Fall Epstein: Journalisten, die fraglos an Selbstmord glauben
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Kommentar: Der Fall bietet reichlich Stoff für Spekulationen, deshalb ist ein kritischer Journalismus gefragt
War es Mord oder Selbstmord? Im Fall Jeffrey Epstein zeigt sich wieder einmal eine Medienlandschaft, die sich sehr schnell an den einfachen "Wahrheiten" ausrichtet und die Verlautbarungen der Behörden übernimmt. Am Zeit-Artikel "Jeffrey Epstein - New Yorker Verschwörung" lässt sich exemplarisch aufzeigen, wie es aussieht, wenn Medien nicht sagen, was "ist", sondern basierend auf ihren Glaubensüberzeugungen sagen, was sein soll.
Der Fall Epstein ist brisant. Das steht fest. Es geht um hochrangige Persönlichkeiten und sexuellen Missbrauch. Dass solch ein Fall reichlich Raum für Spekulationen bietet, ist offensichtlich. Gerade deshalb ist ein kritischer Journalismus gefragt. Was solch ein Fall nicht braucht sind Journalisten, die bereits nach kurzer Zeit vom Schreibtisch aus meinen, "Wahrheiten" festzementieren zu können.
Wer sich als Journalist im Fall Epstein berufen fühlt, ferndiagnostisch zu sagen, was "ist", trägt zur Aufklärung nicht mehr bei als jenes angebliche Geraune aus dem Internet, das gerade Vertreter von Qualitätsmedien so sehr beklagen.
Kaum war Epstein tot, haben sich schon die ersten Verschwörungstheorie ausgebreitet, heißt es in der Berichterstattung großer Medien. Das ist korrekt. Doch sagen sollte man auch: Kaum war Epstein tot, haben sich zahlreiche Journalisten auf eine "Wahrheit" festgelegt, nämlich: Es war Selbstmord!
So schallt es derzeit nicht nur durch deutsche Medien. Um der journalistischen Sorgfaltspflicht gerecht zu werden, dürfen Wörter wie "mutmaßlich" oder "wohl" als Anhängsel mitschallen, doch beim genaueren Hinhören wird schnell deutlich, dass in nicht wenigen Artikel mehr oder weniger offen kommuniziert wird, welche Wahrheit die Berichterstatter favorisieren. Natürlich war es Selbstmord.
Das kann nicht sein, das darf nicht sein?
Die große Verschwörung, deren Arm bis in das Metropolitan Correctional Center reicht? Das kann nicht sein. Das darf nicht sein. Nicht bei einer Presse, deren Vertreter geradezu chronisch düstere Machenschaften der Eliten negieren.
Hochrangige Mitglieder der ehrenwerten Gesellschaft sollen in Missbrauch von Minderjährigen verwickelt sein? Einflussreiche, mächtige Kreise sollen dafür gesorgt haben, dass ein inhaftierter Verdächtiger, der zu viel weiß, beseitigt wird?
Bei solchen Äußerungen empören sich Journalisten großer Medien gleich reihenweise. Der naive Glauben an die guten Eliten sitzt tief. Er sitzt so tief, dass zumindest ein Teil der Journalisten geradezu reflexartig eine Art Schutzschild bildet, mit dem publizistisch selbst die größten Sauereien und Verbrechen verdeckt werden.
Dass dieser düstere grundsätzliche Verdacht von Abwehrmechanismen umgeben ist, lässt sich nachvollziehen. Das ist menschlich. Doch wenn gerade Mitglieder jener Berufsgruppe, die sich damit brüsten, die Realität schonungslos zu erfassen, also zu sagen, was "ist", bei solch einem Thema nicht über eine eindimensionale Erfassung der Wirklichkeit hinauskommen, dann versagt Journalismus.
Wie kann man in Anbetracht von Fällen wie Savile , Dutroux , Casa Pia, Franklin Cover-up, Sachsen-Sumpf usw. als Journalist den Tod von Epstein so schnell als Selbstmord einstufen?
"Amerika liebt seine Verschwörungstheorien"
Müsste das Wissen über die Hintergründe von Fällen wie den aufgezählten nicht dazu führen, dass Journalisten mit sehr viel mehr Misstrauen auf die Umstände des Todes von Epstein schauen? Natürlich. Dürfen sich kritische Journalisten im Fall Epstein darauf verlassen, dass die Behörden schon korrekt ermitteln werden? Sollen Medienvertreter von vorneherein jeden Manipulationsverdacht als abwegig abtun? Nein. Im Gegenteil. Ein kritischer Journalismus echauffiert sich bei solch einem Fall nicht über die Vermutung, Epstein könnte ermordet worden sein. Er hält sich mit Meinung zurück, eruiert selbst die Fakten, recherchiert und präsentiert dann, was er rausgefunden hat.
Man kann es aber auch anders machen, nämlich so:
Amerika liebt seine Verschwörungstheorien, und manchmal wirkt es, als könne Amerika ohne dieses ganze konspirative Gestrüpp gar nicht existieren. Die gefälschte Mondlandung, der Massenmord des 11. September 2001 durch Mossad und CIA, das vorgetäuschte und erfundene Schulmassaker von Newtown. Nun, die USA können bisweilen ein kluges Land sein, aber manchmal haben sie halt einen Knall.
Die Zeit
Mit diesen Zeilen beginnt ein Artikel, der auf Zeit Online erschienen ist und von Klaus Brinkbäumer verfasst wurde. Brinkbäumer, das wird auf seinem hinterlegten Profil ersichtlich, war "Redakteur des Jahres" und setzt sich in dem Artikel mit der Causa Epstein auseinander.
