Freiheit des Wortes bedroht
85 Prozent des Medienmarktes in Osteuropa wird von ausländischem Kapital kontrolliert, darunter drei Viertel von deutschem Kapital - Ein Ende der Einkaufstour ist nicht abzusehen
Man stelle sich folgendes vor - FAZ, Süddeutsche, Handelsblatt, Spiegel, Stern und taz - wären alle im Besitz US-amerikanischer und Schweizer Verlage. Lediglich das "Neue Deutschland" erschiene in einem deutschen Verlag. Mag sein, dass dies dennoch alles gute Zeitungen wären - aber würden die Deutschen das akzeptieren? Welche Diskussion hätten wir hierzulande?
In einigen osteuropäischen Staaten sind vergleichbare Verhältnisse längst Realität. 85 Prozent des Medienmarktes in Osteuropa wird durch ausländisches Kapital kontrolliert, darunter drei Viertel von deutschem Kapital. Deutsche Verlage kontrollieren bereits über die Hälfte des gesamten Pressemarktes, ganz vorne dabei der WAZ Konzern und die Verlagsgruppe Passau, hierzulande bekannt mit ihrer Regionalzeitung Passauer Neue Presse.
Nur noch eine Zeitung in tschechischem Besitz
In Prag gehört lediglich eine Zeitung einem tschechischen Verlag - das ehemals als "Rude Pravo" bekannte Organ der Kommunistischen Partei, eine jetzt nur noch "Pravo" genannte Tageszeitung. Alle übrigen Zeitungen und Magazine befinden sich im Besitz ausländischer Verlage. Fünf Unternehmen, zwei deutsche, ein Schweizer und ein finnisches kontrollieren 80 Prozent der tschechischen Zeitungen und Zeitschriften.
Der größte Verleger, gemessen an der Auflage, ist die Vltava-Labe-Press (VLP), die mehrheitlich der Passauer Neuen Presse gehört. Die Passauer nutzten die Gunst der Stunde und kauften zahlreiche Regionalblätter, die sich oft im Besitz von weitgehend zahlungsunfähigen Kommunen befanden. Die Vltava-Labe-Press besitzt heute elf Regionalzeitungen und 13 Wochenzeitungen.
Zwar erklärt Hans-Joachim Huber, Leiter des Konzern-Controlling im Passauer Verlagshaus, der Verlag nehme keinen Einfluss auf die Inhalte, schon deshalb nicht, weil "man als Deutscher keine tschechische Zeitung machen könne". Prager Journalisten machten aber andere Erfahrungen. Sie erklären, dass es in bestimmten Fällen Direktiven seitens der deutschen Verlagseigner gegeben habe. So habe es, als VLP 1999 den traditionsreichen Fußballclub Sparta Prag kaufen wollte, Anweisungen für die Redaktionen gegeben, die Kaufabsicht der Verlagsgruppe in der Berichterstattung zu unterstützen. Nachdem die Passauer den Fußballclub gekauft hatten, sollten dann die "Vorteile für Sparta" herausgestellt werden
Einflussnahme zugunsten der Sudetendeutschen
Neben der Passauer Verlagsgruppe ist auch die Düsseldorfer Rheinisch-Bergische Verlagsgesellschaft (Rheinische Post) in Tschechien aktiv, sie besitzt einen Anteil von 20 Prozent an VLP. Die Rheinisch-Bergische Verlagsgesellschaft bringt über ihre Gesellschaft Mafra die "MF Dnes", die auflagenstärkste "seriöse" Tageszeitung Tschechiens (350.000 Exemplare), sowie eine kleinere Tageszeitung, "Lidove noviny", (70.000 Exemplare), heraus. In der Frage der Sudetendeutschen kam es zum offenen Konflikt zwischen der tschechischen Regierung und den "deutschen" Medien. In beiden Blättern wird die Politik der tschechischen Regierung scharf kritisiert. MF Dnes verlangte von der Regierung in Prag nicht nur eine offizielle Entschuldigung bei den Sudetendeutschen, sondern auch Entschädigungen für die Vertreibung der Deutschen. Kulturminister Pavel Dostal beklagte sich nach einer Kabinettssitzung im April letzten Jahres, dass die Zeitungen des eigenen Landes, die sich "in deutscher Hand" befänden, zunehmend einseitig über die Benesch-Dekrete berichteten.
Auch Schweizer sind gut im Geschäft
Der Schweizer Verlag Ringier ist seit 1990 in Tschechien tätig, beschäftigt gegenwärtig ausschließlich tschechische Mitarbeiter und verlegt mittlerweile zehn Zeitungen und Zeitschriften, allesamt im Boulevardbereich. Neben der Boulevardzeitung Blesk, sind dies beispielsweise die Zeitschriften Reflex und abc, sowie drei TV-Zeitschriften. Auch im Internet hat sich der Verlag inzwischen etabliert. Mit dem Betreiber eines der größten und beliebtesten Internet-Portale, seznam.cz (eine Art tschechisches "Google"), gewann man einen einflussreichen Partner für die Präsentation seiner Publikationen.
