Expo-Widerstand gescheitert?

Interview mit einem Aktivisten der Expo-No-Bewegung

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Jörg Bergstedt gehört zweifellos zu den Koordinatoren des Expo-Widerstandes. Er war bei der Gruppe dabei, die sich von der Verkehrsleitbrücke beim Expo-Schnellweg abgeseilt hat und festgenommen wurde. In der Anti-Expo-Woche während der Eröffnung sollten vielfältige Aktionen gegen die Weltausstellung in Hannover stattfinden. Ziel war es, die Eröffnung zu verhindern bzw. mindestens zu blockieren. Doch mangels Besuchern, diffuser Aktionen und massiver Polizeipräsenz verpufften viele der Aktionen.

Ist der Expo-Widerstand gescheitert?

Jörg Bergstedt: Die eigentliche Idee der Aktionswoche, die Expo lahm zu legen, ist misslungen - keine Frage. Immerhin habe ich aber inzwischen Berichte und Infos aus über 100 Aktionsgruppen, die in Hannover waren und eigene Ideen hatten. Das ist für eine Bewegung, wie sie in diesem Lande leider existiert mit ihren Kadern, Verbandsstrukturen, Filz usw. zwar kein Erfolg, aber hoffentlich ein Schritt hin zu einer Widerständigkeit statt der seit Jahren bestehenden Langeweile bis zur Anpassung in den politischen Aktionsformen. Gar nicht rübergebracht haben wir unsere Inhalte, da von Beginn an die Debatte um Besucherzahlen dominierte. Trotz allem, ich glaube, der 1. Juni scheiterte vor allem daran, dass die Expo nicht stattfand. Ich hoffe, die Motivation zur Widerständigkeit trägt noch weiter.

Warum gelang es nicht, mehr Menschen aktiv gegen die Expo zu mobilisieren?

Jörg Bergstedt: Als Zwischenschritt zu einer widerständigen Bewegung über 100 aktionsfähige Gruppen zusammen zu bekommen, finde ich gar nicht so wenig. Es ist halt keine Massenaktionsform, wo Mensch Politik konsumieren kann. Aber vergleiche doch die Kölner Aktionen von vor einem Jahr - 30.000 Leute und null Effekt. Da wollen wir weg von.

Lag die mangelnde Beteiligung auch an den diffusen Aktionen, die angekündigt worden waren? Das Spektrum der Aktionen ging doch wirklich vom Lausbubenniveau bis hin zu möglichen Sabotageakten. Halten derartige Konzepte die Menschen nicht von ihrer Demonstrationsbereitschaft ab?

Jörg Bergstedt: Wie gesagt, so negativ sehe ich es nicht. Es muss eine kritische Reflexion geben, was alles Scheiße gelaufen ist - und das war eine ganze Menge, mich eingeschlossen. Doch die Grundidee eines Widerstandansatzes von unten, wo alle ihre Aktionsidee umsetzen können - eben von der Demo über Buttersäure oder Sabotage bis zu Blockaden und Kissenschlachten auf Kreuzungen - die ist richtig. Wir stehen nur ganz am Anfang. Demos sind Teil des Ganzen, aber nicht mehr alles. Das war viel zu langweilig die letzten Jahre.

Schon zu den verschiedenen lokalen Mobilisierungstreffen kamen nur 20 bis maximal 30 Leute. Eine geringe Beteiligung in Hannover war also absehbar. Kritiker äußerten deshalb schon im Vorfeld Bedenken gegen ein verpuffendes Kleingruppenkonzept. Wie sollte so die Botschaft gegen die Expo vermittelt werden?

Jörg Bergstedt: Nur? Wenn in Gießen oder Jena 20 Leute, in Neubrandenburg oder Dresden 10 Leute kommen, in Nürnberg 50 oder in Göttingen 120, dann finde ich es blöd, zu lamentieren. Es gibt an selbstorganisierter Bewegung halt nur wenig. Das zu überwinden ist unser Ziel. Die Botschaft gegen die Expo wollten wir vermitteln mit einer Blockade am 1. Juni, auf die dann eine inhaltliche Debatte um Zukunft aufbaut. War halt nicht. Wir müssen neu überlegen. Und wenn 20 oder 30 Leute in jedem Ort das tun, ist es gut.

Absolut umstritten ist die Kooperation mit Leuten von den Chaos-Tagen. Wollen heutige Demonstranten in Wirklichkeit eher friedlich demonstrieren und sind deshalb auch weggeblieben?

Jörg Bergstedt: Ich habe kein Problem mit den Chaostag-Leuten. Bewegung von unten muss verschiedene Strategien aushalten - wenn sie sich gegen Herrschaft wenden und für eine freie Gesellschaft eintreten. Ich verstehe, dass viele Menschen in Hannover ein Scheißgefühl hatten, als Karl Nagel & Co. die Internetseite gemacht haben. Ich glaube aber, dass es kein Weg ist auszugrenzen - außer wenn die Ziele gegenläufig sind wie bei Nationalisten oder Rassisten. Daher: Vielfalt wagen, Widerstand organisieren von der Straße bis zum Internet.

Die Kritik gegen die Expo klingt wie eine Generalabrechnung. Gibt es denn auch Bereiche der Weltausstellung, die empfehlenswert sind?

Jörg Bergstedt: Ja, leider. Denn das ist wie der Nistkasten am Atomkraftwerk - abgesehen mal davon, dass ja auch tatsächlich auf der Expo für Atomkraftwerke, Gentechnik, Transrapid usw. geworben wird. Was soll der Stand von amnesty international in einem Themenpark, in dem als Schuldige für Kriege und Vertreibung die sich vermehrenden Menschen benannt werden?

Glauben die Leute im Expo-Widerstand wirklich, dass Menschen, die 70 DM Eintritt bezahlt haben, ernsthaft Lust haben, sich mit dem Elend der Welt auseinander zu setzen? Die Expo-Besucher wollen doch ihren Spaß haben und unterhalten werden.

Jörg Bergstedt: NEIN!

Wie sollte die nächste Weltausstellung aussehen?

Jörg Bergstedt: Erstens, in einer Welt von unten, also der freien Menschen in freien Vereinbarungen, gibt es keine Chance für so etwas. Die Frau mit Kindern aus armen Ländern wird in den gegebenen Verhältnissen nie mitwirken können, eine solche Expo ist immer eine Eliteveranstaltung. Hier treffen sich nicht "die Menschen" oder "die Völker", sondern die Eliten von überall her. Zweitens, vor oder nach der Revolution?