"Festival der Demokratie": Die Ausschreitungen rund um den Hamburger G20-Gipfel

Seite 2: Der größte schwarze Block aller Zeiten war mit Luft gefüllt

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Nun, das war die Seite der Polizei, aber wie sah es bei den Demonstranten aus? Es wurde bereits viel geschrieben über dieses unglückliche Motto "Welcome to Hell". Welchen Eindruck konnten Sie während der Filmarbeiten gewinnen bezüglich einer Gewaltbereitschaft der Protestierenden?

Lars Kollros: Bei der "Welcome to Hell" war zunächst auch eine friedliche Stimmung, aber nur, bis sie eskaliert wurde. Jedem halbwegs politischen Menschen, der Hamburg ein bisschen kennt, war es klar, dass diese Demonstration die Hafenstraße nie verlassen wird. Eigentlich war es überraschend, dass die Demonstration überhaupt den Fischmarkt verlassen konnte.

Sie war da schon eingekreist von Panzern und Wasserwerfern. Aber es waren eben so viele Menschen, dass die Polizei nicht die Möglichkeit hatte, den Fischmarkt dicht zu machen. Die Hafenstraße ist aber leicht abzuriegeln, weil links die Mauer ist und rechts die Häuser sind.

Während der Konzerte auf dem Fischmarkt standen ja viele Besucher bereits fluchtorientiert und wir waren überrascht, dass es dann mit dem Demozug überhaupt losging. Die Demonstration wurde dann gleichzeitig vorne und weiter hinten eskaliert, wo ja Leute standen die dachten, wenn es denn zu Gewalt kommt, dann wohl an der Spitze des Zuges.

Alexandra Zaitseva: Man muss schon sagen, es war ein klares und lautes: "Wir wollen den G20-Gipfel nicht!" Niemand dachte, wir kuscheln jetzt den Kapitalismus weg. Wir wollen das nicht und mit dieser Überzeugung werden wir das auf die Straße tragen. Das war schon eine sehr starke Stimmung.

Innensenator Andy Grote bringt eine Dimension zu Beginn des Films gut auf den Punkt, als er in holprigen Worten von einer "Bühne" redet, die er auch den Protesten habe bieten wollte. Dieser Gedanke scheint mir entscheidend: Ein Fototermin vor der Elbphilharmonie mit Diktatoren und dann irgendwo in St. Pauli dürfen ein paar kritische Plakate in die Luft gehalten werden. So hat sich die SPD das vorgestellt, nicht wahr?

Lars Kollros: Ganz genau. Und die "Welcome to Hell"-Demo, das muss man ganz klar sagen, war keine Demonstration, zu der die SPD aufgerufen hat. Es wurde aus dem autonomen Sektor dazu aufgerufen, es wurde mit einem martialischen Plakat geworben und es wurde verkündet, dass der "größte schwarze Block aller Zeiten" aufmarschieren wird. Der war ja dann auch da, man sieht ihn im Film. Leute aus dem Gängeviertel haben ihn, glaube ich, aufgestellt.

"Wer Hamburg kennt, der weiß Dinge einzuordnen ..."

Gemeint ist dieser schwarze Würfel aus Plastikfolie, der wie eine Hüpfburg aufgeblasen wurde?

Lars Kollros: Ein neun mal neun Meter großer Block war das und das Riesending hat zum Glück einige Wasserwerfer aufgehalten. Obwohl er nur mit Luft gefüllt war, hat er die Menschen zumindest von einer Seite geschützt. Aber ja, es war ein sehr martialischer Aufruf. Wenn man sagt, es wird der größte schwarze Block kommen, dann werden natürlich Bilder aufgerufen.

Nur, dass die Polizei auf dieses Wortspiel mit dem aufgeblasenen Block so einsteigt und sagt, es werden aus der ganzen Welt acht bis zehn Tausend gewaltbereite Autonome anreisen, war kurios. Nach Polizeiangaben waren es dann ja auch doch nur fünfzehnhundert.