Die Schweizer frohlocken auf ihrer Homepage:
Ringier CR wurde 1990 gegründet und ist seit dem Jahr 2000 zu 100 Prozent im Besitz von Ringier. Das Unternehmen ist der führende und bedeutendste Verlag in der Tschechischen Republik. Ringier verlegt zehn Zeitungen und Zeitschriften, darunter die Boulevardzeitung Blesk, die auflagenstärkste Tageszeitung des Landes, und auch die Druckereien Ringier Print s.r.o. in Ostrava und Ringier Print Praha a.s. in Prag. An der landesweiten Pressevertriebsgesellschaft PNS hält Ringier zur Zeit 27 Prozent des Aktienkapitals
Sieg im Zeitungskrieg
Diese Machtfülle wurde einem eigenwilligen Projekt zum Verhängnis. Im Mai 2003 startete die nach außen hin "unabhängige", tatsächlich aber mit Geldern eines österreichischen Verlages unterstützte neue Boulevard-Zeitung, "Impuls". Sie erschien nur knapp fünf Monate lang. Impuls wollte als 24-seitige, fast durchgehend vierfarbige Zeitung, "intelligenten Boulevardjournalismus" betreiben. Mit drei Kronen (ca. zehn Cent) kostete das Blatt deutlich weniger als alle andere Prager Zeitungen. Blesk kostet beispielsweise sieben Kronen. Herausgeber von Impuls ist eine gleichnamige Gesellschaft, die nach eigenen Angaben ohne ausländisches Kapital besteht. Tatsächlich ähnelt Impuls optisch der österreichischen Kronen-Zeitung, in den Verlag soll österreichisches Kapital geflossen sein.
Hauptanteilseigner des Verlages ist Media-Print Kapa (MPK), die Impuls auch vertrieb. MPK jedoch steht in Konkurrenz zum Pressevertrieb PNS, der die wichtigen Tageszeitungen des Landes vertreibt und an dem die VLP, Ringier und Sanoma Magazines International beteiligt sind Der finnische Verlag Sanoma bringt die meisten Verbrauchermagazine heraus. PNS boykottierte den Vertrieb des neuen Blattes. Damit war Impuls allein auf den MPK Vertrieb angewiesen, doch MPK vertreibt - bis auf das eigene neue Boulevardblatt - keine weiteren Tageszeitungen.
Und: Kioskbesitzer, die Impuls verkauften, verloren die Prämienrabatte von PNS. Ein ungleicher Kampf. Er dauerte nur bis zum 10.Oktober 2003, dann war Schluss für Impuls. Am nächsten Tag fand die Beerdigung des kurz zuvor verstorbenen Blesk-Chefredakteurs Miroslav Lábler statt. In seiner Trauerrede lobte der tschechische Ringier-Manager Tomas Boehm das Nichtmehrerscheinen von Impuls als einen der Verdienste des Verstorbenen. Eine Siegesmeldung am Sarg im Zeitungskrieg.
Proteste in Polen
Nach einer Studie der Europäischen Journalistenföderation vom Juni 2003 halten in Polen Springer, Bauerverlag und Gruner & Jahr 50 Prozent Marktanteil an Publikumszeitschriften, die von ebendiesen Verlagen selbst eingeführt wurden. Publikationen von Fachverlagen sind ebenfalls zu finden. Wie in Tschechien ist auch in Polen die Verlagsgruppe Passau mit 8 Regionalzeitungen im grenznahen Raum (Schlesien) und 3 Fernsehzeitschriften mit circa 1,3 Millionen Exemplare , eigenem Vertriebsweg, einer Medienagentur und einem Internetportal stark vertreten. Die Produkte der Passauer ähneln einander in Form und Inhalt.
Der Bauer-Verlag hält im Magazinbereich mit 21 Titeln, einer Investitionssumme von 40-50 Millionen Euro und einem Ertrag von 140 Millionen Euro einen Marktanteil von 22 Prozent. 11 Prozent Marktanteil hält die Springer-Presse mit 14 Titeln und einem Ertrag von 70 Millionen Euro. Polnische Journalisten sehen die Meinungsfreiheit durch die bereits bestehende Vorherrschaft deutscher Konzerne auf dem Pressemarkt bedroht. Das deutsche Kapital überwiegt gleichzeitig bei den großen Werbeagenturen, was wiederum die Bekämpfung der Konkurrenz erleichtert.
