"Ewig-Endlos-Lockdown"?
Auch nach dem 7. März soll es Lockerungen nur dann geben, wenn der Inzidenzwert "konstant" unter 35 liegt
Aktuell ist in Deutschland die Zahl der wöchentlich positiv ausgefallenen Sars-CoV-2-Tests pro 100.000 Einwohner mit 68 so niedrig wie seit dem Oktober nicht mehr. Trotzdem haben die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und die Regierungschefs der deutschen Bundesländer gestern eine weitere Verlängerung des Lockdowns beschlossen: Er soll nun bis 7. März dauern - wenn er bei einer weiteren Konferenz am 3. März nicht erneut verlängert wird. Das soll dann geschehen, wenn der Inzidenzwert bis dahin nicht "konstant" über 35 liegt.
"Bedeutung von Friseuren für die Körperhygiene"
Die Läden und Gaststätten bleiben deshalb noch mindestens dreieinhalb Wochen lang geschlossen - mit entsprechenden wirtschaftlichen Folgen für ihre Betreiber und die Arbeitskräfte, die dort tätig sind (oder waren). Die einzige Vorablockerung in diesem Bereich gibt es für Friseure: Sie dürfen ihre Salons ab dem 1. März aufsperren - aber nur "unter Auflagen zur Hygiene, zur Steuerung des Zutritts mit Reservierungen sowie unter Nutzung medizinischer Masken". Der Beschluss verweist in diesem Zusammenhang auf die "Bedeutung von Friseuren für die Körperhygiene", "insbesondere [für] ältere Menschen". Möglicherweise spielen dabei aber auch Facebook-Äußerungen von Bürgern eine Rolle, die sich gefoppt vorkommen, wenn sie die aktuellen Frisuren von Politikern sehen.
Über eine "schrittweise" Öffnung der Schulen und Kindertagesstätten, die Merkel noch bis mindestens 1. März geschlossen haben wollte, entscheiden dem heutigen Beschluss nach die Bundesländer - so, wie es die Verfassung eigentlich vorsieht. Die Regierungschefs von Berlin und Brandenburg haben bereits angekündigt, ab 22. Februar mit einem Wechselpräsenzunterricht anzufangen. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder, der einem angeblich aus seinem Umfeld stammenden Social-Media-Gerücht nach persönlich panische Angst vor Covid-19 haben soll, will damit noch warten.
Opposition und Bundesverfassungsgerichtspräsident mahnen Rückgabe der Entscheidungskompetenz an die Abgeordneten an
Damit haben sich Merkel und die Ministerpräsidenten gegen einen Stufenplan mit festen Wenn-Dann-Regeln entschieden, wie ihn die FDP vorschlug. Das Modell der Liberalen sah vor, dass ab einer Sieben-Tages-Inzidenz unter 50 Kindertagesstätten in den Regelbetrieb übergehen und Gaststätten, Hotels und Fitnessstudios unter Auflagen öffnen dürfen. Für den FDP-Bundestagsfraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann hat die Exekutive darüber hinaus auch die Gelegenheit einer "Re-Parlamentarisierung der Corona-Politik" verpasst, weil sie den Bundestag erneut außen vor ließ.
Damit ist er sich sowohl mit dem AfD-Vorsitzenden Tino Chrupalla einig (der eine "verfassungsgemäße Transparenz und Rückkehr der ergebnisoffenen Debatten in unsere Parlamente" verlangt), als auch mit der Linken-Fraktionsvorsitzenden Amira Mohamed Ali. Sie twitterte, Merkel solle aufhören, "am Parlament vorbei zu regieren", und verwies in diesem Zusammenhang auf Äußerungen des Bundesverfassungsgerichtspräsidenten Stephan Harbarth. Der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete hatte der Rheinischen Post vorher gesagt, die Exekutive könne auch in einer Krise nicht unbegrenzt lange alleine entscheiden.
Zunehmend schlechte Stimmung
Dass weiterhin alleine entschieden und der Lockdown verlängert wird, begründeten Merkel und die Ministerpräsidenten gestern mit den Mutationen des Sars-CoV-2-Virus, die sie "Mutanten" nennen. Ein Neologismus, den auch die Leitmedien übernommen haben, und der Assoziationen mit Horrorfilmszenarien weckt. Eine andere Begriffsschöpfung ist die von Merkel und vom baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann verwendete "Öffnungsorgie". Diese Kombination bringt dem Eindruck des Welt-Chefredakteurs Ulf Poschardt nach "Freiheitsverachtung, Lustfeindlichkeit und Autoritätsfetisch zusammen".
Sein Kollege Paul Ronzheimer zweifelt daran, dass die neue Zielgröße 35 bis 7. März erreicht wird, und warnt vor einem "Ewig-Endlos-Lockdown". Damit gibt er eine Stimmung in der Bevölkerung wieder, die auf der gestrigen Pressekonferenz auch Markus Söder ansprach, und die sich unter anderem in Sozialen Medien Bahn bricht. "Bekämpft man noch das Virus oder schon die Familien und Einzelhändler?" heißt es dort beispielsweise.
Um dieser Stimmung etwas entgegenzusetzen, sollen lockdowngeschädigte Unternehmen ab heute Online-Anträge auf jeweils bis zu 100.000 Euro Staatshilfeabschlag für die Monate November bis Februar stellen können. Wegen der Verzögerung dieser Abschlagszahlungen hatte es Medienberichten nach vorher einen "heftigen Wortwechsel" zwischen Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und dem Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus gegeben. Brinkhaus soll Altmaier dabei Versagen vorgeworfen haben, worauf hin der Merkel-Vertraute die Schuld angeblich Bundesfinanzminister Olaf Scholz zuschob.
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