Fantasy und die realen Zusammenhänge der Macht

G 20-Gruppenfoto mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Mitte. Foto: Kremlin.ru / CC BY 4.0

Bedrohliche Zeiten lassen den Wunsch nach einfachen Erklärungen aufkommen, gezielte Desinformationskampagnen sind schon in der Mache

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Immer mehr Menschen wachen jetzt politisch auf, denn das vorherrschende Mainstream-Narrativ vom guten Westen, vom Marktradikalismus, der uns allen nützt, vom Wirtschaftswachstum, dem alles geopfert werden muss: Das alles zieht nicht mehr. Zu eng ist der Riemen um den Hals der unbescholtenen Bürger gezogen worden.

Es geht nicht mehr. Deutschlands zweitgrößte Stadt Hamburg: ein Spielort für den kommenden Bürgerkrieg. Schlafentzug für zwei Millionen Menschen durch bedrohliche Hubschrauber. Immer mehr Menschen wollen dagegen wissen, was wirklich gespielt wird.

Es ist schon erstaunlich, dass Heroin nicht erneut, wie in früheren Zeiten aufkommender Revolten, wie durch ein Wunder zu Niedrigstpreisen ins Land geflutet wird.1 Was aber schon geflutet wird, sind Videos aus den Werkstätten der Desinformation.

Ich habe lange nicht mehr bei Youtube eine solche Flut von wirren, simplifizierenden Vorträgen, Smartphone-Botschaften und Interviews gesehen, in denen alles Übel dieser Welt wieder einmal Juden, Freimaurern, Jesuiten, Illuminaten, ja sogar Aliens zugeschrieben wird, wie gerade jetzt, wo Hamburg gebrannt hat. Da kommt als Erklärungsmuster, mehr oder minder dezent eingefädelt, für die marodierenden Brandstifter ein Komplott von Soros und Rothschild mit den "Linksradikalen" auf unseren geistigen Bildschirm.

Grobe Vereinfachungen komplexer Machtstrukturen

Bedaure, das ist ein Recycling von Altlasten aus der Fälschungswerkstatt des zaristischen Geheimdienstes Ochrana. Um den Reformstau im zaristischen Zarenregime zu rechtfertigen, bastelten die Ochrana-Agenten ein perfides Werk, das als "Die Protokolle der Weisen von Zion" um die Welt ging und Grundlage wurde für Henry Fords Artikelsammlung "Der Internationale Jude".

Und dieser Dialekt des Antisemitismus fand sodann Eingang in Adolf Hitlers Bestseller "Mein Kampf". Demzufolge arbeiten jüdische Bankiers mit revolutionären Linksradikalen Hand in Hand, um die Weltherrschaft der Juden zu erringen. Also jetzt: die jüdischen Finanziers Rothschild und Soros Hand in Hand mit den Straßenrabauken von der Sternschanze?

Dass mit hoher Wahrscheinlichkeit agents provocateurs aus dem rechtsextremen Lager in Hamburg am Werk waren, ist nach dem jetzigen Erkenntnisstand sehr wahrscheinlich. Und dass George Soros in Verdacht steht, maßgeblich an Regime Change-Aktivitäten beteiligt gewesen zu sein, ist auch nicht von der Hand zu weisen.

Die simplifizierenden Weltdeuter bei youtube beharren jedoch auf einer Täterschaft der Linken, um ihr Muster aus den "Protokollen von Zion" aufrechterhalten zu können. Man sieht, dass solche groben Vereinfachungen komplexer Machtstrukturen schlimme Folgen haben können. Hier ist die klassische "Blitzableiterfunktion" am Werk: marginalisierte Gruppen müssen schuld sein an allen Fehlentwicklungen, und sind deswegen auch vogelfrei.

