Fast alle Sterne besitzen erdähnliche Planeten!
Ein Gespräch mit Michel Mayor, dem bekanntesten und erfolgreichsten Planetenjäger auf diesem Planeten
Seit der Entdeckung des ersten Exoplaneten (Peg 51 b) durch Michel Mayor und Didier Queloz 1995 spürten Forscher bis heute mit erdgebundenen Observatorien und Weltraumteleskopen 563 ferne Welten auf. Der 69 Jahre alte Schweizer Astronom Michel Mayor, von der Presse zuweilen zum "Guru" der Planetenjäger hochstilisiert, blickt nach seiner Pensionierung 2007 auf eine bewegte Karriere zurück.
Einst tätig als ordentlicher Professor am Institut für Astronomie an der Universität Genf und Direktor des Genfer Observatoriums, arbeitet der sympathische und mehrfach ausgezeichnete Emeritus heute unermüdlich weiter. Derzeit werkelt er an einer modifizierten Kopie seines bislang sehr erfolgreichen HARPS-Instruments, das seit 2003 den Südhimmel durchmustert und dabei 75 extrasolare Planeten entdeckt hat. Wenn nächstes Jahr HARPS II erstmals den Nordhimmel durchforstet, beginnt eine neue Ära der Exoplanetenforschung. Dann arbeitet erstmals das beste bodengestützte Instrument mit dem besten Planetenjäger-Teleskop im All, dem NASA-Fernrohr Kepler, zusammen - um all die erdähnlichen Welten aufzulesen, von denen Mayor in den Tiefen und Weiten des Kosmos gigantisch viele vermutet. Der Autor dieses Interviews, dankt der Initiative Wissenschaftsjournalismus für ein themenbezogenes Recherche-Stipendium.
Zunächst einmal erlaube ich mir die Frage, ob Sie die Bezeichnung "Planetenjäger" immer noch gutheißen. Sie klingt ein wenig martialisch …
Michel Mayor: Nun, der Begriff ist für mich akzeptabel.
Zeitreisen, Schwarze Löcher, Superstrings, Wurmlöcher - all diese Begriffe sind derzeit recht beliebt. Glauben Sie, dass auch Exoplaneten die Menschen zu faszinieren vermögen?
Michel Mayor: Die breite Bevölkerung ist sicherlich an der Vielfalt und Verschiedenheit dieser neuen Welten interessiert. Noch mehr interessiert sie sich aber für die Frage: Gibt es Leben im Universum? Vermutlich fasziniert eine exobiologische Frage wie diese die Menschen am meisten.
Vor zehn Jahren zeigten Sie sich in einem Interview optimistisch, noch in derselben Dekade einen erdähnlichen Exoplaneten in einer habitablen Zone zu finden. Nunmehr haben Sie mindestens zwei verifizierte Kandidaten ausgemacht.
Michel Mayor: Ja, wir haben tatsächlich zwei bestätigte erdähnliche Planeten in einer bewohnbaren Region aufgespürt. Der wichtigste davon ist Gliese 581d. Er war der erste und in puncto Masse erdähnlichste Exoplanet in einer habitablen Zone, den wir entdeckten. Und wir lokalisierten ihn mit unserem HARPS-Spektrografen, der am 3,6-Meter-Teleskop der Europäischen Südsternwarte (ESO) auf La Silla in Chile befestigt ist. Ich bin sehr überzeugt davon, dass wir mit diesem Instrument auf einem guten Weg sind, in den kommenden Jahren neue Exoplaneten zu finden.
In Bezug auf Gliese 581d war HARPS tatsächlich schneller als das NASA-High-Tech-Weltraumteleskop Kepler.
Michel Mayor: Um eine hohe Anzahl massearmer Planeten aufzuspüren, die einen Radius in der Größenordnung der Erde aufweisen, ist Kepler ein absolut fantastisches Instrument. Dennoch kann Kepler die Masse solcher Objekte allein nicht genau bestimmen, weshalb die Kepler-Wissenschaftler ihre Messungen von anderen Instrumenten bestätigen lassen. Nebenher bemerkt kann das Kepler-Team meines Erachtens derzeit immer noch mit keinem bestätigten Kandidaten in einer bewohnbaren Zone aufwarten. Aber ich bin sicher, dass Kepler schon bald einen entsprechenden Exoplaneten vorstellen wird. Möglicherweise verfügt das Kepler-Team längst über eine Liste vielversprechender Zielobjekte.
Bei alledem sind wir selbst längst ein Teil der Kepler-Suchaktion, weil wir derzeit an einer leicht modifizierten Kopie von HARPS arbeiten. Einmal fertiggestellt, wird der an dem italienischen Galileo-Teleskop auf La Palma (Kanarische Inseln/Spanien) befestigte HARPS-II-Spektrograf den nördlichen Himmel abtasten. Mit HARPS I konnten wir bislang nicht die von Kepler entdeckten Exoplaneten nachverfolgen und deren Masse bestimmen, weil es von La Silla in Chile aus operiert. Während Kepler den Nordhimmel studierte, analysierte HARPS die südliche Hemisphäre. Mit der leicht verbesserten Kopie von HARPS werden wir dagegen in der Lage sein, auf der Nordkugel die notwendigen Folge-Beobachtungen der Kepler-Planeten durchzuführen.
