Fitter, Happier, More Productive

Bild: Daniel von Appen/Unsplash.com

Telepolis Salon am 03.12. mit Jürgen Martschukat zum Thema Fitness und Neoliberalismus

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Das Geschäft mit der Fitness boomt. Weltweit machen Fitnessclubs jährlich 100 Mrd. US-Dollar Umsatz. Hinzu kommen Ausgaben für Bekleidung und Ausrüstung, Shakes und Superfoods. In Deutschland gibt es rund 9300 Fitnessstudios mit insgesamt über elf Millionen Mitgliedern. Auf sozialen Netzwerken zeigt man das alles gern: Wie viel man gelaufen ist, wo und wie schnell, vergleicht per Fitness-Tracker laufend Schritte, Werte und Ziele. Auf Instagram, der Plattform für Peer-Pressure, finden sich 600 Millionen Bilder zu Fitness, Workout und Gym.

Seit der Erfindung des Selfies geht es schließlich auch um den Körper, und mit ihm um die (perfekte) Präsentation des (perfekten) Selbst. Heute ist die Frage "Was tun?" einfach zu beantworten: Geh joggen. Just do it. Werde fitter, glücklicher, produktiver, wie es in einem Song von Radiohead über die moderne Arbeitswelt heißt.

Vermutlich nicht zu Unrecht. Denn, für Jürgen Martschukat sind Fitness und Neoliberalismus eng miteinander verstrickt. In seinem Buch "Das Zeitalter der Fitness - Wie der Körper zum Zeichen für Erfolg und Leistung wurde" beschreibt Martschukat die Geschichte, Politik und Versprechen hinter dem modernen Körperkult. Einst, zu Zeiten Darwins, verstand man "fit" noch im Sinne von "passend". Bald veränderte sich die Bedeutung, und Fitness stand für den Willen zur Selbstoptimierung. In den letzten fünfzig Jahren entfaltete sich Fitness zur Daseinsmetapher im Neoliberalismus überhaupt. Tagsüber "worken" am Personal Computer, abends "workout" mit dem Personal Trainer; pumpen für die Ellenbogengesellschaft.

Schließlich geht es bei der Leibesertüchtigung à la CrossFit, Spinning, Soul Cycle nicht ums Gewinnen, sondern um die ständige Verbesserung, die permanente Optimierung des Selbst. Fitness gilt daher als Ausweis unserer Leistungsbereitschaft, als Ausdruck der Fähigkeit, sich selbst zu regieren, das eigene Leben zu gestalten, Leistung zu erbringen und im allgegenwärtigen Wettbewerb zu bestehen. Der fitte Körper signalisiert Durchsetzungskraft und Willensstärke, die Fähigkeit Spielräume zu dehnen und Limits zu überwinden, immer die Übererfüllung zum Ziel. Der Fitte verkörpert: Impossible is nothing.

Produktiv und potent müsse man sein oder zumindest erscheinen, um gesellschaftliche Anerkennung zu erfahren; kampfbereit, willens und fähig, wirklich alles zu geben. Nur so erweise man sich als gutes Mitglied einer freien, auf Selbstverantwortung und Teilhabe setzenden, nach Wohlstand und Wachstum strebenden Wettbewerbsgesellschaft. Damit sei Fitness zum Kennzeichen und regulierenden Ideal der Moderne geworden, so Martschukat.

Die Kehrseite der Medaille: Wer nicht fit, sondern "fat" ist, und gerät unter den Verdacht, nicht nur faul zu sein, sondern keine Kontrolle über das eigene Leben zu haben. Der Dicke, ein "failed citizen", jemand, der weder sich selbst noch die Dinge in die Hand nehmen kann, der nicht in Form ist und daher nicht performen kann. Fatness bedeutet eine Weichheit, die mit den Anforderungen und dem Druck der Freiheit nicht klar kommt. Mangelnde Fitness sei das Menetekel (post)moderner Gesellschaften.

Martschukat fragt daher: "Ist das Leben als Couchpotato die moderne Form des Widerstands?"

Kurzvita: Jürgen Martschukat, geboren 1965, ist selbst passionierter Radfahrer, wollte aber als Historiker sein eigenes Tun doch einmal historisch-kritisch hinterfragen. Wenn er nicht gerade ein Buch schreibt, lehrt er Nordamerikanische Geschichte an der Universität Erfurt. Zuletzt erschienen von ihm "Geschichte der Männlichkeiten" (zusammen mit Olaf Stieglitz, 2. Auflage 2018) und "Die Ordnung des Sozialen. Väter und Familien in der amerikanischen Geschichte seit 1770" (2013, ausgezeichnet von "Geisteswissenschaften International").

Jürgen Martschukat ist Gast beim Telepolis Salon (Facebook-Event) auf der Alten Utting am 03. Dezember.

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