Frankreich: Die Affäre Mila und die Blasphemie
Eine Schülerin beleidigt den Islam als Religion und löst eine Diskussion zur Meinungsfreiheit aus
Äußerungen einer Schülerin, die sie in Videos auf Instagram gemacht hat, haben in Frankreich eine Debatte über Meinungsfreiheit ausgelöst, an die sich wenig überraschend eine ganze Polit-Maschinerie anschließt und die von extremen Polarisierungen getragen wird.
Die "Affaire Mila", benannt nach dem Vornamen der 16-Jährigen, wurde durch deren Bemerkungen zum Islam ausgelöst, die im öffentlichen Kontext starker Tobak sind:
Ich hasse die Religion (…) Im Koran steckt nur Hass, der Islam ist Scheiße (…) Ich sage, was ich darüber denke, ihr werdet mich das nicht bereuen lassen. Es gibt noch Leute, die sich darüber aufregen, mit denen hab' ich klipp und klar nichts zu tun, ich sage, was ich denke. Eure Religion ist Scheiße (…) Eurem Gott stecke ich den Finger (…) danke, auf Wiedersehen.
Mila, Schülerin
Auf das Video mit diesen Aussagen ist mindestens eine Million Mal zugegriffen worden. Es ist, wie an den Sätzen, die sich von anderen Äußerungen distanzieren, zu erkennen, ein Ausschnitt aus einer Internet-Konversation. In der ging es zunächst um die Attraktivität von Araberinnen. Geführt wurde der Meinungsaustausch über Instagram-Live-Video mit einer anderen Frau. Doch schalteten sich andere Personen beleidigend ein; erst einer, dann mehrere, mit Drohungen und persönlichen Beleidigungen, wie die Schülerin der Zeitung Libération gegenüber erklärte.
Sie entschloss sich daraufhin zu weiteren Video-Statements, die kurz darauf folgten und ihre Haltung zur Religion deutlich machten. Wichtig ist ihr: Die Schülerin betont, dass es ihr um die Religion geht, nicht um Personen. Sie habe keine Person beleidigt oder angegriffen, keine Anhänger der Religion, sondern lediglich die Religion selbst, den Islam, stellt sie heraus.
Sie verfolge damit auch keine politischen Ziele.
Ihre Videos lösten, wie sie erzählt, unmittelbar ein cyberharcèlement aus - "Belästigungen", die anders als es der Begriff "Cyber" vielleicht suggerieren mag, ganz und gar nicht aufs Netz begrenzt blieben. Sie erhielt eine große Anzahl an Todesdrohungen, die an Horror und Schärfe gewannen, als ihr klar wurde, dass ihr Gymnasium ausfindig gemacht wurde und dort unter dem Namen ihres Vaters angerufen worden war. Die Bedrohung machte sich auf den Weg in die echte Lebenswelt der Schülerin.
Die Videos wurden am Samstag, den 18. Januar, veröffentlicht. Ab Montag konnte sie nicht mehr in die Schule gehen - dieser Zustand währt bis heute. Am Freitag, den 24. Januar, eröffnete die zuständige Staatsanwaltschaft in Vienne (im Departement Isère) zwei Ermittlungen. Eine davon wurde fallengelassen.
Sie hatte die "Anstiftung zum Hass gegenüber einer Gruppe wegen deren Zugehörigkeit zu einer Ethnie oder einer Religion" zum Gegenstand. Es gebe "kein Element, weder im Kontext noch bei der Persönlichkeit der Autorin der Äußerungen noch bei einem verfolgten Zweck, die einen Verstoß gegen das Strafrecht kennzeichnen", so die staatsanwaltschaftliche Begründung zur Einstellung dieser Ermittlung.
Die andere Ermittlung der Staatsanwaltschaft - aufgrund der Todesdrohungen - läuft weiter.
Ein Recht auf Blasphemie?
Die Diskussion über den Fall, der bald die größere Öffentlichkeit erreichte, konzentrierte sich, angeregt auch durch Äußerungen der Schülerin, im Fortgang auf die Frage, ob es "ein Recht auf Blasphemie" gebe. Dabei spielen im Hintergrund Todesurteile, die in islamischen Ländern wegen Blasphemie verhängt werden, mit hinein - auch die unsägliche, menschenfeindliche Fatwa gegen den Schriftsteller Salman Rushdie, die in Iran 1989 als Todesurteil gegen den Verfasser eines Romans (!!) ausgesprochen worden, wurde in Medien neu aufgetischt.