Gibt es zwischen Ihnen und dem Kepler-Team eine Zusammenarbeit?
Michel Mayor: Ja, natürlich.
Also kein Wettbewerb?
Michel Mayor: Nein!
Wann wird HARPS II in Aktion treten?
Michel Mayor: HARPS II wird im April des nächsten Jahres auf La Palma Quartier beziehen. Es ist vorgesehen, dass HARPS II für einige Jahre auf Planetenjagd geht. In dieser Zeit werden wir versuchen, Exoplaneten in habitablen Zonen zu charakterisieren. Gleichwohl müssen wir uns vor Augen halten, dass die meisten von Kepler anvisierten Exoplaneten ziemlich schwach leuchtende Sterne sind. Bei lichtarmen Sternen ist es ungemein schwer, die Radialgeschwindigkeit zu messen. Vor allem bei jenen massearmen Objekten, die den Mutterstern auf einer langen Umlaufbahn umkreisen.
Wird HARPS II die von Kepler entdeckten Kleinplaneten am Nordhimmel messen und analysieren?
Michel Mayor: Ja. Schließlich können wir aus den Unterschieden in der Radialgeschwindigkeit der Kepler’schen Zielobjekte die Masse der Planeten ableiten.
Kürzlich behauptete die US-Radioastronomin Jill Tarter vom SETI-Institut (SETI=Suche nach außerirdischer Intelligenz) in Kalifornien, dass allein in der Galaxis (Milchstraße) mehr als 50 Milliarden erdähnliche Planeten existieren, darunter sogar 500 Millionen in habitablen Zonen. Ist dieser Wert zu optimistisch?
Michel Mayor: Die angegebene Zahl erdähnlicher Welten entspricht einem Anteil von nur rund einem Prozent der Sterne in der Milchstraße, die sonnenähnlich sind und erdähnliche Planeten in habitablen Zone haben. Meiner Meinung nach ist diese Schätzung keineswegs zu optimistisch.
Wie viele erdähnliche Exoplaneten könnten sich in der Milchstraße tummeln?
Michel Mayor: Die meisten Sterne dürften jeweils ein planetares System hervorgebracht haben. Fast 100 Prozent, aber nicht ganz 100 Prozent aller Sonnen besitzen eigene Planeten. Nur in einigen Fällen könnten dynamische Interaktionen dies verhindert haben. Wenn sich etwa mehrere Sterne zur selben Zeit in einer dichten Region formieren und formen, wie etwa in Kugelsternhaufen, kann infolge starker stellarer Interaktion ein Stern aus seinem System herausgeschleudert werden. In einem solchen Fall ginge das junge Planetensystem vollends verloren. Andererseits sagt die Theorie, dass in einem normalen System die meisten Planeten massearm sind. Apriori erwarte ich daher, dass in fast allen Sternsystemen massearme Planeten vorkommen. Ich gehe sogar davon aus, dass in fast allen Sternsystemen erdähnliche Welten vorhanden sind - in manchen sogar mehrere. Ich frage mich aber auch: Wie viele mögen davon in bewohnbaren Zonen liegen und genügend Masse haben, um die eigene Atmosphäre zu halten? Können wir uns sicher sein, dass diese Objekte sich auch auf kreisförmigen Umlaufbahnen bewegen? Schließlich wäre ein zu exzentrischer Orbit nicht gerade hilfreich für das Aufkommen von biologischem Leben.
Was wird in naher Zukunft für Planetenjäger das wichtigste bodengestützte Teleskop sein?
Michel Mayor: Natürlich ist dies für mich im Augenblick HARPS I in Chile für den Südhimmel - und nächstes Jahr HARPS II auf La Palma für die nördliche Hemisphäre. Und ich hoffe, dass ESPRESSO (Echelle SPectrograph for Rocky Exoplanet- and Stable Spectroscopic Observations) als Instrument der nächsten Generation am Very Large Telescope (VLT) der ESO in Paranal zum Einsatz kommt. Einmal installiert und in Betrieb, wird ESPRESSO zehn Mal empfindlicher als HARPS sein. Es ist sogar in der Lage, das Schwanken eines Sterns zu messen, der in einer Sekunde nur um zehn Zentimeter wackelt.
Wann wird der ESPRESSO-Planetenjäger seine Arbeit aufnehmen?
Michel Mayor: ESPRESSO wird hoffentlich in fünf bis sechs Jahren mit den Observationen beginnen. Dabei wird es sich vornehmlich auf erdähnliche Felsenplaneten fokussieren und schwerpunktmäßig nach erdähnlichen Welten in bewohnbaren Zonen fahnden.
Wo zeichnet sich derzeit der entscheidende Paradigmenwechsel in ihrem Fachgebiet ab?
