Frankreich: "Keine Bilder mehr von Polizisten und Gendarmen auf sozialen Netzwerken"
Ein neuer Gesetzesvorschlag droht Filmern von Polizeigewalt mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr, wenn sie das Filmmaterial "böswillig nutzen"
Es gab bereits mehrere Anläufe, dem Filmen von Polizeigewalt in Frankreich und dem Verbreiten des Bildmaterials auf sozialen Netzwerken ein Ende zu bereiten, in der nächsten Woche kommt ein neuer Vorschlag vors französische Parlament.
Der Artikel 24 des Gesetzesvorschlags zur sécurité globale sieht eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr und eine Geldstrafe von bis zu 45.000 Euro vor für den Fall "einer Verbreitung, egal durch welches Mittel und Medium, des Bildes vom Gesicht oder eines anderen identifizierenden Elements eines Polizeibeamten, der im Rahmen einer Polizeioperation agiert". Geknüpft ist das an eine Bedingung: "…, wenn das Ziel darin besteht, der körperlichen oder geistigen Unversehrtheit (i.O. "son intégrité physique ou psychique") des Polizisten oder Gendarmen zu schaden, …".
Wie will man dieses Ziel nachweisen? Wann liegt eine böswillige Nutzung, die usage malveillant, von der die für den Gesetzesentwurf verantwortliche Abgeordnete Alice Thourot spricht, vor, und wann ist eine Absicht dazu erkennbar? Liegt das im Ermessen des Polizisten, der gerade dabei gefilmt wird, wie er auf einen Demonstranten einprügelt oder eintritt?
Wenn ein Journalist sie filmt, könnten Polizeibeamte annehmen, dass das Video live gesendet wird, mit dem Ziel, ihnen zu schaden, und sie könnten den Journalisten festnehmen, aufgrund des Verdachts, dass er eine Straftat begeht und gegen ihn ermittelt wird. Selbst wenn die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung niedrig ist, hätte man den Journalisten davon abgehalten, weiter über das zu berichten, was geschieht.
Reporter ohne Grenzen
Die Absicht des neuen Innenministers Gérald Darmanin ist klar. Er will sich wie alle Innenminister gut mit den Polizistinnen und Polizisten stellen.
Ich habe das Versprechen abgegeben, dass man keine Bilder mehr von Polizisten und Gendarmen auf sozialen Netzwerken veröffentlichen darf. Dieses Versprechen wird eingehalten, da das Gesetz die Verbreitung solcher Bilder verbietet.
Gérald Darmanin
Nun könnte man einwenden, dass dies durch die gutwillige Absicht motiviert ist, die Polizisten vor Nachstellungen zu schützen, weil jemand ihre Identität auf den Fotos oder Filmen erkennt. Solche Fälle gibt es. Aber das ist nicht die einzige Absicht, die andere hat einen größeren politischen Rahmen.
Schon Darmanins Vorgänger Christoph Castaner hatte sich zum Schutzmann der Polizei erklärt und sie gegen alle Vorwürfe der unerlaubten und unverhältnismäßigen Polizeigewalt verteidigt. Mitte Februar waren Pläne bekannt geworden, dass er gegen die für die Polizei so lästigen und unerwünschten Videoaufnahmen vorgehen will.
Im Gegensatz zu Deutschland regelt das bestehende französische Gesetz eindeutig, dass Aufnahmen von Polizeiaktivitäten im öffentlichen Raum erlaubt sind - wie auch ihre Verbreitung, solange dies dem Ziel der Information dient und keine Beleidigung damit einhergeht; ausgenommen sind Spezialeinsätze, etwa Antiterroreinsätze oder Einsätze gegen organisierte Kriminalität (Frankreich: Das "lästige" Recht auf Filmen von Polizeigewalt).
Sein Nachfolger Gérald Darmanin will nun über die Bühne bringen, was Castaner nicht schaffte. Den Passus zur Bestrafung der Verbreitung von Bildmaterial, auf denen Polizisten zu erkennen sind, hängte er an ein Gesetz zur sécurité globale an, das im Kern andere Dinge regelt - und er drückte ein Eilverfahren durch. In der Nationalversammlung hat die Regierungspartei La République en Marche eine Mehrheit, die langsam schrumpft.
Natürlich gibt es Gegenwehr (auch bei Libération und StreetPress). Seit auch die großen Medien die vielen Hunderte Videoclips, die brutale Polizeigewalt zeigen, nicht mehr ignorieren konnten, wurde die Polizei nicht mehr nur in Nischen-Publikationen kritischer beäugt. Medien wie Le Monde veröffentlichten Reportagen, die den Beweis führten, dass Polizisten völlig Unschuldige auf Gelbwesten-Demonstrationen schwer verletzten. Die Menge der rechtswidrigen Vorgänge, dokumentiert etwa vom Journalisten David Dufresne, konterkarierte das Image, das Macron und seine Regierung den Gelbwesten aufnötigen wollten: Dass vor allem sie es seien, die mit Gewalt agieren. Non, auch das Gewaltmonopol der Polizei der Republik zeigte sein hässliches Gesicht.
Die neue Mannschaft von Macron ist weiter nach rechts gerückt. Dass der Präsident mit Gérald Darmanin einen Protegé Sarkozys (Le Kärcher) zum Innenminister gemacht hat, ist ein Zeichen des Kurswechsels. Geht das Gesetz durch, so hat Gérald Darmanin auf seine Art gekärchert.
Zwar melden sich gerade Journalistenvertretungen, wie zum Beispiel Reporter ohne Grenzen oder Gewerkschaften, zivilrechtlich engagierte Vereine wie La Quadrature du Net und entrüstete Redaktionen von Zeitungen der linken Mitte zu Wort, aber wenn am anfangs erwähnten Wortlaut des Gesetzesvorschlages nichts geändert wird, dann wird es für die Journalisten, die kein großes Medium im Rücken haben, schwer.
Die meisten Journalisten, die die Polizisten mittendrin bei den Demonstrationen der Gelbwesten, der Gewerkschaften oder der Schüler, beobachtet haben, sind Freelancer. Auf einen möglicherweise teuren Rechtsstreit darüber, ob bei ihren Aufnahmen die Absicht einer böswillige Nutzung vorliegt, wollen oder können sich nicht alle einlassen - und die technische Möglichkeit, Gesichter oder andere Merkmale, die zur Identifizierung der Polizisten beitragen, stante pede zu verpixeln, bevor sie verbreitet werden, dürften auch nicht viele haben.
Dazu kommt, dass auch Twitter und Facebook das Risiko scheuen werden, das die Verbreitung von Liveaufnahmen von gewalttätigen Polizisten nach dem neuen Gesetz mit sich bringt. Die jüngsten Tendenzen deuten darauf hin, dass die beiden Social-Media-Portale möglichen Ärger antizipatorisch aus dem Weg gehen und wahrscheinlich peu à peu das Verbreiten bestimmter Clips und Fotos einstellen.