Freie Wähler erstmals an Landesregierung beteiligt
Bayerischer Koalitionsvertrag unterzeichnet - Asylbewerber sollen künftig vorrangig Sach- statt Geldleistungen erhalten
Die in der Kommunalpolitik entstandenen Freien Wähler, die sich als Pragmatiker jenseits der Ideologien verstehen, werden ab morgen erstmals an einer Landesregierung beteiligt sein. Gestern unterzeichneten ihr Bundesvorsitzender und bayerischer Landesvorsitzender Hubert Aiwanger und ihr alter Landtagsfraktionsgeschäftsführer und neuer Fraktionschef Florian Streibl einen gut 60-seitigen Koalitionsvertrag, den die zuständigen Gremien ihrer Partei und der CSU am Vorabend abgesegnet hatten.
Er sieht unter anderem vor, dass das von der CSU eingeführte "Familiengeld" für Eltern von Kindern im Alter von bis zu zwei Jahren weiter gezahlt, aber durch einen den Forderungen der Freien Wähler nach steuergeldfinanzierten Kindertagesstätten entgegenkommenden Hundert-Euro-Zuschuss ergänzt wird, der künftig nicht nur im dritten, sondern auch im ersten und zweiten Kindergartenjahr sowie ab 2020 auch an Eltern ein- und zweijähriger Kinder in Krippen oder Tagesstätten gezahlt wird. Finanzieren will man das unter anderem durch erwartete Steuermehreinnahmen, die garantieren sollen, das die geplante Schuldentilgung und das Ziel, Bayern bis 2030 staatsschuldenfrei zu machen, unangetastet bleiben.
Einen anderen strittigen Punkt, die Entscheidung über einen Ausbau des Münchner Flughafens, hat man einfach in die nächste Legislaturperiode verschoben. Bis dahin soll die Flughafen-GmbH bleiben wie sie ist und nicht in eine Aktiengesellschaft umgewandelt werden. Einig war man sich darin, dass Asylbewerbern vorrangig Sach- statt Geldleistungen erhalten sollen, um Anreize für die illegale Migration abzubauen. Dafür sollen auch neue bargeldlose Zahlsysteme eigeführt und Migrationsursachen direkt in Afrika bekämpft werden. Neue gemeinnützige Arbeitsmöglichkeiten sollen dafür sorgen, dass die Kriminalität in dieser Gruppe sinkt.
Aiwanger wird Superminister für Wirtschaft, Energie und Landesplanung
Heute wird der Landtag Markus Söder, der diesen Koalitionsvertrag ebenfalls unterschrieb, mit den Stimmen der CSU und der Freien Wähler zum neuen Ministerpräsident wählen. Erst danach steht endgültig fest, wer im neuen Kabinett welchen Posten einnehmen wird. Dem bisherigen Medieninformationsstand nach wird Hubert Aiwanger außer stellvertretender Ministerpräsident auch Minister für Wirtschaft, Energie und Landesplanung.
Hatte der Freisinger CSU-Abgeordnete Florian Herrmann den Freie-Wähler-Chef noch im Juni als "Politproleten" geschmäht, der "seine Sprache nicht im Griff" habe, "persönlich nicht koalitionsfähig" und "Lichtjahre vom Niveau eines bayerischen Ministers entfernt" sei, lobte ihn Markus Söder gestern explizit als sehr professionell und meinte, eine Gewöhnung aneinander sei "gut machbar".
Der Münchner Grünen-Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek meinte zu Aiwangers voraussichtlicher Ernennung auf Twitter, ein "populistischer Wirtschaftsminister" sei "kein gutes Zeichen für den Wirtschaftsstandort Bayern": "Ob da die Startup-Szene, Social Entrepeneurs, Hochtechnologieunternehmen etc. in Hurra-Stimmung verfallen?" Das ist trotz der offenbar rhetorisch gemeinten Frage durchaus nicht ausgeschlossen: Immerhin hat Aiwanger unter anderem durch seine Tweets deutlich gemacht, dass er die Infrastrukturelemente Breitband- und Mobilfunkinternet stärker fördern will als mancher von Janeceks Parteifreunden (vgl. Grünen-Stadtrat will freies WLAN abschaffen und LTE verbieten). Und warum sollte es keine Unternehmen geben, die sich freuen, wenn es künftig Standorte mit guter Infrastrukturanbindung und niedrigen Mieten gibt?
Michael Piazolo wird Kultusminister, Thorsten Glauber Umweltminister
Die beiden anderen Ministerien, die die Freien Wähler für sich heraushandeln konnten, sind das Kultusministerium (das aller Voraussicht nach an den Münchner Hochschulprofessor Michael Piazolo geht) und das Umweltministerium, in dem der Mühldorfer CSU-Politiker Marcel Huber dem Pinzberger Architekten Thorsten Glauber Platz machen muss. Darüber hinaus soll der kleinere Koalitionspartner zwei Staatssekretärsposten abbekommen.
Nachdem die Freien Wähler anstatt des von Beobachtern erwarteten Justiz- das Umweltministerium bekommen haben, dürfte der amtierende CSU-Justizminister Winfried Bausback als Unterfranke alleine schon wegen des Regionalproporzes gute Chancen haben, das Ressort zu behalten. Gleiches gilt für Gesundheitsministerin Melanie Huml die aus Oberfranken kommt, und für Finanzminister Albert Füracker, dem Chef der CSU in der Oberpfalz. Da diesem CSU-Regionalproporz nach noch Niederbayern und Schwaben fehlen, werden der Schwabe Franz Josef Pschierer und der scheidende niederbayerische Kultusminister Bernd Sibler als Nachfolger der bisherigen Bauministerin Ilse Aigner und der aus Baden-Württemberg kommenden Wissenschaftsministerin Marion Kiechle gehandelt.
Bekommen sie diese Posten, könnten die oberbayerische Familienministerin Kerstin Schreyer und die oberbayerische Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber ihre Ressorts behalten, obwohl auch das neu eingerichtete Digitalisierungsministerium mit Georg Eisenreich einen Oberbayern als Chef bekommen soll. Die spannendste Frage wird sein, ob Innenminister Joachim Herrmann seinen Posten behält: Taucht er nicht mehr auf der bayerischen Kabinettsliste auf, gilt das als Zeichen dafür, dass er in Berlin Horst Seehofer als Bundesinnenminister ablösen könnte, wenn Söder den Parteivorsitz übernimmt.
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