Frankreich: "30 bis 40 neue EPR-Reaktoren bis 2050!"

Seite 2: Stresstest für die EPR

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Ein anderer Aspekt des Nicht-Ausstiegs ist jedoch der geplante Einstieg in die neue Reaktorgeneration vom Typ EPR. Eine Modellanlage des EPR ist derzeit in Flamanville in der Normandie im Bau, drei weitere Reaktoren werden in Finnland sowie in China gebaut. Während man aus China dazu nicht allzu viel hört, bleiben die Baustellen in Finnland - wo es zu enormen Verzögerungen im Zeitplan kam - und in der Normandie skandalumwittert.

Die Fertigstellung des Reaktors in Flamanville war ursprünglich für 2013 vorgesehen und hat sich bis mindestens Ende 2018 verzögert. Nachdem im April 2015 gravierende Risse am Reaktordruckbehälter festgestellt worden waren (die Schuld trägt ein Kohlenstoffanteil im verwendeten Spezialstahl, der höher ausfällt als ursprünglich erwartet), ordnete die Aufsichtsbehörde ASN an, dass neue Tests vorgenommen werden müssten.

Denn es hatte sich erwiesen, dass in 400 Fällen die Unterlagen von Stresstests für Bauteile des EPR gefälscht worden waren. Rund 10.000 Bauelemente waren in der Stahlfabrik von Le Creusot in Zentralfrankreich, die - nach einer Pleite 1984 und mehreren Eigentümerwechseln - seit 2006/07 durch den Atomkonzern AREVA übernommen worden war, auf ihre chemische, mechanische, thermische und sonstige Belastbarkeit hin überprüft worden.

In rund vierhundert Fällen wurde jedoch festgestellt, dass die Tests wohl manipuliert worden waren, wenn die Ergebnisse nicht wie gewünscht ausfielen - als handele es sich etwa um die Abgaswerte von Dieselmotoren bei VW, aber mit potenziell noch weitaus gravierenderen Folgen. Im Oktober 2016 sprach die ASN davon, dass in manchen Fällen "die festzustellenden Anomalien (vorsätzlichen) Fälschungen ähnelten".

In der französischen Atomindustrie brach daraufhin Panik aus.

Komplizenschaft?

Das Ende vom Lied? Schlussendlich genehmigte die Aufsichtsbehörde ASN den problembelasteten Reaktorbehälter in Flamanville am 28. Juni 2017 - unter der Auflage, er müsse bis im Jahr 2024 ausgetauscht werden. Niemand hat wirklich verstanden, warum es zu diesem Kompromiss kam und das Risiko sieben Jahr lang tragbar sein soll, danach jedoch nicht mehr.

Atomenergiekritische Verbände und Beobachtungsstellen sprachen von einer "Komplizenschaft" der Aufsichtsbehörde mit dem Betreiber und unterzogen ihre Entscheidung bis in allerjüngster Zeit mit heftiger Kritik.

Es ging aber natürlich auch darum, einen als Exportprodukt geplanten Reaktor und damit potenzielle außenwirtschaftliche Erfolge Frankreichs nicht zu gefährden. So soll Indien den EPR, im Zusammenhang mit einem Staatsbesuch Emmanuel Macrons dort zu Anfang 2018, in naher Zukunft erwerben.

Hinkley Point C

Im südwestlichen England wurde bereits mit dem Bau eines EPR - dem Projekt Hinkley Point C -, an dem der französische Atomanlagenbetreiber EDF nebst einem chinesischen Investor führend beteiligt ist, begonnen. Das dortige Projekt steht aber ebenfalls in der Kritik und wird heftig debattiert, auch seitens britischer Abgeordneter.

Unter anderem die horrenden Kosten dieses Projekts - finanziell derzeit das gigantischste Bauvorhaben auf der Welt - werden angeprangert, ebenso wie ihre befürchteten Auswirkungen für die britischen Konsumentinnen und Konsumenten.

Französische Atomkraftkritiker vermuten unterdessen, dass sich schlicht Geheimabkommen über eine militärische nukleare Zusammenarbeit - also bei der Entwicklung künftiger Atomwaffen - zwischen der französischen und der britischen Seite hinter dem megalomanen Projekt verbergen.

Kritik am französischen Atom-Park

Auch der "klassische" französische Atompark steht in der Kritik. Die Umweltorganisation Greenpeace veröffentlichte eine Karte zu atomaren Risiken in Frankreich und äußerte sich "alarmiert" über den Zustand der Kühlbecken für Brennelemente bei französischen Atomkraftwerken.

Andernorts wird der Rostfraß in französischen Atomanlagen, der ausgesprochen lockere Umgang mit bei ihnen gelagerten radioaktiven Abfällen oder der Zustand der Wasserleitungen in ihnen der Kritik unterzogen; im zuletzt zitierten Fall kommt sie von der offiziellen Aufsichtsbehörde ASN.

Im Frühherbst dieses Jahres lagen zeitweilig zwei Drittel des französischen Atomparks aufgrund von Störfällen, nötigen Reparatur- oder Wartungsarbeiten still; derzeit ist es eher ein Drittel.

Ungelöst ist derzeit - in Frankreich wie in anderen Ländern - auch noch die Frage der Endlagerung von Atomanfällen. Der französische Staat favorisiert dabei eine Lagerstätte im lothringischen Bure, wo es jedoch zu heftigen Widerständen von örtlichen Kräften wie von überregionalen Atomkraftgegnern kommt.

Auch das Anfang November in Paris versammelte, internationale Anti-AKW-Sozialforum stattete deswegen dort einen Besuch ab. Umweltminister Nicolas Hulot hat seine Unbeliebtheit bei Umweltschützerinnen sowie Atomkraftkritikern nicht dadurch verringert, dass er im November diese Jahres das Endlagerprojekt in Bure als "geringstes Übel" bezeichnete und dadurch erneute Kritik auf sich vereinigte.

Einziges Trostpflaster im Augenblick: Das Uralt-AKW im elsässischen Fessenheim, in geographischer Nähe zu den Städten Freiburg und Basel, soll nun Ende 2018 endlich, endlich stillgelegt werden. Dieser Beschluss ist nun "durch"; die Vorgängerregierung unter François Hollande hatte ihn angekündigt, aber nicht einmal das hatte sie in ihrer Amtszeit bewerkstelligt.