ganz sein lassen. Beispiel: Würde man das hier im Stau, beim Bügeln, Kochen, Putzen hören? Dafür gab es den 25. Platz.

Ja, aber so schlecht seien die Songs doch auch wieder nicht, heißt es an diesem Punkt dann oft. Tatsächlich kann niemand sagen, wie ein Lied beim ESC tatsächlich angekommen ist. Denn da ist das Wahlsystem, und das hat es in sich, wenn man es mit der Struktur der Wähler in Verbindung bringt. Der ESC hat eine sehr treue Fangemeinde und bei der Zuschauerabstimmung sind bis zu 20 Anrufe erlaubt.

Was die Fans können

Die Fans verfolgen die Vorbereitungen für den ESC, die Veröffentlichung der Beiträge sehr intensiv. Einige legen sich Playlists an. Während der Gelegenheitszuschauer an einem späten Samstagabend höchstens einmal zum Fernsprecher greifen wird, und das wohl auch nur dann, wenn er einen Beitrag gehört hat, den er wirklich mag, nutzen die Fans ihre 20 Stimmen und verzerren damit natürlich auch das Ergebnis, zumal auch der finanzielle Aspekt hinzu kommt.

In vielen Ländern sind die Anrufe kostenpflichtig. In Ländern mit niedriger Einwohnerzahl können so wenige Mehrfachwähler die Punkte aus diesem Land maßgeblich beeinflussen. Wie das Ergebnis aussähe, wenn alle nur eine Stimme hätten? Da die Mehrfachwähler naturgemäß den oberen Teil der Tabelle beeinflussen, ist zu vermuten, dass sich die Ergebnisse stark verändern würden. Wie stark, das würden nur konkrete Zahlen verraten. Und die sind nicht verfügbar.

Früher wurden die sogenannten "Nachbarschaftsstimmen" als große Gefahr für den ESC betrachtet. Dabei wurde davon ausgegangen, dass bei alleinigem Zuschauervoting vor allem für Nachbarländer gestimmt wird. Und tatsächlich gingen die Punkte gerade in Osteuropa oder auf dem Balkan in die Nachbarschaft.

Die European Broadcasting Union (EBU), die den ESC ausrichtet, versuchte, das durch die Einführung von Juries zu verhindern, die seit einigen Jahren die Hälfte des Ergebnisses liefern. Es gibt also zwei Gruppen, Jurymitglieder und Fans, die die Ergebnisse maßgeblich beeinflussen.

Die Jurys

Doch auch die Jurys sind nicht unvoreingenommen: Viele ihrer Mitglieder sind mit internationalen Plattenkonzernen verbunden, kennen die Interpreten teils auch persönlich. Willkommen auf der dunklen Seite des Planeten Eurovision: 2022 wurden die Punktesprecher aus sechs Ländern während der Sendung nicht eingeblendet.

Den Grund erfuhren die Zuschauer nicht. Erst nach der Sendung gab die EBU bekannt, dass es in Polen, Rumänien, San Marino, Georgien, Aserbaidschan und Montenegro Auffälligkeiten gegeben habe. Kurz gesagt hatten die Juries die anderen fünf Länder jeweils an die Spitze der Listen gesetzt, während in allen anderen Ländern diese sechs Staaten nur unter "war auch anwesend" liefen.

Es ist nicht das erste Mal, dass es Vorwürfe und auch deutliche Verdachtsmomente gibt. Denn die Beaufsichtigung des Jury-Votings ist eher mau. Man stimmt im eigenen Land ab, während der Generalprobe am Abend vor der eigentlichen Sendung. Es gibt jeweils einen Notar, der dafür sorgen soll, dass alles richtig läuft.

Und selbst wenn keine Korruption im Spiel ist, gibt es immer wieder Berichte von peinlichen Zwischenfällen: 2016 wurde bekannt, dass eine dänische Jurorin aus Versehen ihre Beiträge in der umgekehrten Reihenfolge gelistet hatte. Eigentlich wird der favorisierte Beitrag mit einer eins gekennzeichnet bis rauf zum 25. oder 26. Platz. Sie hatte es umgekehrt gemacht.

Und immer wieder beklagen sich Juroren darüber, dass das durchnummerieren der Beiträge in der Kürze der Zeit ab einem bestimmten Punkt willkürlich wird – denn welche Bedeutung hat es schon, ob ein Beitrag auf dem 15. oder dem 25. Platz steht? Denn tatsächlich zählen die Plätze 11 bis 25 / 26 gar nicht.

Die ersten zehn pro Juror werden in die bekannten ESC-Punkte umgerechnet, addiert und dann in eine Reihenfolge gesetzt. Das soll verhindern, dass Beiträge absichtlich heruntergewertet werden. Es sorgt aber auch dafür, dass auch maue Ergebnisse künstlich aufgehübscht werden – einfach weil schlechte Wertungen vollständig unter den Tisch fallen.

All’ diese Faktoren führen dazu, dass die hohen Punktzahlen schon seit einigen Jahren sowohl bei Zuschauern als auch bei den Juries auf einige wenige Länder entfallen. In diesem Jahr entfielen bei den Juries 46,09 Prozent aller möglichen Stimmen auf die Top 5, also rund 19 Prozent aller Teilnehmer. Bei den Zuschauern waren es 54,8 Prozent. Bei beiden entfielen jeweils über 70 Prozent aller Stimmen auf die Top 10. Waren diese Lieder so viel besser als die 16 anderen Länder?