Ferngesteuerte Menschen

Japanische Wissenschaftler haben einen fernsteuerbaren Stimulator für das Gleichgewichtssystem entwickelt

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Menschen kann man mit allen möglichen dazu bringen, sich auf eine gewünschte Weise zu verhalten. Mit Strafen und Belohnung und ähnlichen äußeren Konditionierungen, aber auch mit der Aussetzung an bestimmte Umwelteinflüsse oder durch Einnahme von Psychopharmaka. Und man könnte auch Menschen durch neurochirurgische Eingriffe verändern und durch Implantation von Gehirnschips fernsteuern. Wie das geht, hatte bereits der Hirnforscher Delgado in den 60er Jahren mit spektakulären Vorführungen bei Tieren demonstriert, indem er beispielsweise auf Knopfdruck einen angreifenden Stier plötzlich durch eine Stimulation von implantierten Elektroden stoppen konnte.

Fernsteuerung zumindest auf motorischer Ebene geht allerdings auch auf weniger brachiale Weise. Der australische Perfomancekünstler, der seit Jahren mit technischen Erweiterungen des menschlichen Körpers am eigenen Leibe experimentiert, hat eine solche Fernsteuerung u.a. während der Ausstellung "Telepolis" im Jahr 1995 in Luxemburg vorgeführt, aus der heraus die Idee des Online-Magazins Telepolis entstand (Der vernetzte Körper).

Damals konnten Menschen über das Internet Bewegungsabläufe des Körpers von Stelarc eingeben, der sich in Luxemburg befand und an Händen und Beinen Muskelstimulatoren befestigt hatte. Diese führten dann die eingegeben Befehle aus und Stelarc bewegte sich nach Vorgabe der fremden Hand. Die Möglichkeit der Bewegungseingabe war allerdings beschränkt, da auch die wenigen Stimulatoren nur eine recht primitive Fernsteuerung zuließen. Schwierig war so beispielsweise für Stelarc, die Balance zu halten und nicht wegen der unkoordinierten aufgezwungenen Bewegungen von Armen oder Beinen umzufallen.

Eine ähnliche, wenn auch weniger genaue Technik haben nun Wissenschaftler der Communication Science Laboratories des Konzerns Nippon Telegraph and Telephone (NTT) unter der Leitung von Taro Maeda entwickelt und stellen sie auf der SIGGRAPH 2005 vor. Über eine leichte elektrische Stimulation des mit dem Mittelohr verbundenen Mastoid, ein Knochen des Schläfenbeins, wird das Gleichgewichtsorgan oder das vestibuläre System beeinflusst. Der Nervus vestibularis leitet die für die Bewegungskoordination wichtigen Signale an das Gehirn weiter. Damit wird die Drehbewegung des Kopfes sowie die Beschleunigung des Körpers im Raum erfasst. Allerdings werden vom Gehirn diese Informationen mit weiteren Signalen, beispielsweise von den Augen oder propriozeptivem System abgeglichen.

Daher ist die Fernsteuerung eines Menschen mittels eines solchen an beiden Ohren angebrachten GVS-Systems (galvanic vestibular stimulation) sehr beschränkt. Je stärker das Gleichgewichtsorgan stimuliert wird, desto stärker reagiert der Körper automatisch durch Verlagerung des Gleichgewichts auf die Seite der Anode. Man kann also den angeschlossenen Menschen damit in eine bestimmte Richtung steuern, aber nachdem diese durch elektrische Stimulation kommenden Signale sich mit anderen Informationen widersprechen, kann dabei auch einiges durcheinander gehen, zumal wenn sich der Betroffene den "Befehlen" zu widersetzen sucht.

Maeda stellt sein System unter dem Titel "Shaking the World" vor, das aus einer Art Headset besteht, mit dem die Stimulation des rechten und linken Mastoid geschieht, und einer Funksteuerung, mit der die elektrische Stimulation und damit die Bewegungsrichtung der angeschlossenen Person kontrolliert wird. Die Wissenschaftler stellen sich vor, dass ihre Fernsteuerung vor allem im Spielebereich zur Anwendung kommen könnte. So haben sie für ein Rennspiel eine Anwendung entwickelt, bei dem ihre Apparat die Wahrnehmung der zentrifugalen Kraft verbessern soll, wenn der Rennwagen auf seiner virtuellen Bahn über den Bildschirm rast. Auch für Flugsimulatoren sehen sie Möglichkeiten, da diese dann realistischer wirken.

Reichlich abwegig ist jedoch die Vorstellung, dass man damit auch Unfälle vermeiden könnte. In einem Demonstrationsvideo der Wissenschaftler geht ein junger Mann eine Straße entlang und wäre beinahe von einem Motorradfahrer umgefahren worden. Aber ein aufmerksamer Beobachter an der Fernsteuerung hat den jungen Mann, der natürlich einen Stimulator an hatte, plötzlich aus der Bahn des Motorrads geleitet. Das wäre natürlich gleichzeitig auch ein Bild für die schöne neue Überwachungswelt.