Die ersten Zeilen lassen die "mentale Struktur", die dem Artikel zugrunde liegt, erahnen. Mit den Verweisen auf bekannte Verschwörungstheorien und den entsprechenden Signalwörtern "Mossad" und "CIA" ist der Grundtenor des Artikels vorgegeben. Da wird davon geredet, dass Amerika "seine" Verschwörungstheorien liebt, gerade so, als handelte es sich dabei lediglich um ein kulturelles Phänomen, das sich allenfalls auf Ebene einer Geschmacksfrage bewegt. So wie Franzosen eine Liebe zum Wein haben, so haben Amerikaner eben eine Liebe für Verschwörungstheorien. C’est la vie! Oder: That’s life!
Die Sinnwelt, die in diesen Zeilen zum Ausdruck kommt, lässt keinen Raum für eine etwas komplexere Realität. Amerikaner setzen sich nicht etwa mit Verschwörungstheorien auseinander, weil sie erkennen, dass hinter der ein oder anderen "Theorie" möglicherweise eine wahre Realität steckt, sondern einfach nur, weil sie diese Theorien "lieben", ihren Spaß mit ihnen haben. So einfach sieht "Realität" aus, wenn Komplexitätsreduktion dazu benutzt wird, das eigene Weltbild zu bestätigen.
Dass Verschwörungstheorien, oder genauer: heterodoxe Betrachtungsweisen bei einer derart angelagerten Wahrnehmung der Realität nur noch als "Gestrüpp" sprachlich und gedanklich erfasst werden, ist offensichtlich. Ein journalistischer Beitrag kommt, wie so oft in den großen Medien, zum Vorschein, der vorgibt, aus der Sicht des übergeordneten, des alles erblickenden Beobachters verfasst zu sein. Große Verbrechen, Anschläge, historische Ereignisse: Sie werden in ein paar Zeilen zusammengefasst, denn man "weiß" eben, was "ist".
"Einen Knall haben"
Bisweilen, so geht es weiter, seien die USA ein "kluges Land", manchmal aber habe das Land schlicht einen "Knall". Unter Beachtung der in den großen Medien vorherrschenden Sichtweisen, dürfte vermutlich gemeint sein, dass die USA dann "klug" sind, wenn Obama oder die Clintons sprechen, und einen Knall haben, wenn Trump oder seine Anhänger sich zu Wort melden.
Dass Trump-Wähler nicht immer den stereotypen Vorstellungen entsprechen, wie sie in so mancher Redaktion hierzulande zu erkennen sind, davon durfte der Spiegel jüngst ein Liedchen singen, Stichworte: Kleinstadt Fergus Falls und gefälschte Reportage. Strafverteidiger Gerhard Strate spricht, das sei am Rande angemerkt, in dem Fall von "haltungsbesoffenen Redakteuren".
Weiter mit dem Artikel:
Als nun, am Samstag um 10 Uhr morgens, der Fernsehsender ABC die Nachricht in die Welt jagte, dass Jeffrey Epstein, 66 Jahre alt, um 6.30 Uhr tot in seiner Zelle des Metropolitan Correctional Center von New York aufgefunden worden war, ging es wie immer rasend schnell. Hatte er Hilfe gehabt? War er zum Suizid aufgefordert, gedrängt, gezwungen worden? Wer also wollte Jeffrey Epstein lieber tot als vor Gericht sehen? All diese Fragen wurden in den sozialen Medien gestellt, und wenn wir die USA richtig einschätzen, werden diese Fragen nicht wieder verschwinden. Die Wahrheit, so scheint es, ist banaler, wie meistens im Leben.
Die Zeit
Dieser Abschnitt ist von einem geradezu absurd komischen Moment geprägt. Da stellt ein Journalist fest, dass nach dem Tod Epsteins alles "rasend schnell" ging. Das heißt: Dass Bürger in sozialen Medien doch tatsächlich die Frage aufwerfen, was die Todesumstände einer Person sind, die als der wohl "wichtigste Gefängnisinsasse des Landes" bezeichnet werden darf und deren mutmaßliches Wissen über Verbrechen von Eliten und Machteliten nicht ganz ohne Bedeutung sein dürfte.
Nochmal in Zeitlupe: Hier wird allen Ernstes getadelt, dass Nutzer sozialer Medien jene zentralen Fragen stellen, die eigentlich von kritischen Journalisten öffentlich und mit der gebotenen Lautstärke gestellt werden müssten. Unfreiwillig zeigt sich hier, was es mit dem seit Langem andauernden Konflikt zwischen Medien und Rezipienten auf sich hat.
Während das Publikum sehr genaue Vorstellungen davon hat, was ein kritischer Journalismus leisten sollte, nämlich investigativ zu recherchieren, Angaben der Behörden zu hinterfragen, die richtigen Fragen zu stellen usw., sind auf der andere Seite Medienvertreter zu finden, die genau diese Fragen nicht stellen, sondern sich in geradezu atemberaubender Geschwindigkeit bereits einen Tag nach dem Tod Epsteins, mit den Verlautbarungen der Behörden synchronisieren.
"Die Antwort, so scheint es, ist banaler, wie meistens im Leben", heißt es in dem Zeit-Artikel.
Man darf sich an dieser Stelle durch die Einschränkung "so scheint es" nicht täuschen lassen. In diesem Beitrag ist, im Grunde genommen, kaum noch Raum für eine Alternative, die Wahrheit steht so gut wie fest (das wird besonders durch den Schluss des Artikels noch einmal deutlich). Ein ergebnisoffener Journalismus sieht anders aus. Doch das verwundert nicht.