Frankreich: Die Wohnungsnot wächst
Fondation Abbé Pierre: 12,1 Millionen Personen leben in kritischen oder notdürftigen Wohnverhältnissen
Regelmäßig zum Jahresende oder Jahresbeginn erscheint der Bericht der Fondation Abbé Pierre. Seit vielen Jahren beschreibt er eine Abwärtskurve: Die Wohnungsverhältnisse für die Ärmeren in Frankreich werden immer miserabler, lautet verlässlich die Kernbotschaft. So auch im diesjährigen Bericht: 12,1 Millionen Personen sind in Frankreich erheblich von der Wohnungskrise betroffen, sei es, weil sie auf zu engem Platz in schlechten Behausungen untergebracht sind, von Räumung bedroht werden, oder weil sie selbst von billigen Mieten finanziell überfordert sind und sich auch keine Heizung leisten können.
Zähle man alle zusammen, die nicht in einer kritischen Lage sind, sondern in einer schwierigen, komme man sogar auf 15 Millionen Personen "en difficulté", heißt es in der zusammengefassten Bilanz, bei welcher der am schlimmsten betroffenen Personenkreis auf 4 Millionen geschätzt wird. Sie haben entweder gar kein Obdach, sind nur notdürftig untergebracht oder ohne einen persönlichen Raum.
Zahl der Personen ohne festen Wohnsitz binnen 10 Jahre um 50 Prozent gestiegen
An diesen mit großen Zahlen untermalten Schlaglichtern wird erkenntlich, was schon die vorgängigen Berichte ausgezeichnet hat (vgl. den Bericht von Ende 2015: Frankreich: 3,8 Millionen nur "notdürftig untergebracht"): eine Entwicklung, die zum noch Schlechteren tendiert und ein Zahlenwerk, das nicht wirklich übersichtlich ist und Wünsche nach präzisen Angaben erfüllt. Allerdings sprechen manche Aussagen für sich. Etwa, wie der Leiter der Fondation mitteilt, dass die Zahl der Personen ohne festen Wohnsitz binnen 10 Jahre um 50 Prozent gestiegen ist. Derzeit beträgt sie 143.000.
Für sich spricht auch die Aussage, dass 11 Millionen keine ausreichenden Mittel für eine ausreichende Strom,- Warmwasser oder Gasversorgung haben, was mit den gestiegenen Energiepreisen zu tun hat - seit 2000 sind sie um 70 Prozent gestiegen - und mit schlecht isolierten Wohnungen.
Zuviel Miete, zu hohe Stromkosten
Anschaulich vorgeführt wird das Phänomen der "Energie-Prekarität" an Beispielen wie dem einer Familie, die mit weniger als 1.000 Euro im Monat auskommen muss, 550 Euro davon für die Miete bezahlt und 200 (!) Euro im Monat für den Strom. Der Mann ist arbeitslos, immer wieder wird der Strom wegen unbezahlter Rechnungen gekappt, was im Winter bedeutet, dass die Familie mit einem kleinen Kind tagelang keine Heizung hat.
Für die Ärmeren, die untere und die mittleren Klasse verschlechtere sich die Lage seit die Immobilienpreise in den 2000er Jahren angestiegen sind und der Finanzkrise ab 2008, stellt die Fondation fest.
Das sei drastisch an dem Anwachsen der Zahlen der Personen ohne festen Wohnsitz zu sehen und an der wachsenden Zahl der Personen, die bei einem Dritten, in einer Pension oder in provisorischen Behausungen Unterschlupf finden (insgesamt 753.000). Diese Zahl sei zwischen 2002 und 2013 um 19 Prozent gestiegen. Die Zahl derjenigen, die in zu engen Wohnverhältnissen leben (mindestens ein Zimmer fehlt in der Wohnung) hat zwischen 2006 und 2013 um 17 Prozent zugenommen.
Ein Wahlkampf-Argument?
Dieses Jahr unterscheidet sich von denen zuvor. Es ist Wahlkampf, die alles beherrschende Frage ist, ob die FN-Kandidatin Marine Le Pen Präsidentin werden kann. Die Wohnungsnot wäre ein Thema. Die Fondation Abbé Pierre und Frau Le Pen stehen auf keinem guten Fuß. Sie wird kaum auf die Zahlen zurückgreifen.
Aufgenommen haben das Thema die Kandidaten links von der Mitte, Benoît Hamon und Jean-Luc Mélenchon, wie auch der Grüne Yannick Jadot und der Mitte-Kandidat Emmanuel Macron. Sie haben sich in einer eigens angesetzten Wahlkampfveranstaltung mit dem Bericht auseinandergesetzt. Wie sich ihre Vorschläge dann in den letzten Wahlkampfwochen zu politischem Kapital machen lassen, ist aber noch nicht abzusehen.
Der Kandidat der konservativen Republikaner, François Fillon, der eine Nähe zur katholischen Kirche hat, kämpft derzeit mit einem Skandal, der sich weiter auswächst. Nun wird ihm nicht nur zur Last gelegt, dass er seiner Ehefrau über fiktive Anstellungen zu 900.000 Euro verholfen hat, sondern auch seine Kinder in ähnlicher Weise begünstigt hat.