Frankreich: Rechte schüren Angst vor neuem Freundschaftsvertrag mit Deutschland
Macron und Merkel werden von Marine Le Pen und deren früheren politischen Bündnispartner als Konspirative geschildert, die beabsichtigen, Frankreich aufzuteilen
Am kommenden Dienstag, den 22. Januar, wollen Merkel und Macron in Aachen fortsetzen, was der französische Präsident de Gaulle und der deutsche Kanzler Adenauer mit dem sogenannten Elysée-Vertrag vor 56 Jahren begründet haben: eine engere Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland.
Das Dokument, unterzeichnet am 22. Januar 1963, begründet regelmäßige Treffen mit gegenseitigen Absprachen auf wichtigen politischen Feldern, darüber hinaus wurde die Grundlage für den Schüleraustausch gelegt und die Arbeit des Deutsch-französischen Jugendwerks, mit seither mehreren Hundertausenden Austauschprogrammen. Auch die Anerkennung von Diplomen und die Zusammenarbeit auf wissenschaftlichem Gebiet wurden vereinbart.
Die Vorgaben für den Konsultationsmechanismus waren konkret und verbindlich: "Grundsätzlich mindestens zweimal jährlich" sollen die Staats- und Regierungschefs der beiden Länder "zusammentreten", mindestens alle drei Monate die Außenminister, die Verteidigungsminister, die Erziehungsminister bzw. der oder die für kulturelle Zusammenarbeit Verantwortliche. Auch die Generalstabschefs beider Staaten treten wenigstens einmal alle zwei Monate zusammen, heißt es im Text des Vertrags.
Zu lesen ist, dass sich beiden Regierungen absprechen, um "vor jeder Entscheidung in allen wichtigen Fragen der Außenpolitik und in erster Linie in den Fragen von gemeinsamem Interesse, um so weit wie möglich zu einer gleichgerichteten Haltung zu gelangen". Als Gegenstände der Konsultationen werden im Vertragstext genannt:
- Fragen der europäischen Gemeinschaften und der europäischen politischen Zusammenarbeit;
- Ost-West-Beziehungen sowohl im politischen als auch im wirtschaftlichen Bereich;
- Angelegenheiten, die in der Nordatlantikvertragsorganisation und in den verschiedenen internationalen Organisationen behandelt werden und an denen die beiden Regierungen interessiert sind, insbesondere im Europarat, in der Westeuropäischen Union, in der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, in den Vereinten Nationen und ihren Sonderorganisationen.
1988 wurde der Vertrag noch ergänzt durch Vereinbarungen zum deutsch-französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrat, dem gemeinsamen Finanz- und Wirtschaftsrat und einem Kulturrat aus beiden Ländern. Der Vertrag hat viel für die Versöhnung und die Annäherung der beiden Länder geleistet, schreibt dazu die französische Botschaft in Berlin.
Er ist das "Getriebe" im häufig zitierten "deutsch-französischen Motor", formuliert die Landeszentrale für politische Bildung (lpb) in Baden-Württemberg. Es gebe "keine zwei Staaten in der Welt, die im öffentlichen und sozialen Leben enger miteinander verbunden sind".
Erwähnt wurde dies, damit sich der Leser ein Bild davon machen kann, wie präzise die Verabredungen im ersten Elysée-Vertrag aussahen, wie weit sie sich erstreckt haben und was im Großen daraus geworden ist, zum Beispiel etwa aus der viel beschworenen französisch-deutschen Verteidigungskooperation. Dafür wurde die Einrichtung des "Deutsch-Französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrates" (DFVSR) geschaffen. Dass sich in Kommentaren dazu die Aussage findet, der DFVSR sollte besser funktionieren, wird wahrscheinlich niemanden groß überraschen.
Die militärische Kooperation, die durch Trumps Politik ein neues Gewicht in Europa bekam, ist ein Indikator dafür, dass die beiden Staaten auf einem politisch empfindlichen Gelände sich realiter nach wie vor deutlich abgrenzen, auch wenn in Reden zur Lage der EU oder zur Freundschaft zwischen den beiden EU-Säulen Frankreich und Deutschland anderes heraufbeschworen wird.
