Frankreich: Lehrer, die der Gewalt von Schülern ausgesetzt sind
… und von ihren Vorgesetzten aus Karrieregründen im Stich gelassen werden. Ein Fall außergewöhnlicher Aggressivität eines Schülers gegen eine Lehrerin führt zu einer Welle der Empörung
Der französische Bildungsminister Jean-Michel Blanquer steckt in einer Bredouille. Ihm setzt die Diskussion über Gewalt gegen Lehrer zu. Nun ist das Thema an sich nicht neu; dass sich Schüler gegen Lehrer aggressiv verhalten, ist seit langer Zeit ein Problem. Aber die Diskussion in Frankreich wurde durch einen Vorfall ausgelöst, der ein extremes Beispiel von Aggression dokumentiert.
Der Vorfall wurde auf Video aufgenommen wurde und fand in sozialen Netzwerken rasch große Aufmerksamkeit. Es zeigt einen Schüler, der seine Lehrerin in der Haltung eines "Gangsta" mit einer Pistole bedroht, die er auf die Schläfe der Lehrerin richtet. Sie sollte einen Eintrag im Klassenbuch korrigieren - von "abwesend" zu "anwesend". Der 16-jährige Schüler war angeblich ein notorischer Zuspätkommer. Auf dem Video ist Lachen über die Aktion zu hören.
Vorwurf der Laxheit
Die Reaktionen auf das Video berühren gesellschaftlich wunde Punkte, die zu den heißen Streitthemen der Auseinandersetzungen zwischen den politischen Lagern - nicht nur in Frankreich - gehören: Die Realitätsverleugnung eines karrierebeflissenen "Establishments", der Abschied vom Modell der väterlichen Autorität, übermäßiger Schutz und zu viel Toleranz gegenüber Kindern, die sich in der Folge als "Tyrannen" gebärden - in der höflicheren französischen Sprache wird das Phänomen mit l'enfant roi (übersetzt: das Kind als König) umschrieben -, und damit einhergehend der Vorwurf der Laxheit.
Dazu kommt als weiteres neues Element die Rolle der Haschtag-Empörung, die, wie es exemplarisch #MeToo vormachte, sehr viel Wirbel in einem öffentlichen Raum für eine Wirklichkeit entfachen kann, die jahrelang unter einem einverständlichem Schweigen verborgen wurde.
"Draußen setzt es Schläge" - Lehrer alleine in der Schule
#PasdeVague ist der Hashtag für die Welle der Empörung, mit der die französischen Lehrkräfte auf ihre Situation aufmerksam machen. Dass sie dort von ihren Gewalterfahrungen mit Schülern berichten, davon dass sie körperlich bedroht werden - "draußen setzt es Schläge"- , dass sie tatsächlich auch geschlagen werden, dass sie sexuell belästigt werden ("Du kannst mir einen blasen"), dass ihr Auto demoliert wird, sie auf unterschiedlichste Weise eingeschüchtert und bedroht werden, ist bei aller Härte, die allein darin steckt, nur ein Aspekt.
Der ist bekannt, dafür hat man schon eine ganze Mappe an Erwiderungen gefunden oder entwickelt, so dass einigermaßen "Ruhe im Karton" bleibt. Politisch ans Eingemachte geht die #PasdeVague-Empörung, weil sie das "man" im Visier hat: die Vorgesetzten in der Hierarchie, die Schulleiter, die Gremien, die höheren Ebenen in der Ministerialbürokratie, die solche Klagen zu ersticken versuchten und nicht selten sogar die Lehrkräfte ihrerseits bedrohten: "Wenn sie damit nicht fertigwerden, dann müssen Sie sich einen anderen Job suchen". Der klassische Chef-Satz ...
Das Unterbuttern wird in Lehrerkreisen damit erklärt, dass die Vorgesetzten auf ihre Karriere achten, die von solchen Problemen, für die sich nicht so leicht Lösungen finden lassen, nicht gestört werden soll. Die Schule soll nicht in die Schlagzeilen kommen.
"Bloß keine Wellen machen"
Der Name des Hashtags spricht diese Maxime aus, die einer weit verbreiteten Haltung zugrundeliegt: "bloß keine Wellen machen", pas de Vague. Die Erfahrungsberichte sprechen von einer Wirklichkeit, die zuvor, so gut es ging, unter den Tisch gekehrt wurde.
Das ist nun seit dem gefilmten Vorfall in dem Gymnasium der 90.000-Einwohnerstadt Créteil in der Peripherie von Paris anders. Präsident Macron schaltete sich sehr früh ein, das Bedrohen einer Lehrkraft sei unakzeptabel, er erwarte, dass sich der zuständige Minister darum kümmere, dass er angemessene Maßnahmen treffe und Strafen ausgesprochen werden.
"Verwilderung der Gesellschaft" und Strafen
Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den Schüler wegen "Gewalttätigkeit in einem schweren Fall", wie auch gegen denjenigen, der ihm die Spielzeug(Airsoft)-Waffe verschafft hat und denjenigen, der das Video gefilmt und ins Netz gestellt hat. Welche Strafen sie genau zu erwarten haben, ist noch nicht bekannt, außer dass der Schüler, der die Lehrerin bedroht hat, selbst von der Umgebung der Schule fernhalten muss.
Bildungsminister Jean-Michel Blanquer folgte bald mit der Ansage, dass man "die Ordnung wiederherstellen" werde. Das war am Sonntag. Danach wuchs der Druck.
Die Medien berichteten von den Lehrern, die allein gelassen werden und schrecklichen Erfahrungen ausgesetzt sind, im konservativen Figaro wurde die Laxheit der Vorgesetzten zum Thema gemacht und Marine Le Pen nutzte, wie andere im rechtsnationalen und konservativen Lager auch, die Gelegenheit, um die Laxheit als gesellschaftlichen Verfall - "Verwilderung der Gesellschaft" - herauszustellen, die keinen Respekt mehr für grundlegende Normen habe.
Der x-te Plan
Indessen stellte Bildungsminister Jean-Michel Blanquer heute den x-ten Plan für eine bessere und sicherere Schule vor: Der Respekt vor den Lehrkräften soll im "Herz des Unterrichts" stehen. Geholfen werden soll den Lehrern künftig mit einer mobilen Einsatzgruppe ("équipes mobiles de sécurité) - mit Mitgliedern aus dem Erziehungssektor ("personnels de l’Éducation nationale"), die in Sicherheitsfragen ausgebildet werden.
Zudem sollen Polizeikräfte in der Nähe von Schulen verstärkt werden, um gegen "Drogenhandel, Bandenkämpfe und den islamistischen Fundamentalismus" vorzugehen.