Frankreich: "Neue Atomkraftwerke noch schneller ans Netz"

Seite 2: Die Standorte des "großen Abenteuers der zivilen Kernenergie"

Gesprochen wird in der gewohnt großspurigen Form von Präsident Macron vom "großen Abenteuers der zivilen Kernenergie". Macron will bis zur Mitte dieses Jahrhunderts sechs neue Atommeiler aus dem Boden stampfen und er stellt auch den Bau von acht weiteren Meilern in den Raum.

"Die Bauzeiten [vom ersten Beton bis zur Inbetriebnahme] sinken von etwa neun Jahren für den ersten der sechs Blöcke auf siebeneinhalb Jahre für den sechsten", zitiert Le Monde aus einem Regierungsdokument, das Anfang 2022 nach zwei externen Audits veröffentlicht wurde.

Nach Angaben der Zeitung habe die EDF schon diverse Standorte bei bestehenden Atomkraftwerken im Blick. In Penly soll, gemäß des "optimistischsten Zeitplans" der EDF zwischen 2035 und 2037 ein neuer Meiler entstehen, danach in Gravelines (Nord)- allerdings nicht vor 2039 und später im Rhône-Tal entweder ein neuer Meiler in Bugey oder Tricastin, allerdings bestenfalls bis 2043

Die Strom-Lücke, die Frankreich immer wieder an den Rand des Blackouts führt, wird damit jedenfalls nicht geschlossen und die Lage wird sich angesichts des altersschwachen Atomparks weiter und weiter zuspitzen.

Mit bis zu sieben Gigawatt hängt Frankreich heute am Tropf der Nachbarn, da die Atomkraftwerke nur 42 liefern. In der Spitze braucht das Land aber 102 Gigawatt, sollte es richtig kalt werden.

EPR 2

Es soll sich jeweils um einen sogenannten EPR 2 handeln, da bekanntlich der EPR (1) Konstruktionsfehler aufweist, die zum Beispiel im chinesischen Taishan schon sehr deutlich wurden. Die wurden von der EDF schon beim Neubau im britischen Hinkley Point eingeräumt.

Da die EPR-Reaktoren, die in China wegen starker Vibrationen, welche die Brennstäbe zerstören, abgeschaltet wurden, soll das Design für Hinkley Point teuer für die französischen Steuerzahler mit unsicherem Ergebnis angepasst werden. Damit soll im Königreich wohl eine Art Pilotprojekt für die EPR 2- Meiler in Frankreich werden.

Auf welcher Basis die Regierung von einer deutlichen Verringerung von Bauzeiten ausgeht, ist unklar. Denn mit dem Bau des Reaktors wurde in Flamanville 2007 begonnen, im finnischen Olkiluoto sogar schon 2003, aber auch der EPR dort liefert noch immer keinen Strom ins Netz.

So verweist auch Le Monde auf die beiden Baustellen in Europa, um die Zeitpläne anzuzweifeln. Verwiesen wird darauf, dass allein die beiden EPR in China in neun Jahren gebaut werden konnten.

Es werden mit der Debatte um das französische Beschleunigungsgesetz die wesentlichen Probleme der Atomkraft vernebelt. Es sind eben keine bürokratische Hürden – anders als bei Wind- oder Solarprojekten –, die den EPR-Neubau behindern. Es sind die vielen technischen Probleme, die man in Frankreich einfach nicht in den Griff bekommt und damit explodieren die ohnehin hohen Kosten weiter.

Es ist bekannt, dass die Atomaufsicht (ASN) Flamanville 3 zwar eine Betriebsgenehmigung erteilt hat, aber nach einigen Jahren im Betrieb den rissigen Reaktordeckel untersuchen lassen will. Denn bekannt ist auch, dass es Schmiedeprobleme am Reaktordeckel gibt.

Unbekannt ist aber, wie die Prüfung überhaupt durchgeführt werden. Schadhaft ist eigentlich auch der Boden des Reaktorbehälters, aber da dort eine Prüfung völlig illusorisch ist, wird darüber bei der ASN geflissentlich hinweggesehen.

Energieministerin: "Keine Einschränkungen bei der Sicherheit"

Interessant ist beim Gesetzesvorhaben, wie die Energieministerin argumentiert. Die Beschleunigung beim Bau neuer Atommeiler "bedeutet nicht, dass die Sicherheit, der Schutz der Artenvielfalt oder die öffentliche Mitsprache eingeschränkt werden", sagte Pannier-Runacher.

Für den Bau neuer Reaktoren sollen künftig aber keine Genehmigungen der kommunalen Ebene mehr nötig sein. Nebulös wird auch von einem vereinfachten Bauplan gesprochen. Was das heißen soll, weiß man bisher nicht. Allerdings ist klar, dass allein der Staat künftig allein über die Einhaltung aller Standards wachen soll.

Man beachte: Es war diese Regierung, also der Staat, der künftig allein über die Sicherheitsstandards wachen soll, die die EDF angewiesen hatte, auch unsicher Korrosionsreaktoren vor dem Winter wegen Blackout-Gefahren wieder an Netz zu bringen.

Die erklärt nun, es gäbe keine Einschränkungen bei der Sicherheit? Es ist längst klar, dass zur Stromversorgung derzeit große Risiken eingegangen werden, wie sich zum Jahreswechsel auch in Cattenom an der deutschen Grenze unmissverständlich gezeigt hatte.

Dass dieser Regierung die Artenvielfalt reichlich egal ist, hat sie im vergangenen Sommer gezeigt. Trotz hoher Temperaturen in Kühlgewässern wurden Atomkraftwerke angesichts fehlender Kühlung nicht abgeschaltet, sondern per Sondergenehmigung mit geringer Leistung weiterbetrieben, damit sie nicht auch noch massiv Strom aus dem Netz zur Kühlung ziehen. Die Gewässer wurden noch stärker aufgeheizt, über denen der zarte Duft verwesender Fische schwebte.

"Eine Schnecke beschleunigen"

Wahlkampf spielt allerdings beim Beschleunigungsgesetz eine große Rolle. So gab auch die Energieministerin zu, dass der Grundstein für einen neuen Atommeiler noch vor Ende der Amtszeit von Macron 2027 gelegt werden soll.

"Ziel ist es, bis zum Ende der Amtszeit die erste Betonschicht zu gießen", hatte Pannier-Runacher betont. Ziel ist es auch, das Vorhaben wieder zu kippen, den Anteil der Atomkraft an der Stromerzeugung auf 50 Prozent zu senken.

Das Ziel wurde unter dem Sozialdemokraten François Hollande beschlossen. Bei Umweltorganisation sieht man das Vorhaben kritisch. Pauline Boyer, Sprecherin von Greenpeace meint zudem:

"Ein Gesetz zur Beschleunigung der Atomenergie zu machen, ist so, als wolle man eine Schnecke beschleunigen."

Sie verweist auch darauf, dass der Senat schon die Verfahren für neue Reaktoren prüft, obwohl die vom Parlament noch nicht einmal grundsätzlich gebilligt wurden.