Dieser Technik bediente sich auch die Bild-Zeitung im Zusammenhang mit den Hamburger Ereignissen. Zu den diversen Abarten der infamen "Protokolle" gesellen sich im Internet Pamphlete US-amerikanischer christlicher Fundamentalisten und rechtsextremer Paranoiker. Fragmente, Ideologeme aus dem Kalten Krieg, angefertigt von der stramm antikommunistischen John Birch Society wabern im Internet und feiern, fehlerhaft übersetzt, grausliche Urstände, indem sie auf die unvorbereitete deutsche Community herabgeregnet werden.

Gezielte Desinformationskampagnen

Es ist sozusagen der politisierte Fantasy-Boom, übersetzt auf die komplexe Realität. Es kommt dem menschlichen Bedürfnis nach Anschaulichkeit, nach bösen Menschen, die man sich bildlich vorstellen kann, entgegen. Und so ist für einige Leute klar: seit dem Tempelbau von Jerusalem bis zum heutigen Tag sind alle Elite-Menschen sogar miteinander verwandt.

Man glaubt es kaum: nach diesen grundstürzenden Erkenntnissen ist sogar Obama mit der Bush-Dynastie und der englischen Königin verwandt! Wenn dieser gezielten Desinformationskampagne nicht energischer entgegengetreten wird, laufen wir Gefahr, aus unserer selbstverschuldeten Unmündigkeit (Immanuel Kant), aus der wir gerade erwacht sind, gleich in die nächste ungeistige Versklavung abgeführt zu werden.

Natürlich gibt es Clans und Dynastien, die eine Zeit lang ihren Willen einer Gemeinschaft aufdrücken können. Und das auch mit äußerst diskreten Mitteln. Die Rothschild-Bankiers haben im 19. Jahrhundert sowohl Bismarck durch ihren Mittelsmann Bleichröder als auch den Zarenhof in St. Petersburg mit den subtilen Mitteln des Geldflusses kontrolliert.2

Doch Dynastien kommen und gehen. Auf die Karolinger folgten die Salier, und auf diese die Staufer. In der ersten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts hatte unverkennbar das Bankhaus JP Morgan entscheidenden Einfluss auf die Politik. Und momentan, das ist ebenfalls nicht zu übersehen, beherrscht das Bankhaus Goldman Sachs die Szene in einem Ausmaß, das aus demokratischem Blickwinkel betrachtet äußerst bedenklich erscheint.

Zudem hatte die Rockefeller-Dynastie bis vor einigen Jahren einen prägenden Einfluss ausgeübt. Aber: diese Bankhäuser und Dynastien können nicht regieren wie absolutistischen Könige. In der modernen Mediengesellschaft müssen sie ihre Akzeptanz sowie die stillschweigende Duldung durch immer neue Koalitionen und durch Manipulationen der öffentlichen Meinung erkämpfen.

Durch materielle Tribute. Oder durch nackte Einschüchterung und Psychoterror. Die entsprechenden Strategien werden in den einschlägigen Gravitationszentren wie Council on Foreign Relations, Bilderberger oder Trilaterale Kommission immer neu austariert.

Aber das ist nicht alles. Im Hintergrund, unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit, ringen Wirtschaftswissenschaftler und Soziologen um das grundlegende Dogma. Die Frage ist: Soll sich die Wirtschaft völlig unbeeinflusst vom Staat entwickeln, oder soll ein pro-aktiver Staat für das Wohl aller seiner Bürger sorgen?

Richard Cockett3 sieht im wirtschaftspolitischen Paradigma eine ständige Pendelbewegung von etwa 80 Jahren: Zunächst herrschte der feudale Merkantilismus. Der wurde abgelöst durch eine Politik des radikalen Freihandels und der ökonomischen Untätigkeit des Staates. Ab 1880 folgte dann eine Phase, in der der Staat aktiver Spieler in der Wirtschaftspolitik wurde und Schutzzölle den Welthandel bremsten.

Seit den 1930er Jahren erleben wir nun eine erneute Phase der Ideologie des Freihandels und des Rückzugs des Staates, die ab Mitte der 1970er Jahre für uns alle nicht mehr zu übersehen ist. Das ist die Ideologie des Marktradikalismus, fälschlich auch Neoliberalismus genannt.