Facebooks Quasi-Monopol schränkt Definitionsmöglichkeiten von "Hassrede" ein
Einem Urteil des Landgerichts Bamberg nach muss der Konzern wegen seiner herausragenden Stellung ähnlich wie eine staatliche Stelle Grundrechte gegeneinander abwägen
Das Landgericht Bamberg hat am 18. Oktober ein ausführliches (aber noch nicht rechtskräftiges) Endurteil zu einer Facebook-Sperre gefällt (Aktenzeichen 2 O 248/18), in dessen Begründung es sich ausführlich mit der Klärung zweier Fragen auseinandersetzt, die auch für viele andere Fälle relevant sind: Mit der Frage, ob der Social-Media-Konzern ein faktisches Monopol hat, und mit der Definition des Begriffs "Hassrede" .
Zur Monopolfrage führen die drei Richter unter Rückgriff auf ein Urteil des Oberlandesgerichts Dresden vom 8. August aus, dass Facebook unter anderem wegen seiner Nutzerzahlen "einen Stellenwert im Rahmen des Informations- und Meinungsaustauschs ein[nimmt], der in allen Bereichen des öffentlichen Lebens - auch des politischen - eine so große Rolle spielt, dass damit eine Quasi-Monopolstellung einhergeht".
An diesem Status ändert sich auch nichts, wenn das Unternehmen und seine Prozessbevollmächtigten einfach etwas anders behaupten, ohne überzeugende Argumente dafür vorzulegen: "Das pauschale Verwahren der Verfügungsbeklagten gegen die Annahme einer Quasi-Monopolstellung" geht dem Gericht nach "ins Leere, "denn es wurde nichts vorgetragen, das die Annahme einer Quasi-Monopolstellung in Abrede hätte stellen können".
Mittelbare Grundrechtsbindung
Liegt ein Quasi-Monopol vor, kann sich die so genannte "mittelbare Grundrechtsbindung" der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nach so weit ausdehnen, dass Grundrechte nicht nur bei staatlichen Stellen, sondern auch bei Privatunternehmen "nahezu unmittelbar" gelten - auch als Abwehrrechte von Bürgern. Grundrechte können nämlich "umso mehr Geltung für sich beanspruch[en], je mehr [etwas] einem staatlichen Eingriff gegenüber einem Bürger nahe kommt". Zum Beispiel dann, wenn ihm die Gelegenheit genommen wird, etwas auf dem "wichtigsten digitalen Marktplatz" zu äußern.
Für Facebook heißt das, dass das Unternehmen bei der Auslegung seiner Definition des Begriffs "Hassrede" nicht nach Lust und Laune walten kann, sondern unter anderem die in Artikel 5 des Grundgesetzes geschützte Meinungsfreiheit seiner Nutzer berücksichtigen muss. Dieser Meinungsfreiheit der Nutzer kann die Firma ihr in Artikel 14 des Grundgesetzes geschütztes Eigentum, die in Artikel 12 geschützte Berufsfreiheit, das von der Rechtsprechung entwickelte Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb sowie die allgemeine Handlungsfreiheit aus Artikel 2 entgegensetzen und dann abwägen.
Und zwar im Einzelfall und so, dass es "kollidierende Grundrechtspositionen […] in ihrer Wechselwirkung […] erfass[t] und nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz so in Ausgleich […] bring[t], dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden". "Maßgeblich" dabei ist den Bamberger Richtern nach, dass die in den Grundrechten liegenden Wertentscheidungen hinreichend zur Geltung" gebracht werden, wobei unter anderem "das Ungleichgewicht zwischen sich gegenüberstehenden Parteien […] oder die soziale Mächtigkeit einer Seite eine maßgebliche Rolle spielen" können.
"Außer Acht bleiben [muss], ob die Meinung von [Facebook] geteilt wird oder nicht"
Im verhandelten Fall nahm das Gericht diese Abwägung vor, und kam dabei zum Ergebnis, dass die unlängst von Henryk M. Broder und Vera Lengsfeld im Bundestag erläuterte Petition Erklärung 2018 von Facebook nicht als "Hassrede im Sinne der Gemeinschaftsstandards" gewertet werden darf. Postet sie ein Nutzer, darf ihn das Unternehmen dafür weder sperren, noch das Posting löschen. Denn die Erklärung erhält dem Gericht nach zwar "Tatsachen und Wertungen auch hinsichtlich illegaler Einwanderung, allerdings sind diese bezogen auf einen aktuellen politischen und gesellschaftlichen Diskussionspunkt fußend auf der Einwanderungs(grenz)politik und damit Teil dessen, was die Verfugungsbeklagte aufgrund ihrer Quasi-Monopolstellung als Meinung im Sinne des Art. 5 GG zuzulassen hat".
Den Spielraum für so eine grundgesetzkonforme Auslegung lassen die vom Konzern vorgegebenen Definitionen der Ansicht des Gerichts zu, weshalb sie nicht von vorneherein ungültig sind. Die Richter bemängeln jedoch eine gegen die Vertragstreue verstoßende Widersprüchlichkeit, "wenn dem Nutzer im Rahmen der Gemeinschaftsstandards [mit Sätzen wie 'Wir lassen Humor und Gesellschaftskritik in Verbindung mit diesen Themen zu'] per definitionem erlaubt ist, entsprechende Kritik zu äußern, um diese Kritik im Anschluss zu verbieten".
Und sie mahnen Facebook, dass beim Löschen und Sperren "außer Acht bleiben [muss], ob die Meinung von der Verfügungsbeklagten geteilt wird oder nicht, ob sie moralisch oder unmoralisch erscheint, da grundsätzlich jede Meinung erlaubt sein muss, die Rechte Dritter nicht verletzt". Der Hamburger Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel, der das Urteil erwirkte, sieht es auch deshalb im Gespräch mit Telepolis als "weiteren Erfolg gegen das Löschen mit politischer Schlagseite, das Facebook seinen Nutzern - noch - zumutet".
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