Freiheit für Roger Waters!

Seite 2: Hessische Staatskanzlei als "Zivilgesellschaft"?

Roger Waters kann Gleiches für sich reklamieren. Und doch ist etwas anders. Vielleicht, weil er sich für den politischen Gefangenen Julian Assange einsetzt. Vielleicht, weil er sich mit der Rüstungsindustrie anlegt. Ganz sicher, weil er zu einem der international exponiertesten Kritiker der israelischen Besatzungspolitik zählt.

Es grenzt schon an Zynismus, dass der Unterstützer der israelkritischen BDS-Kampagne sich nun sozusagen einer proisraelischen BDS-Kampagne gegen sich selbst ausgesetzt sieht.

Aufgeworfen werden muss an diese Stelle zwingend die Frage, weshalb die künstlerische Auseinandersetzung mit NS-Symbolik im Fall Waters problematisiert wird, während auf Straßen und Plätzen westlich der russischen Grenze seit dem 24. Februar 2022 der Nationalsozialismus fast täglich relativiert wird.

Wenn nämlich Politiker unterschiedlicher Couleur Moskau einen "Vernichtungsfeldzug" gegen die Ukraine unterstellen und damit den singulär-verbrecherischen Charakter des Unternehmens Barbarossa der Hitler-Wehrmacht systematisch abschwächen.

Oder wenn die Söhne, Enkel und Urenkel von Verbrechern der Wehrmacht endlich, ihrer familiären und historischen Schuldgefühle befreit aufatmend, auf "Putler"-Plakaten ihren eigenen historischen Diktator mit dem russischen Staatschef Wladimir Putin gleichsetzen – was an Perfidie den Anwürfen der Berliner Justiz gegen Waters recht nahekommt.

Was bis hierhin bleibt, ist, lässt man alle Nuancen beiseite, dass das Land der Täter dem linken Briten Waters medial, juristisch und aktivistisch ein Vergehen vorwirft, dass es bei den eigenen, tatsächlichen NS-Wiedergängern von NPD bis KSK nicht in den Griff bekommt oder zu bekommen willens ist.

Nicht nur dies wird in der laufenden Debatte geflissentlich übergangen. Ignoriert wird auch, dass sich unter dem Deckmantel des Antifaschismus ein neuer Autoritarismus durchzusetzen droht, in dem staatliche Vertreter der Kunst unumwunden und politisch motiviert ihre Freiheit nehmen wollen.

Das gilt für den CDU-Politiker und Israel-Lobbyisten Uwe Becker, der – für sein Wirken von der Hessischen Staatskanzlei mit Steuermitteln bezahlt – am Rande des Waters-Konzerts eine Gesetzesänderung forderte, um Kulturveranstaltungen künftig leichter verbieten zu können.

Das sagt wenig über Waters, aber viel über Politiker wie Becker aus. Die Stadt Frankfurt war mit dem Ansinnen, das Konzert des Pink-Floyd-Gründers zu verbieten, nämlich zuvor vor dem städtischen Verwaltungsgericht krachend gescheitert.

Waters zog aus dem Streit seine Konsequenz. Er änderte in Frankfurt die Bühnenshow und nahm zu Antisemitismus und Faschismus Stellung – auch in Reaktion auf das Frankfurter Urteil.

Der hessische Berufspolitiker Becker forderte indes vor einigen hundert Demonstranten eine Gesetzesänderung zur weiteren Einschränkung der Freiheit.

Das hatte mehr mit Israel zu tun, als ihm und der kleinen Gruppe Demonstranten vor der Frankfurter Konzerthalle bewusst war.

Tausende in der Konzerthalle haben das verstanden.

Hunderttausende Demonstrierende in Israel verstehen es ohnehin.

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