Freiheit der Rede

Der oberste Gerichtshof der USA hat ein Gesetz von 1999 für verfassungswidrig erklärt, das die filmische Darstellung von Tierquälerei zum Spaß verbot

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Zensur ist keine feine Sache. Grundgesetzartikel 5, Abs. 1 besagt, sie finde nicht statt, aber das ist natürlich eine Lüge. Sie findet statt, durch "den Markt", durch staatliche oder private Eingriffe.

Schulrektoren zensieren Schulzeitungen, die Regierung des Freistaats Bayern zensiert "Mein Kampf" mit Hilfe des Urheberrechts, der DGB zensierte Mitglieder der sogenannten Plakat-Gruppe in den Siebzigern durch Ausschluss, verdi das Verhalten von Angelo Lucifero.

Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Literatur zensiert Medien jeder Art, die Redaktion eines Presseorgans zensiert ihre Redakteure und Mutti zensiert die Pornohefte von Sohnemann. Es gibt viele Arten der Zensur, und sie finden alle statt in diesem unserem demokratischen Wunderland. Selbstverständlich gibt es notwendige und begründete Formen der Zensur, ja, es gibt solche Formen, die als zivilisatorische Errungenschaft gelten müssen, weil sie Leuten, die ihre niedersten Instinkte nicht im Griff haben, Schranken aufweisen.

Wie schwierig es sein kann, zwischen der notwendigen und der unnützen Zensur zu unterscheiden, hat neuerdings der Oberste Gerichtshof der USA wieder exemplifiziert, als er ein Zensurgesetz aus dem Jahr 1999 aufhob, das die kommerzielle Vermarktung von Medien tierquälerischen Inhalts in toto verbot, den "Depiction of Animal Cruelty Act".

Man braucht sich die betreffenden Medien nicht einmal anzusehen, um gleich zu glauben, dass hier Zensur voll berechtigt sein könnte. Es gibt einen Markt für Bestialitäten, und deshalb macht es nicht den geringsten Sinn, "dem Markt" an diesem Punkt die Initiative zu überlassen, wie an so vielen anderen Punkten auch.

In der Debatte über die Kinderpornosperren hat ja die Netzgemeinde erfreulicherweise den guten Verstand besessen, nicht die Zensur in den Mittelpunkt der Kritik zu stellen, sondern die dämliche Methode, die angewendet werden sollte, und dass Tiere gewerbsmäßig zur Unterhaltung Perverser gequält werden, ist allerdings ein Thema, das die Öffentlichkeit angeht. Eine starke Mehrheit des Supreme Court (acht von neun Richtern) hat nun aber die Art und Weise, in der sich der "Depiction of Animal Cruelty Act" dieses Themas annahm, für verfassungswidrig erklärt, und die Begründung dafür ist interessant.

Nicht das Ziel des Tierschutzes widerspreche der Verfassung, auch die Autorität des Staates in dieser Frage wurde nicht bestritten, sondern das Gesetz sei zu breit angelegt ("substantially overbroad") und behindere dadurch nicht nur den Vertrieb der besagten Tierquälereivideos, sondern auch die freie Rede. Die bloße Darstellung von Tierquälereien könne im Unterschied zur Tierquälerei selbst nicht der Verbotsgewalt des Staates unterstellt werden.

Während das Verbot von Tierquälerei eine lange rechtliche Tradition in den USA aufweisen kann, gibt es keinen Beleg für eine vergleichbare Rechtstradition auf dem Gebiet der Darstellung solcher Taten.

Nun genießt die freie Rede in den USA einen ähnlich mythischen Status wie hierzulande die angebliche Abwesenheit der Zensur, und selbst dort, wo sie ernst genommen wird, ist das nicht immer sinnvoll - die weltweite Ermutigung von dummen Naziblunzen durch das politische Asyl, das ihr Gemähre in den USA genießt, ist nur ein Beispiel dafür. Aber manchmal macht sie eben doch Sinn, wie bei der Entscheidung gegen "Depiction of Animal Cruelty"-Act. Und da das Gerede von der freien Rede trotz seiner Beliebigkeit einen zivilsatorischen Kern aufweist, der die Mühe um fallweise Trennschärfe rechtfertigt, verdient die salomonische Entscheidung des US Supreme Court Respekt.