Flügel stutzen beim Online-Kranich?
Flüchtlingsinitiativen wollen die Website der Lufthansa blockieren
Nicht nur die Business Class, auch Kampagnen wie kein mensch ist illegal verlagern ihre Aktivitäten ins World Wide Web. Demonstrieren deren Aktivisten etwa im real life vor Abschiebegefängnissen oder blockieren Routen der Gefangenenbusse, die die Inhaftierten zum Flughafen transportieren, so plant nun der Net-Ableger "Deportation Class – gegen das Geschäft mit Abschiebungen" virtuelle Reisen zur Lufthansa zu stören.
Aussagen von Thierry Antinori auf der Internationalen Touristik Börse – am 5. März vom Unternehmen publiziert – dürften dazu beigetragen haben, die Phantasie der "Deportation Class" zu beflügeln. Der Bereichsvorstand Vertrieb der Lufthansa Passage Airline hatte erklärt, man werde die "führende Stellung in den zukunftsorientierten Vertriebskanälen ausbauen". Über das Onlineportal "InfoFlyway" wurden laut Presseinformation vergangenes Jahr "250.000 Buchungen getätigt, was einer Steigerung von 140 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht." Der Konzern will über das Internet, so Antinori, "im Jahr 2001 mehr als eine halbe Million Tickets verkaufen." Bis 2005 soll ein Viertel aller Buchungen im Netz getätigt werden. Die "Markteinführung des Online Travel Portal (OTP), einem gemeinsamen Reiseportal neun europäischer Fluggesellschaften", ist angestrebt.
Zwei Tage später konterten "kmii" und die Initiative Libertad!, eine ebenso zunehmend im Internet aktive Menschenrechtsorganisation: "Der E-Commerce-Bereich (der Lufthansa AG), der jetzt noch weniger als 10 Prozent der Buchungen verzeichnet, soll im Jahr 2005 schon 40 Prozent der gesamten Umsätze erwirtschaften." Der "elektronische Kapitalismus" sei nicht nur "verlockend gewinnträchtig", sondern auch "anfällig". Wenn "Konzerne, die mit Abschiebungen Geld verdienen, ihre größten Filialen im Netz aufbauen, muss man auch genau dort demonstrieren". Der bequeme Klick der Lufthansa-Kunden an die Online-Schalter soll "durch tausende InternetnutzerInnen zeitweise versperrt" werden.
Grund für den Protest: Laut "kmii" befördert die Fluggesellschaft den "Löwenanteil" der 30.000 pro Jahr auf dem Luftweg abgeschobenen Asylbewerber. Die Lufthansa AG selbst spricht von "schätzungsweise 10.000 Abschiebungen jährlich, was bei insgesamt 47 Millionen Fluggästen im selben Zeitraum sicher kein Bombengeschäft ist", so Thomas Jachnow, Sprecher des Unternehmens. Gebucht wird die Reise vom Bundesgrenzschutz (BGS). Zwei bis drei Beamte begleiten die von den Behörden als "Schüblinge" bezeichneten Menschen auf dem Flug ins Zielland. Für die Lufthansa ein rechtmäßiger Deal, so Jachnow, denn ist das Ticket gebucht und sind die Papiere der Passagiere in Ordnung, sei man laut Verkehrsrecht zur Beförderung verpflichtet. Auch werden "nur 5 bis 10 Prozent aller Ausweisungen von Beamten des BGS begleitet". Die restlichen Abschiebungen seien "wenig auffällig" und gingen "mit freundlichem Service" vonstatten.
Flüchtlingsinitiativen bezweifeln diese Aussage. Unter dem bezeichnenden Namen "Deportation Class" wird seit März 2000 Online mobilisiert, "vor allem gegen die Deutsche Lufthansa, weil die Airline ihre Flugverbindungen in die ganze Welt für Abschiebungen zur Verfügung stellt und sich so zum willfährigen Handlanger der brutalen Abschiebepraxis macht". Auch die Piloten-Vereinigung Cockpit, die ÖTV und kritische Flugbegleiter zeigen sich empört und kritisieren Fälle "unmenschlicher Zwangsabschiebungen". Im Mai '99 kam es bei einer solchen zum Tod eines sudanesische Flüchtlings an Bord einer Maschine der Lufthansa. Daraufhin lenkte die Geschäftsleitung ein. Seitdem werden "Widerstand leistenden Abschüblinge nicht mehr ", so der Unternehmenssprecher. Der Sudanese war von BGS-Beamten für den Charterflug gefesselt, geknebelt und mit einem Helm über den Kopf ruhig gestellt worden.
Schon mit einer Wanderausstellung wagte "kmii" den Schritt in die Virtualität. Sowohl in verschiedenen Städten wie auch via Internet wird im Design und den Farben der Lufthansa darüber informiert, mit welcher Art von Flügen der Konzern sein Geld auch verdient. Die Fluggesellschaft strengte eine Einstweilige Verfügung dagegen an, da sie zwei der Plakate als "verwerflich und Ruf schädigend" einstuft (Die Lufthansa "Deportation Class"). Im Dialog mit den Ausstellern wurde erreicht, so Jachnow, dass ein Bild – es stellt Lufthansa und Adolf Hitler auf eine Stufe – der Bilderschau nicht mehr gezeigt werden soll. Das andere Plakat dürfe Teil der Ausstellung bleiben. Den Willen zum Protest von "kmii" minderte das Angebot aber nicht. So werden auch regelmäßige Demonstrationen, etwa vor Reisebüros, Abschiebegefängnissen – die an Hochsicherheitstrakte erinnern –, Flugschaltern verschiedener Airlines oder der Aktionärsversammlung der Lufthansa, zunehmend ins Internet verlegt (Stoppt Lufthansa Abschiebungen?).
Ein spannende Frage dürfte sein, wer sich am bisher nicht festgelegten "Tag X" an der Aktion beteiligt: "Damit computerunkundige DemonstrantInnen auch per Mausklick teilnehmen können, wird noch rechtzeitig vor der Internet-Demo eine Protestsoftware veröffentlicht", schreibt "Deportation Class". Surfer mögen das albern finden, Kenner von "kmii" oder anderen Flüchtlingsinitiativen nicht. "kmii" etwa initiierte in Nordrhein-Westfalen das "Wanderkirchenasyl". Zur Entlastung einzelner Gemeinden wandern dabei "illegale", also nicht anerkannte und untergetauchte kurdische Asylbewerber von Zeit zu Zeit durch katholische und evangelische Gemeinden, die ihnen Kirchenasyl gewähren.
Vielen Gemeindemitgliedern, die den Fremden zu Beginn der Aktion eher reserviert begegneten, fiel bald auf, wie Behörden mit ihnen unliebsamen Menschen manchmal umgehen. In vereinzelten Fällen, als das Innenministerium aufgegriffene Flüchtlinge abschieben oder ein Kirchenasyl räumen wollte, protestierten dagegen nicht nur so genannt linke Chaoten, sondern auch einfache Bürger, Pfarrer oder die regionale Kirchenleitung. Viele dieser Menschen, um es mit Boris Becker zu sagen, sind mittlerweile drin. Nichtsdestotrotz zeigt man sich bei der Lufthansa "extrem gelassen. Als großes Unternehmen sind wir", so Pressesprecher Thomas Jachnow, "auf solche großmundigen Ankündigungen vorbereitet."