Fall Hoeneß: Bruchlandung mit einem Schuhkarton Unterlagen
Der Versuch Selbstanzeige ist fehlgeschlagen, jetzt probiert es die Verteidigung des Steuerhinterziehers mit "Ehrlichkeit"
Hier im Süden, in der wohlhabenden Stadt München, gibt es viele, die Sympathie für "unseren Uli" haben. Den Erfolg des Fußballclubs heftet man sich gerne ans eigene Selbstbewußtsein, man identifiziert sich; von kleinauf, sämtliche Schülerfußballer laufen schon in roten Leiberl herum. Das führt zu Illusionen, die andere Welten kleiner machen - und sie unterschätzen lassen. Zum Beispiel: den Geltensbereich von staatlichen Gesetzen. Man schafft sich lieber eigene. Dazu gehört die Vorstellung, dass man "Sachen besser in eigener Regie" regele. Das ist der Irrglaube von Hoeneß, der ihn schon einmal in Konflikt mit der Münchner Staatsanwaltschaft gebracht hat und nun vor den Richter Heindl - mit einem "großen Schuhkarton Unterlagen", die dazu führten, dass seine Steuerschulden im Laufe des heutigen Tages auf 27 Millionen Euro anwuchsen. Eine harte Landung in der Realität.
Von einer "Punktlandung", wie dies Fachanwälte von einer Selbstanzeige fordern, damit sie nicht mehr Probleme schafft, als sie löst, kann nicht mehr die Rede sein. Die Selbstanzeige sollte so beschaffen sein, dass das Finanzamt damit zuverlässig die Steuerschuld berechnen kann. Nach dem, was in der Causa Hoeneß bekannt wurde, lieferte er zunächst nur Jahresendabrechnungen.
Offenheit mit einem berechnenden Element
Die Angaben müssen vollständig sein, verlangt § 371 der Abgabenordnung. Dieses Kriterium erfüllten die in einer hastigen Aktion mit amateurhaft agierenden Akteuren zusammengesuchten Belege, die am 17. Januar letzten Jahres für die Selbstanzeige vorgelegt wurden, nicht, wie man seit dem gestrigen Prozessauftakt weiß. Denn die Verteidigung Hoeneß versuchte einen Coup.
Sie steuerte neues Material zur Causa und ein Geständnis bei. Vorgelegt wurden Unterlagen, die auf eine Gesamtsteuerschuld von 18,5 Millionen Euro verwiesen, weit mehr als die Steuerschuld von 3,5 Millionen Euro, die ursprünglich Gegenstand der Klage waren. (Einfügung: Die für den Fall zuständige Steuerfahnderin hat beim heutigen Prozesstag die Steuerschuld auf 23,7 Millionen Euro geschätzt; da 3,5 Millionen Euro aus der Anklage dazu gerechnet werden, summiert sich die Steuerschuld gerade auf 27 Millionen.)
Daraus lässt sich zunächst einmal folgern, dass Hoeneß "bisher einen Teil seiner illegalen Einkommen verschwiegen hat". Und weiter, dass Hoeneß damit einen nächsten Zockerversuch startet. Den könnte man so umschreiben: "Wir legen alles Material offen, dass wir haben, an das die Staatsanwaltschaft sonst nie gelangt wäre." Der Angeklagte beweist guten Willen, er zieht das erste, doch nicht ganz saubere Hemd aus, um reuig blitzsaubere, ehrliche Haut zu zeigen - in der Hoffnung, damit doch noch irgendwie in den weiteren, zumindest gefühlten Geltungsbereich der Kriterien für die Selbstanzeige zu kommen.
(1) Wer gegenüber der Finanzbehörde zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt, wird wegen dieser Steuerstraftaten nicht nach § 370 bestraft.
§ 371, Abgabenordnung
Was zum Einsatz vorgebracht wird, ist die Ehrlichkeit von "unserem Uli". Doch ist die angeknackst. Zweimal schon hat Hoeneß in der Steuerbetrugssache gezockt. Als er auf das Abkommen mit der Schweiz hoffte und sich verrechnete und dann mit der schlampig vorbereiteten Selbstanzeige, die offensichtlich in großer Hast, an einem Tag, wofür andere Wochen brauchen, zusammengeschustert wurde, hoffend, dass der termingerecht abgegebene Teil der Unterlagen reicht, um die Behörden zu überzeugen. Beides verweist darauf, dass Hoeneß nur ehrlich ist, wenn er dazu gedrängt wird. So ist die Offenheit mit einem berechnenden Moment unterlegt, der ihre Glaubwürdigkeit einschränkt. Man könnte auch vermuten, dass es noch mehr Verstecktes gibt.