Nachdem der norwegische Konzern Orkla zwei Breslauer Tageszeitungen ("Slowo Polskie" und "Wieczor Wroclawia") an den deutschen Konzern Passauer Neue Presse verkauft hatte, wandte sich der Polnische Journalistenverband an das Amt für den Schutz der Konkurrenz und der Verbraucher mit der Bitte um Untersuchung, ob es sich dabei um eine Monopolstellung handelt. In Wroclaw (Breslau) besitzt der Konzern Passauer Neue Presse bereits alle Tageszeitungen (mit Ausnahme der regionalen Beilage der Zeitung "Gazeta Wyborcza"). Ähnlich ist es in Poznan (Posen) (wo der Konzern die Zeitungen "Glos Wielkopolski" und "Gazeta Poznanska" kaufte), in Gdansk (Danzig), Lodz ("Express IIlustrowany", "Dziennik Lodzki"), Katowice (Kattowitz) ("Dziennik Zachodni" und "Trybuna Slaska") und Krakow (Krakau) ("Dziennik Polski", "Gazeta Krakowska").
Die Bayern sicherten sich eine Monopolstellung in der Woiwodschaft Warmia-Mazury (Ermland und Masuren). 1998 kaufte Franz Xaver Hirtreiter, der ehemalige Geschäftsführer der Passauer Neuen Presse und jetzt Vorstandsberater dieser Firma, die Zeitung "Gazeta Olsztynska". Die Firma "Media", die auch zum Konzern Passauer Neue Presse gehört, hält die Monopolstellung beim Verkauf von Werbeflächen in den regionalen Zeitungen.
Auf diese Weise hat eine einzige Firma den Printmedienmarkt in Nord-Ost Polen dominiert. Das ist eine sehr gefährliche Lage, in der die Freiheit des Wortes und die Freiheit einer öffentlichen Diskussion bedroht wird.
Krystyna Mokrosinska, Vorsitzende der Polnischen Journalistenvereinigung
In die Stapfen der Passauer tritt auch der Axel-Springer-Verlag, der schon die Wochenzeitschrift "Newsweek", sechs Frauenzeitschriften, zwei Jugendzeitschriften und drei Autozeitschriften herausgibt. Ferner werden vom Axel-Springer-Verlag auch acht Computer-Zeitschriften und eine Wirtschaftszeitung herausgegeben. Seit dem 22. Oktober 2003 erscheint eine gesamtpolnische Zeitung des Axel-Springer-Verlages, die "Fakt" heißt. Der "Bauer-Konzern" gibt zur Zeit 30 Zeitschriften in Polen heraus, deren Gesamtauflage über acht Millionen Exemplare beträgt. Die Firma "Gruner & Jahr" ist Eigentümer der Monatszeitschrift "Claudia" und von acht weiteren Titeln (...) Die Deutschen geben außerdem zusammen mit dem spanischen Verlag RBA die Zeitschrift "National Geographic" heraus.
"Jetzt ist die Monopolstellung der Deutschen sogar stärker als in der Zeit der Teilung Polens, in der ein Teil des Landes zu Preußen gehörte", heißt es im polnischen Magazin Wprost
Die Lage in Ungarn
Auch in Ungarn besitzen deutsche Verlage 75 Prozent des gesamten Pressemarktes. So besitzt die WAZ-Gruppe, die sich in den 90er Jahren in Österreich in die Kronen- und Kuriergesellschaft eingekauft hatte, in West- und Südungarn, dem Gebiet mit der größten Kaufkraft, seit 1993 fünf regionale Tageszeitungen mit einer Gesamtauflage von zur Zeit 227.000 Exemplaren. 87 Prozent davon gehen an Abonnenten, was gemessen am Landesdurchschnitt ein Spitzenwert ist. Als Beilage zu den Zeitungen erscheint seit 1994 die farbige Fernsehzeitung RTV-Tipp. Aus Rationalisierungsgründen wird der redaktionelle Mantel von einer Zentralredaktion in Veszprém erstellt. Die Zeitungen werden in einer 1994 erbauten, eigenen Druckerei gedruckt, die inzwischen so gut ausgelastet ist, dass bis Ende 2005 in direkter Nachbarschaft eine weitere Druckerei ihren Betrieb aufnehmen soll.
Damit ist die Einkaufstour noch nicht abgeschlossen, die WAZ-Gruppe würde gern auch noch die große überregionale Tageszeitung Népszabadság aus Budapest sowie ein Blatt aus der überaus attraktiven Region Györ-Moson-Sopron, die ihr zunächst - wegen des Mangels an eigenen Kapazitäten - von der britischen Daily Mail weggeschnappt wurde, bald ihr eigen nennen. Neben den Kaufzeitungen gibt die Holding seit 1995 im Rahmen ihrer eigens gegründeten Marathon-Gruppe verschiedene Gratiszeitungen mit einer wochentäglich erscheinenden Gesamtauflage von 390.000 Exemplaren heraus. Gemeinsam mit dem Axel-Springer-Verlag verlegt die Holding weiterhin die Sonntagszeitung Vasárnap Reggel. In der Slowakei gehören den Deutschen über 30 Zeitschriften. Auch in den baltischen Staaten sind die deutschen Verlage aktiv. Vor kurzem kaufte der Konzern WAZ die wichtigste Tageszeitung "Politika" in Serbien und Montenegro. Ein Ende der Einkaufstour ist nicht abzusehen.