Filz und Flaute
Wie Berlin mal eben 10 Millionen in den Sand gesetzt hat
Filz ist das nächste große Ding. Glauben ein paar Modefritzen in Berlin schon seit Jahren und eröffnen einen Laden nach dem anderen. Allerdings werden die Kreationen eher befummelt als gekauft, denn in Berlin herrscht nach wie vor Flaute. Fragt man die Einwohner nach dem Grund der Flaute, so kriegt man zu hören, das liege am Filz. Der sei in West-Berlin schon zu Mauerzeiten schwer in Mode gewesen, und leider habe sich die Filzokratie bis heute nicht endgültig ausrotten lassen. Jüngstes Beispiel: die Affäre um das Tempodrom und der Rücktritt von Bausenator Peter Strieder (SPD), der zugleich Berliner SPD-Landesvorsitzender und Mitglied der Bundesversammlung war.
Ursprünglich sollte das Tempodrom - ein Veranstaltungszelt aus Glas, Stahl und Beton am Anhalter Bahnhof - 15 Millionen Mark kosten. Doch bereits vor der Grundsteinlegung im Mai 2000 kletterten die Kosten auf 22,7 Millionen und pendelten sich schließlich bei rund 33 Millionen ein. Immer wenn das Geld knapp wurde, schanzte Bausenator Strieder der Spielstätte ein paar Millionen zu. Das Tempodrom sollte ja nicht als Bauruine enden. Das Fatale daran: erstens flossen die Gelder teilweise ohne Genehmigung durchs Stadtparlament; zweitens wurde das Tempodrom von einer privaten Stiftung verwaltet, die zahlreichen Finanzspritzen aus öffentlicher Hand - so der Verdacht der Staatsanwaltschaft - verwandelten das Gebilde jedoch in eine öffentliche Einrichtung. Ein unzulässiger Vorgang, der die Stadt teuer zu stehen kommt. Aus diesem Grund ermittelt die Staatsanwaltschaft in Sachen Untreue. Und zwar nicht nur gegen den zurückgetretenen Bausenator Strieder, sondern auch gegen den noch amtierenden Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) sowie gegen den Wirtschafts-Staatssekretär Volkmar Strauch (SPD).
Gegen Strieder besteht zusätzlich der Verdacht der Vorteilsnahme. Geklärt werden soll, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen der Bewilligung von Tempodrom-Beihilfen in Höhe von 6,9 Millionen durch den Berliner Senat im Oktober 2001 und Schnittchen, die der Tempodrom-Förderer und ehemalige Bauunternehmer Roland Specker wenige Tage später auf einer SPD-Wahlparty spendiert hat. Das Pikante daran: ordnungsgemäß verbucht wurde das Catering im Wert von rund 9000 Euro nicht. Damit hat die SPD-Landeszentrale nach aktuellen Erkenntnissen zwar nicht gegen das Parteiengesetz verstoßen, aber sie hat sich unglaubwürdig gemacht. Schließlich feierte man seinerzeit die Abwahl einer korrupten CDU-Regierung, die Berlin den so genannten Bankenskandal und damit Miese in Höhe von rund acht Milliarden Euro beschert hat. Damit hat sich der Schuldenberg der Hauptstadt auf insgesamt über 50 Milliarden erhöht. Die Zinslast beträgt sechs Millionen Euro Zinsen, und zwar täglich. Zum Ausgleich sollen die Berliner Universitäten 70 Millionen Euro einsparen; ein Ansinnen, das im vergangenen Semester zu massiven Protesten geführt hat. Schließlich stehen ganze Lehrstühle auf dem Spiel - für einen Betrag, mit dem die Stadt noch nicht mal zwei Wochen lang ihre Zinsen im Zaum halten kann.
Ein Millionengrab
Dabei hatte alles so gut angefangen: Ende der 70er Jahre erbt die Krankenschwester Irene Moessinger 500 000 Mark. Statt den Geldsegen eigennützig zu verprassen, investiert die Kulturbegeisterte in ein Zirkuszelt. Von 1980 an steht es in Kreuzberg, dann im Tiergarten und schließlich am Ostbahnhof. Geboten werden Konzerte, Theater und Kongresse. Mitte der 90er Jahre beschließt das Kreuzberger Bezirksparlament unter der Leitung von Bezirksbürgermeister Strieder, der Odyssee ein Ende zu bereiten und den Kulturnomaden in Kreuzberg ein dauerhaftes Domizil zu errichten. Die Stadt Berlin bürgt mit über 10 Millionen Euro.
Inzwischen steht fest: das Tempodrom ist ein Millionengrab. Um weiteren Schaden abzuwenden, entschloss sich das Berliner Parlament vor wenigen Tagen, die Geldvernichtungsmaschine in die Insolvenz zu schicken. Das kostet die Stadt zwar mindestens 10 Millionen, sei aber weniger riskant als ein Verkauf. Die Kosten für das Fiasko tragen die Steuerzahler. Am schlimmsten betroffen von der Insolvenz sind die Handwerker, die seit Jahren auf ihr Geld warten. Mehr als zehn Prozent der ausstehenden Beträge sind für sie Schätzungen zufolge kaum drin.
Der Zirkus ums Tempodrom verträgt sich schlecht mit dem Ehrenkodex für Mitglieder der Bundesversammlung, die unter anderem den Bundespräsidenten wählt. Also hob der Bundestag am 2. April 2004 Strieders Immunität auf, ein in der Geschichte der Bundesversammlung bislang einmaliger Fall. Am 7. April legte Strieder all seine Ämter nieder. "Mein Rücktritt ist kein Schuldeingeständnis," sagte Strieder in seiner Rücktrittserklärung. "Im Gegenteil, ich bin überzeugt, dass die Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft eingestellt werden." Außerdem habe das Tempodrom viele Mütter und Väter, auch sei das umstrittene Finanzierungsmodell seinerzeit mit den Stimmen der CDU bewilligt worden.
Am meisten macht Strieder zu schaffen, "dass der Eindruck in- und außerhalb Berlins entstanden ist, Berlin sei unfähig sich zu reformieren, und die Stadt rufe immer nur nach mehr Geld von außen, ohne dass sich die hinlänglich bekannte Subventionspolitik ändere. Diese Beschädigung des Rufs Berlins muss im Interesse der Berlinerinnen und Berliner ausgeräumt werden. Voraussetzung dafür ist mein Rücktritt."
Tatsächlich dürfte es weitaus schwieriger sein, das angekratzte Image der Hauptstadt aufzupolieren. Schließlich ist das Tempodrom nicht die einzige Fehlleistung, die die Stadtherren zu verantworten haben. Andererseits ist Korruption am Bau keine rein berlinerische Krankheit, sondern vielmehr ein gesamtdeutsches Phänomen, wie die FAZ unlängst feststellte.