Für Zweifel in der Richtung spricht, dass man Hoeneß nach Lage der Dinge einen Willen zum Betrug nicht absprechen kann. Er ist diplomierter Betriebswirt; er wusste, dass Spekuationsgewinne steuerpflichtig sind. Die jetzt eingereichte Fülle an Material hätte, wie beim heutigen Prozesstag zur Sprache kam, laut Steuerfahnderin früher eingereicht werden müssen. Die in der Selbstanzeige genannten Zahlen hätten nicht gereicht. Wieder und wieder sollen Steuerfahnder und Staatsanwaltschaft nachgehakt haben. Aufseiten Hoeneß und seiner Berater und Anwälte habe man entgegengehalten, dass die Schweizer Bank nicht so schnell liefern könne. Aber:
Die für den Fall Hoeneß zuständige Fahnderin des Finanzamts Rosenheim erzählt in ihrer Zeugenaussage vor Gericht, dass Hoeneß die Dateien auf einem Stick überreicht habe, am 27. Februar. Die Kontoauszüge lagen als PDF-Datei vor. Die EDV des Amts kontrollierte die Dateien und stellte fest, dass die Datei ursprünglich im Januar 2013 (Hervbg. d. A.) erstellt wurde. Im Februar 2014 wurde die Datei erst noch einmal modifiziert und dann an die Ermittler übergeben. Was geändert wurde, sagt sie vor Gericht nicht.
SZ
Fragen
Es stellt sich nicht nur die Frage nach den Änderungen, die anscheinend wichtig genug waren, um die Steuerbehörde und die Staatsanwaltschaft warten zu lassen, sondern auch andere, deren Antworten bislang nicht ganz ehrlich erscheinen. Z.B. nach dem Spieleinsatz des "Zockers Hoeneß".
Wie groß mag der sein bei einem Spekuationsgewinn von 33 Millionen, angeblich Zinsen? Wahrscheinlich einige Hundert Millionen Euro, 300, 400? Kann man mit den zwanzig Millionen Euro "Spielgeld", die der frühere Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus zur Verfügung gestellt hatte, in solche Gewinnzonen vorstoßen? Oder hatte sich Hoeneß Geld aus mehreren Quellen besorgt? Ein Spekulationssammelkonto? Für den FC Bayern?
"Sein Konto in der Schweiz stehe in keinerlei Verbindung zum FC Bayern München", beteuerte Hoeneß. Aber wie glaubhaft ist er?
Dem schließen sich noch Fragen an, die sich auch beim Fall Alice Schwarzer aufgetan hatten. Hatte Hoeneß in den Jahren vor dem jetzt zur Debatte stehenden Zeitraum für die Selbstanzeige (2003 bis 2009) immer schön ordentlich versteuert? Was war zuvor?
Böse Attacken auf die Staatsanwaltschaft
Auszuschließen ist nicht, dass mit der Selbstanzeige nur ein bestimmter Bereich abgedeckt wird. Dafür spricht die Salamitaktik, die die Verteidigung an den Tag legt und Zweifel an der Selbstwahrnehmung Hoeneß als ehrlicher Staatsbürger. Die könnte auch von einer gewissen Selbstgerechtigkeit übertüncht sein, wie ein Beispiel aus dem Jahr 2011 zeigt. Damals wurde ein Spieler des FC Bayern, der brasilianische Verteidiger Breno, in U-Haft gesteckt, wegen dringenden Verdachts der schweren Brandstiftung.
Hoeneß reagierte darauf mit einer Beschimpfung der Münchner Staatsanwaltschaft. Mit einer aufschlussreichen Begründung und wenig gnädig:
Der Verein habe versucht, das Problem in Ruhe zu lösen, die Sachlage aufzuklären. "Wie sich die Münchner Staatsanwaltschaft aufspielt, steht in keinem Verhältnis", schimpfte Hoeneß und nannte den Vorgang "unvorstellbar". (…) Hoeneß war außer sich. Die Gründe für die Untersuchungshaft bezeichnete er als "sehr dubios". Der Pass Brenos sei in dem Haus verbrannt, außerdem könne der Brasilianer kaum Deutsch. "Was soll er da verdunkeln? Wenn das unser Land ist, dann gute Nacht Deutschland." Im Aktuellen Sportstudio nannte er den Vorgang "lächerlich" und "unmenschlich".
Man hat das Gefühl, dass Hoeneß alles gerne vereinsintern und mit vereinsinternen Methoden geklärt hätte; die Staatsanwaltschaft München dürfte seither aber nicht besonders zur Milde aufgelegt sein. Richter Heindl wird ebenfalls als unabhängige Person geschildert. Eine Freiheitsstrafe dürfte unumgänglich sein, wahrscheinlich länger als ein Jahr, eher drei bis vier Jahre, heißt es aus informierten Kreisen. Alles andere wäre ein echter Coup.
Sorgfältige Steuerfachleute verweisen im Zusammenhang mit Hoeneß darauf, dass Termingeschäfte, wie sie der Bayern-Präsident machte, laut neuester Ausgabe der Wochenschrift für deutsches Steuerrecht als "Besteuerungsruine" gewertet werden; der Gesetzgeber habe da noch einiges zu tun.