Michel Mayor: Ein sehr wichtiger Schritt in den letzten beiden Jahren war die Entdeckung einer bestimmten Population von massearmen Planeten: den so genannten Super-Erden. Sie gehören zu der Art von Planeten, die in unserem Sonnensystem nicht existieren, weil sie zwischen eine bis zehn Erdmassen groß sind. Für uns überraschend war auch die Entdeckung einer großen Population von Neptun ähnlichen Planeten in engen Umlaufbahnen. Dieser Planetentyp ist in unserem Sonnensystem ebenso völlig unbekannt. All dies sind wichtige Mosaiksteine für das Verständnis, wie und unter welchen Mechanismen sich Planeten formieren. Wir sehen uns nunmehr neuen Fragen gegenüber, die hoffentlich bald beantwortet werden können. Ein anderer Paradigmenwechsel vollzog sich in den letzten Jahren und wird sich in den kommenden fortsetzen: der kontinuierliche Fortschritt auf dem Feld der Atmosphärenforschung extrasolarer Planeten.
Der nächste Schritt würde dann sein, die Atmosphären erdähnlichen Planeten zu analysieren?
Michel Mayor: Ja, das wird eine große Herausforderung sein. Mit massereicheren Planeten hat dies bereits begonnen, und es wird nahtlos weitergehen.
Allerdings ohne die modernen und ehrgeizigen Weltraum-Riesenteleskope Terrestrial Planet Finder (TPF) und Darwin.
Michel Mayor: Nein, beide Missionen sind komplett gestrichen worden. Einerseits ist dies bedauernswert, andererseits sind wir dadurch gezwungen, die erdgebundene Technik zu verbessern. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass die Suche nach Leben auf anderen Planeten ein derart großes Ziel ist, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis solcherlei Weltraum-Interferometer irgendwann im Orbit sind. Vielleicht wird eine derartige Mission in 20 oder 30 Jahren starten. Aber sie wird starten.
Was ist von der neuen Strategie der SETI-Forscher zu halten, die unlängst ihre Teleskope auf die von Kepler neu entdeckten Exoplaneten gerichtet haben?
Michel Mayor: Bei dieser Strategie überwachten die SETI-Forscher sehr sorgsam ein spezielles Objekt, einen ausgewählten Exoplaneten. Ich frage mich, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass diese ausgerechnet bei einem von Kepler lokalisierten Planeten eine fortgeschrittene Technologie ausmachen. Meiner Meinung nach sind die Erfolgsaussichten hier sehr begrenzt. Schließlich unterscheidet sich der neue Weg stark von dem traditionellen SETI-Experiment, das in alle Richtungen schaut. Ich verlange nicht, dass solche Suchläufe unterlassen werden sollten. Aber bei dieser neuen Taktik haben wir keine Möglichkeit, die Erfolgsaussichten auszurechnen. Meiner Ansicht nach sind beim Abhorchen eines einzigen Planeten die Chancen eher gering zu veranschlagen.
Stehen Sie in engem Kontakt zu wissenschaftlichen astrobiologischen Gruppen?
Michel Mayor: Ja, ich bin immer noch Mitglied der Bioastronomy Commission of the International Astronomical Union und ich nehme an einigen weltweiten Konferenzen teil. Interdisziplinäre Konferenzen sind sehr hilfreich, um Probleme aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten, sich über andere Gebiete zu informieren und andere Forscher zu treffen - so wie hier auf der Starmus-Konferenz.
Wie viele hochentwickelte außerirdische Zivilisationen in unserem Universum werden wohl ebenfalls nach extrasolaren Planeten suchen?
Michel Mayor: Ich habe keine Ahnung. Ich persönlich halte sehr viel von der Aussage, die der belgische Nobelpreisträger in Medizin (1974), Christian de Duve, zum Besten gegeben hat. Er sagt: Leben im Universum ist ein kosmischer Imperativ! Stimmen die äußeren Bedingungen auf einem Planeten, entsteht automatisch Leben! Ich persönlich mag diese Äußerung. Sie beruht nicht auf wissenschaftlichen Fakten, sondern folgt einem persönlichen Gefühl. Daher bin ich mir absolut sicher, dass in vielen Regionen des Universums und auf vielen massearmen Planeten Leben gedeiht. Ich glaube, dass der nächste Schritt darin bestehen muss, nach komplexeren Lebensformen Ausschau zu halten. Denn allein nach fremden Technologien und Zivilisationen zu suchen, mit diesen einen Kontakt herstellen und auf unterschiedliche Weise kommunizieren zu wollen - das ist meiner Ansicht nach zu spekulativ. Vielleicht bin ich in dieser Hinsicht ein wenig engstirnig. Ich wäre ja schon sehr zufrieden, wenn wir eines Tages auf dem Mars zumindest Bakterien fänden. Bereits eine einzige außerirdische Mikrobe würde alles verändern.
ESA-Video "Astronomers Find First Earth-like Planet in Habitable Zone" mit Michel Mayor