Faire Nutzung, faule Tricks
Eine neue Studie soll zeigen, dass der ökonomische Nutzen von Urheberrechtsverletzungen mehr zur Wirtschaft beiträgt als das Urheberrecht selbst. Hat jemand sie gelesen?
Am 13. September verbreitete Googles Policy-Blog die Nachricht, dann wurde auch in Deutschland gejubelt: US-Bericht: "Fair Use" ist profitabler als "Copyright" hieß es und Studie: Massive Wirtschaftsförderung durch "Fair Use".
Es folgten Auszüge aus einer Pressemeldung über eine im Auftrag der Computer and Communications Industry Association (CCIA) durchgeführte Studie: Amerikanische Wissenschaftler haben herausgefunden, dass in den USA so genannte "Fair-Use-Industrien" im Jahr 2006 insgesamt einen Jahresumsatz von 4,5 Billionen Dollar erzielten und dabei einen Mehrwert von 2,2 Billionen Dollar erwirtschafteten, 16,6 Prozent des Bruttosozialproduktes der USA. Die International Intellectual Property Association dagegen, eine Vereinigung von Urheberrechtseignern, hatte im Januar gemeldet, dass die Copyright-basierten Industrien der USA 2005 etwa 1,38 Billionen Dollar erwirtschaftet hätten, 11,12 Prozent des Bruttosozialproduktes. Soll heißen: Fair geht vor, allein schon wegen der Ökonomie.
Die Fair-Use-Regel in Sektion 107 des US-amerikanischen Copyright-Gesetzes erlaubt Mediennutzern das Erstellen von Kopien urheberrechtlich geschützter Produkte und Materialien ohne Zustimmung der Rechteinhaber. Ohne Fair-Use-Bestimmung würde beispielsweise ein Internet-User, dessen Browser eine Webseite in den Cache seines Computers kopiert, gegen das Urheberrecht verstoßen, welches das Kopieren urheberrechtlich geschützter Werke gemeinhin untersagt.
Die CCIA-Studie nun definiert, im Unterschied zu "Copyright-Industrien", die so genannten "Fair-Use-Industrien" als solche, die entweder direkt von der Fair-Use-Regel und verwandten Rechtsgrundsätzen abhängen oder zumindest - nicht näher definierte - Vorteile daraus ziehen. Nach dieser Logik fließen zunächst mal Umsatz und Wertschöpfung der gesamten US-amerikanischen Hard- und Software-Industrie sowie der Hersteller aller Arten von Unterhaltungs- und Industrieelektronik in die Studie ein. Hinzugezählt werden auch Verleger und Medienvertriebe im Internet, Service-Provider, Telefonnetzbetreiber und die Hersteller von Kabeln und Drähten für die oben genannten Branchen.
Damit jedoch nicht genug: Wer sich darüber wundert, dass der durch Urheberrechte erzielte Mehrwert angeblich so viel kleiner ist als der durch faire Nutzung erwirtschaftete, der findet heraus, dass Presse und Film, Rundfunk und Fernsehen, Buchverlage und Musikindustrie, letztlich also die gesamte Copyright-gestützte Wirtschaft, eingemeindet und ihre Umsätze und Gewinne einfach als Resultate fairer Nutzung verbucht werden. Zusätzlich zu denen aller Grafiker, Architekten und Rechtsanwälten der USA. Und denen der Versicherungsindustrie. Aktienmärkte, Banken, Finanzwirtschaft allgemein? Alles wird dazugerechnet. Wenn ich mich nicht verzählt habe, werden die Erlösdaten von 57 Wirtschaftsbranchen als das Resultat einer einzigen gesetzlichen Regelung begriffen und aufaddiert.
Diese Zählweise führt zu einem numerisch für Fair-Use-Freunde großartig aussehendem Ergebnis, das jedoch nur durch das ausgiebige Spalten von Haaren und Abbrennen von Nebelkerzen zu rechtfertigen ist. Angesichts der Tatsache, dass heute kein Neuwagen mehr ohne Computer funktioniert, ist es verwunderlich, dass nicht auch die gesamte US-Automobilindustrie dem Lager der Fair-Use-Abhängigen zugerechnet wurde. Und es ist schwer einzusehen, warum der Gewinn eines Buchhändlers, der sich im Internet über Bücher informiert, deswegen der Existenz der fairen Nutzung zugerechnet wird, der Gewinn eines Bauern, der im Web nach dem Wetter guckt, jedoch nicht. Da in industrialisierten Ländern heute an beinahe jeder Stelle der Wertschöpfungskette vernetzte Computer zum Einsatz kommen, kann man auf diese Weise praktisch das gesamte Sozialprodukt als Resultat der Anwendung des Prinzips der fairen Nutzung interpretieren. Und das ist ein absurdes Ergebnis.
Weil sich der durchschnittliche Nachrichtenjournalist aber nur die halbseitige Pressemitteilung liest und nicht die 45-seitige Studie selbst [PDF], fand die von der CCIA erwünschte Nachricht Verbreitung: "Fair Use tut gut!" Zu den Mitgliedern dieser Lobbyorganisation gehören mit Google, Yahoo und Microsoft Firmen, die als Betreiber von Internet-Suchmaschinen in großem Stil von der unlizensierten Nutzung urheberrechtlich geschützten Materials profitieren.