Die Rechtslage in Frankreich liefert keinen ausdrücklichen Anspruch auf das Recht auf Blasphemie, aber sie schützt Freiheitsrechte. Sie ist ähnlich der in Deutschland, nur dass man - nicht untypisch - dort sehr viel früher Freiheitsrechte in Geltung brachte. Seit dem 29. Juli 1881 gilt Pressefreiheit, die das Delikt der Blasphemie abschaffte. In Deutschland brauchte man noch lange, lange Jahre, um dahin zu kommen:
In Deutschland war die Blasphemie bis 1969 ein strafrechtlicher Tatbestand. Nach der Reform des Strafgesetzbuches begnügte sich der Gesetzgeber weitgehend damit, die ungehinderte Wahrnehmung des Grundrechtes der Freiheit von Glauben, Gewissen und Religionsbekenntnis im Gottesdienst zu schützen.
So ist die Beschimpfung eines religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses nur noch dann mit Geld- oder Freiheitsstrafe bewehrt, wenn durch sie der öffentliche Frieden gestört wird (§ 166 StGB). Die Paragraphen 167 und 168 StGB stellen die Störung der Religionsausübung (also etwa eines Gottesdienstes) und der Totenruhe unter Strafe.
Kirche und Leben
In Frankreich ist es "möglich, eine Religion zu kritisieren und auch zu beleidigen, aber nicht die Anhänger einer Religion, das ist verboten. Es gibt einen gesetzlichen Rahmen, um gegen die Diskriminierung oder Beleidigungen anzugehen", informiert Le Monde - mit dem Zusatz, "wenn sich dies gegen religiöse Personen richtet".
Letzteres hat die Schülerin, wie bereits erwähnt, dezidiert als Adresse ihrer Äußerungen ausgeschlossen. Ihr ging es nach ihren Worten lediglich um die Religion.
Rechts schlagen die Trommeln, die Ministerin rudert zurück
Öffentlich wurde das anders gesehen. Die oben genannte "Politmaschinerie" kam ins Laufen, nachdem die Affäre Wellen schlug, sich auf Twitter zwei Lager bildeten - #JeSuisMila und #JeNeSuisPasMila - und wie berichtet wird, die Rechte und die "cathosphère" ("Sphäre der Katholiken") laut die Trommeln schlugen - während die Linke schwieg, wie der Anwalt der Schülerin kommentierte: "Das ist ein Boulevard, den man den Extremen überlassen hat."
An dieser Stelle hinzuzufügen ist, dass der Anwalt der Schülerin, Richard Malka, bekannt ist für seine juristische Betreuung des Satiremagazins Charlie Hebdo.
Die Ministerin, die sich dann zur Affäre zu Wort meldete - weil sie ihr nicht ausweichen konnte? - gab kein gutes Bild ab. Justizministerin Nicole Belloubet sprach in einem Interview mit dem Sender Europe 1 von einem Angriff auf die Gewissensfreiheit ("liberté de conscience") durch die Schülerin und lieferte dadurch der Kritik von rechts eine Breitseite, die Marine Le Pen rasch nutzte, um herauszustellen, dass sich die aktuelle Regierung nicht um wichtige Werte Frankreichs kümmere.
Statt einen Gegenangriff zu versuchen, lenkte die Justizministerin ein und ruderte zurück. Sie bezeichnete ihre Äußerung als "ungeschickt", was ihr mit Häme in den sozialen Netzwerken vergolten wurde.
Auch der Vertreter des französischen Rates der Muslime (CFCM), Abdallah Zekri machte keine glückliche Figur, da er darauf bestand, die Schülerin im Teenager-Alter als "Säerin" für das mitverantwortlich zu machen, was sie dann "erntete"...
Angesichts von Todesdrohungen aufgrund der Meinungsäußerung einer 16-Jährigen auf Instagram war dies ein Faux Pas, den der Präsident des CFCM, Mohammed Moussaoui, rasch mit der Pressemitteilung zu korrigieren versuchte, dass "nichts solche Drohungen rechtfertigt".
Wann Mila wieder zur Schule gehen kann, ist noch nicht geklärt.