Frankreich: "Arbeit soll wieder besser bezahlt werden"
Ministerpräsident Philippe kündigt an, dass Überstunden künftig von Sozialabgaben befreit werden. Dafür bremst der Staat bei Sozialausgaben. Es soll zur Aktivität ermuntert werden
Ganz Europa wird beherrscht von der Frage, wer reindarf und wer draußen bleiben muss? Nicht ganz. In Frankreich steht das Wieder-in Schwung-bringen der Wirtschaft, wie immer die Kaufkraft und der Kampf gegen die Armut auf den vorderen drei Plätzen. Danach kommt die Sicherheit, dann die Umwelt und der Übergang in der Energieversorgung und erst dann kommt die Migrationspolitik auf Platz sechs.
Die großen Auseinandersetzungen zwischen der Regierung in Paris und der Opposition werden in den kommenden Wochen auf dem Feld der Ökonomie und der sozialen Gerechtigkeit ausgetragen, prophezeit die linksliberale Tageszeitung Libération angesichts einer aktuellen Umfrage, zu der die eben genannte Prioritäten-Rangliste gehört.
Die Umfrage (von Viavoice) gönnt dem ambitionierten Präsidenten Macron und seinem Premierminister Philippe nur ziemlich schlechte Beliebtheitswerte. Nur 35,7 Prozent der in der vergangenen Woche befragten etwa 1.000 repräsentativ ausgewählten Franzosen haben "eine gute Meinung über Emmanuel Macron als Präsident". Im Mai 2017 waren es immerhin 48,6 Prozent und in den Monaten darauf erhielt er sogar einmal 53,4 Prozent.
Der "Wirklichkeitstest"
Bei Premierminister Edouard Philippe ist es nicht besser. Auch von ihm haben nur 36 Prozent der Befragten eine gute Meinung. Hier nun rückt die Libération zusammen mit dem Chef des Umfrageinstituts, Aurélien Preud'homme, die Frage nach der Wirtschafts- und Sozialpolitik in den Mittelpunkt. Das Terrain werde zum Wirklichkeitstest für den Präsidenten.
Bei der Umfrage zeigten sich 76 Prozent der Anhänger der Linken sowie 79 Prozent der Anhänger der Rechten (damit sind die Konservativen wie Les Républicains gemeint) und 85 Prozent der Anhänger der Partei Le Pens, dem nun Rassemblement National genannten Nachfolger des Front National, also mehr oder weniger ganz Frankreich über die wirtschaftliche und soziale Situation "beunruhigt".
Gestern veröffentlichte die Zeitung Journal du Dimanche (JDD) ein Interview mit Premierminister Edouard Philippe zu den anstehenden Reformen der Sozial- und Wirtschaftspolitik. Seine Budget-Vorhaben schauen nicht nach Beruhigungspillen aus. Sozialleistungen werden nicht mehr wie zuvor üblich automatisch an die Inflation angepasst, dafür die Arbeitszeiten an die Anforderungen der Arbeitgeber.
Das leitende Prinzip der Politik folgt der bekannten Idee des Duos Macron/Philippe, wonach Unternehmen das Herz einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik sind. Die Prognosen für das Wirtschaftswachstum 2019 liegen unter den früheren Ankündigungen. Hatte man zuvor mit einem Wachstum von 1,9 Prozent gerechnet, so wurde dies nun auf 1,7 % korrigiert.
Das ist weder ein eklatanter Wert, noch eine eklatante Korrektur, steht aber offensichtlich so stark im Kontrast mit dem Optimismus und der Wende zum Besseren, die man sich vom "Jupiterpräsidenten Macron" versprochen hat, dass die Lage aus der Enttäuschung heraus empfindlich und bitter bewertet wird. Zu sehen ist das etwa beim JDD-Artikel zum Gespräch mit dem Ministerpräsidenten.
"Schockmaßnahmen"
Dort werden die Einschnitte bei den Sozialabgaben und die Einsparungen der Sozialabgaben bei Überstunden als mesures chocs "Schockmaßnahmen" bezeichnet. Die Regierung will das Wohngeld, auf das die Ärmeren und die unteren Einkommensschichten angewiesen sind, ebenso wie die Familienhilfe (Kindergeld) im neuen Budget nur um 0,3 Prozent jährlich steigern, während die Inflation in diesem Jahr aber mit 1,8 % registriert wird - laut FAZ liegt sie gar bei 2,3 Prozent.
Auch die Renten werden wie die Mindestsicherung RSA anders als bislang üblich von der Preissteigerung entkoppelt. Dafür sollen aber die Arbeitseinkommen von Niedrigverdienern, die staatliche Mindestrente sowie Leistungen für Behinderte "bald deutlich steigen".
Zudem kündigt der Premierminister Entlassungen im Staatsdienst an. 2019 sollen 4.500 Posten gestrichen werden. Das sei ein ganzes Stück von den anvisierten 50.000 zu streichenden Stellen im Staatsdienst entfernt, aber er sei nicht überzeigt von einer "Politik mit dem Hobel", so Philippe.
Bislang könne er nur vorhersagen, dass die Zahl der zu streichenden Beamtenposten 2020 bei über 10.000 liegen werde. Allerdings werde bei der Polizei, der Gendarmerie, dem Inlandsgeheimdienst DGSI und der Justiz aufgestockt. Um etwa 2.000 Posten bei den erstgenannten Sicherheitskräften und dem Geheimdienst und um etwa 1.300 Posten bei der Justiz. Das gehöre zu den Prioritäten, so der Ministerpräsident.
Überstunden sollen sich lohnen
Zu den Prioritäten des Staates gehöre auch die Unterstützung des aktiven Lebens, sprich desjenigen, der einen Arbeitsplatz hat. "La rémunération de l’activité", nennt das Edouard Philippe, übersetzt etwa mit "die Belohnung der Aktivität". In der FAZ ist ihm vorschwebende Modell treffend umschrieben:
Der Premierminister zeigte sich auch offen für den Vorschlag, die Arbeitslosenhilfe zu senken, je länger die Arbeitslosigkeit dauert, um die Anreize für die Arbeitsaufnahme zu erhöhen. Über diesen Punkt dürfte in den kommenden Wochen heftig diskutiert werden. "Dem Land geht es besser, wenn mehr gearbeitet wird und die Leute dafür besser bezahlt werden", sagte Philippe.
FAZ
Im JDD-Artikel wird der Ministerpräsident mit einem Ausspruch zitiert, der frei mit der auch hierzulande bekannten Aussage zu übersetzen wäre, "dass sich Arbeit wieder lohnt". "Wir wollen, dass die Franzosen wieder zu einer Arbeit zurückkommen, die sich bezahlt macht, und das immer besser. Das ist der Sinn unserer Aktion". Gemeint mit der Aktion ist das Streichen von Sozialabgaben bei Überstunden.