In dem Film sagt der Unternehmer Mirco Wiegert, wer Hamburg kennt und wer die Sprache der radikalen Linken kennt, der weiß eigentlich, wie gewisse Dinge einzuordnen sind. Wenn die Rote Flora einen Demonstrationsaufruf macht, dann heißt der nicht: "Wir grillen Bratwürste gegen G20."

Da wurde also einiges im wahrsten Sinne aufgeblasen.

Lars Kollros: Wichtig ist zu sagen: Nicht allzu viele Leute, die auf Demonstration kamen, werden die Einstellung gehabt haben, ihren eigenen Kiez niederzubrennen.

Alexandra Zaitseva: Nein, und man muss auch dazu sagen, es waren wirklich Mütter mit Kindern da. Manche hatten ihre Kinder in diesen Tragevorrichtungen umgeschnallt. Die sahen nicht so aus, als erwarteten sie Krawall.

Lars Kollros: Es war eine sehr bunte Demonstration ... und was dann passiert ist, hat jede Relation gesprengt. Normalerweise wartet die Polizei ja, bis es einen Grund gibt, einzuschreiten. Aber eine Demo an einer Stelle zu stoppen, wo die Menschen eingekeilt sind, und der Demonstrationszug sich nicht zerlaufen kann, das war eine krasse Ansage.

Die Aussage, man habe den schwarzen Block von der Demonstration abtrennen wollen, steht in keiner nachvollziehbaren Verbindung zu dem, wie die Polizei dann vorging.

"Man hat gespürt, jeder hilft jetzt mit"

Was lässt sich zu den Auswirkungen sagen? Es gibt die These, dass so lange es in Frankfurt, Hamburg und Berlin besetzte Häuser und Straßenschlachten gab, waren die Mieten auch noch niedriger. Die Ausschreitungen beim G20 führten hingegen augenblicklich zu Gesetzesverschärfungen und einer medialen Polarisierung. Der hundertste Rechtsruck in Serie. Kurz gefragt, welche Wirkung haben Demonstrationen dieser Art heute noch?

Lars Kollros: Naja, wenn man nicht hingegangen wäre, dann wäre das eine Bankrotterklärung gewesen. Eine Kapitulation, bei der man gesagt hätte: Ihr habt gewonnen! Natürlich war es klar, dass man den G20 Gipfel nicht verhindert.

Alexandra Zaitseva: Was aber auch schön war, fand ich, wie sich die Leute solidarisiert haben. Man hat gespürt, jeder hilft jetzt mit. Es gab eine Aktion bei der Türklingeln markiert wurden und man konnte anläuten, um Schutz zu suchen in Privathäusern. Viele Menschen haben begonnen, sich politisch zu positionieren. Wer zunächst alles hingenommen hat, begann plötzlich aufzuwachen.

Sie meinen dieses Erschrecken, das sie eben als traumatisierend beschrieben haben, vor dem Gebaren mancher Polizeikräfte? Und das hat sich auch in Kreisen der Bevölkerung ausgebreitet, die man als eher bürgerlich oder konservativ bezeichnen könnte?

Alexandra Zaitseva: Ja, ganz genau.

Lars Kollros: Unbedingt. Gerade zu Beginn mit diesen Campverboten ist Hamburg sehr stark zusammengerückt. Da geschah ein breiter Solidarisierungsakt, wo eigentlich ganz Hamburg gesagt hat: Hey Leute, das kann nicht sein, dass hier ein Kongress abgehalten werden soll und die Protestierenden dürfen nicht einmal übernachten.

Dann sind die WGs zusammengerückt und das Schauspielhaus hat Leute schlafen lassen. Allerdings lief das nicht ganz freiwillig, denn irgendwer hatte auf Twitter behauptet, dort dürften 1500 übernachten und dann standen die ersten schon vor der Tür und das Schauspielhaus hat sie dann im Foyer pennen lassen. In St. Pauli wurde das Stadion aufgemacht.