Erwähnenswert ist diese offensichtliche und triviale Feststellung, weil in Frankreich vonseiten der Rechten im Zusammenhang mit der Unterzeichnung des neuen Vertrags für die deutsch-französische Freundschaft (Entwurf) am kommenden Dienstag erstaunliche Ängste geäußert werden.
Die rechte Zeitschrift Riposte laique titelte vor kurzem, dass "Macron Elsass-Lothringen an Merkel ausliefern will". Im Artikel heißt es, dass die Realität des Vertrages, sprich, das was die Medien auslassen, "furchterregend" sei und "tragisch": "Macron ist dabei den Traum Hitlers zu realisieren. Mit einem Frankreich, das sich Deutschland unterwirft und Teile an Deutschland abtritt."
Diese dämonisierte Lesart des Vertrags, die einen als Verräter agierenden Macron zur Grundlage hat, der mit Merkel geheime Dinge zu Lasten Frankreichs vereinbart, wird nicht nur in einer abseitigen rechten Zeitschrift geäußert, sondern wurde zuvor schon von einem Europaabgeordneten namens Bernard Monot in Umlauf gebracht. Monot gehört zur Partei Debout la France und war früher Mitglied des Front National.
Debout la France unterstützte Marine Le Pen in ihrem Präsidentschaftswahlkampf und versuchte zu Anfang der Proteste der Gilet jaunes politischen Profit aus der Bewegung zu ziehen.
Auch Marine Le Pen wittert übrigens Unheimliches hinter dem neuen Freundschaftsvertrag. Sie ist, wie sie auf Twitter und Medienauftritten der jüngsten Zeit betonte, der Auffassung, dass Macron mit Merkel vereinbart habe, dass sich Deutschland und Frankreich den UN-Sicherheitsratssitz künftig teilen. Im Vertragstext, so Le Monde, findet sich keine Spur einer solchen Abmachung.
Nachtrag, 21.01.2019
Dass die Kritik derart hochfahren konnte und dass Spekulationen über den Vertrag zwischen der Merkel- und der Macron-Regierung sich an solchen historisch und politisch hochempfindlichen Punkten hochranken können, liegt daran, dass Berlin und Paris aus dem Vertragstext ein Geheimnis machen. Zumindest für die Bundesregierung gilt dies nach wie vor.
In Frankreich ist die Lage etwas anders, das dürfte auch mit den Protesten der Gelbwesten zusammmenhängen. Jedenfalls hat die Regierung in Paris auf die Spekulationen von rechts reagiert. Der Elysée-Palast veröffentlichte den Text des Vertrags.
Er findet sich auf Französisch hier; für Marine Le Pens Vorwurf des Verrats vonseiten Macrons, wonach er den Sicherheitsratssitz teilen will, wäre Artikel 8 von Belang. Dort ist ausdrücklich vom UN-Sicherheitsrat die Rede. Am 22. Januar war der Vertrag auch auf der Webseite der deutschen Regierung im Wortlaut einsehbar. Dort heißt es:
"Artikel 8
(1) Im Rahmen der Charta der Vereinten Nationen werden beide Staaten in allen Organen der Vereinten Nationen eng zusammenarbeiten. Sie werden ihre Positionen eng abstimmen, auch als Teil breiter angelegter Bemühungen einer Abstimmung der dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen angehörenden Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie im Einklang mit den Positionen und Interessen der Europäischen Union. Sie werden zusammenarbeiten, um innerhalb der Vereinten Nationen die Positionen und Zusagen der Europäischen Union in Bezug auf globale Herausforderungen und Bedrohungen voranzubringen. Sie werden alles daran setzen, eine einheitliche Position der Europäischen Union in den einschlägigen Organen der Vereinten Nationen herbeizuführen.
(2) Beide Staaten verpflichten sich zur Fortsetzung ihrer Anstrengungen, zwischenstaatliche Verhandlungen über die Reform des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen abzuschließen. Die Aufnahme der Bundesrepublik Deutschland als ständiges Mitglied des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen ist eine Priorität der deutsch-französischen Diplomatie."
Es wäre interessant zu erfahren, welches politische Gegengeschäft es für diese auf den ersten Blick einseitige Unterstützung Frankreichs gibt.