Fremde fette Welt
Aus Angst vor Prozessen: US-Nahrungsmittelriese hat die Fettsucht entdeckt und warnt vor seinen eigenen Produkten
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Die USA sind weit mehr von Übergewicht bedroht als von Terroristen. 300.000 Tote fordert die Fettsucht jährlich. 26 Prozent sind sehr dick, mehr als 60 Prozent sind übergewichtig. Und bis zum Jahre 2050 sollen es annähernd 100 Prozent sein. Die einzigen, die paradoxerweise immer dünner werden, sind die, welche Kleidung beruflich tragen, die Mannequins. Was passiert sein könnte, mutmaßt Autor Greg Critser in seinem Buch "Fat Land" (vgl. Supersize-Terror), ist, dass das Prinzip der Supersize eine Terrorherrschaft ausübt, vor der sich vor allem die Unterprivilegierten nicht retten können.
So mag es zunächst absurd, aber bei kurzem Nachdenken immer weniger abwegig anmuten, dass zwei Teenager aus Brooklyn Klage gegen McDonalds erhoben haben, weil der Fast Food Riese sie nicht über die Gefahren seiner Big Meals aufgeklärt hat. Auf einer ähnlichen Idee fußen auch die Prozesse gegen die Tabakindustrie, welche man in dem Zusammenhang sicher auch als Vorbild sehen kann. Philip Morris z.B. wurde kürzlich wegen Täuschung zu 10,1 Milliarden Dollar verurteilt. Die Sammelklagen von krank gewordenen Rauchern sind bisher meist abgewiesen worden. Dennoch: Das "Lawyer's Business", welches für die aggressive Suche nach Schadensersatzklagen steht, ist ebenso sehr dem Prinzip des Supersizing unterworfen wie alles andere auch.
Marktwirtschaftlich gesehen funktioniert das Supersizing so super, weil die Kosten für Rohmaterialien, verglichen mit denen für Verpackung und Werbung, irrelevant sind. Wirtschaftlich gesehen ist es sogar eine Notwendigkeit, dass Amerikaner immer fetter werden. Die Agrarindustrie produziert 3.800 Kalorien am Tag für jeden Amerikaner und die wollen irgendwo hin - und Müllschlucker sind oft die Ärmeren, Unterprivilegierten; u. a. auch deshalb, weil es Fast Food Ketten überall gibt, während man für ein Stück Obst oft richtig unterwegs sein muss.
Don't exercise, supersize!
Eine normale Portion Pommes Frites enthielt 1960 noch 200 Kalorien, heute sind es 610. Die Invasion begann in den späten 70er Jahren. McDonalds-Mann David Wallerstein hatte die folgenschwere Idee, große und extragroße Portionen einzuführen, weil er durchschaute, dass es seinen Kunden unangenehm wäre, sich zwei zu bestellen (Völlerei ist immerhin eine der Todsünden und zumindest ein soziales Tabu). So wurde die Übergröße als neue Marketingmagie in die Köpfe implementiert: "Du bekommst viel mehr für ein bisschen mehr Geld." Und auch Autos, Häuser und Kleider sollten groß sein. Das Fettwerden ist so gesehen mittlerweile eigentlich gar keine Verirrung mehr, sondern eine natürliche Antwort auf die amerikanische Lebensrealität.
Eine natürliche aber auch tödliche Antwort; tödlich für jene, welche die Überschüsse in sich hineinstopfen. So ist es irgendwie nur gerecht, dass die welche mit dem Leben oder zumindest der Gesundheit bezahlen, um die Wirtschaft zu schmieren, eine Entschädigung bekommen. Knackpunkt bei den Prozessen dürfte die mangelnde Deklaration der Inhaltsstoffe bei den Fast-Food-Ketten sein. McDonalds spendete kürzlich Millionen an verschiedene Hindu-Gemeinschaften, um eine Klage wegen Fleischgeschmacks in den Pommes abzuwenden. * Einer der weltweit größten Nahrungsmittelhersteller, Kraft Foods (Schokolade, Kekse, Soßen u.v.m.), hat es nun angesichts der Prozesswellen mit der Angst bekommen und propagiert (in einer lustig-perversen Flucht nach vorne), man möge doch nicht mehr so viele seiner Produkte kaufen. Auf seiner Webseite kündigt der Konzern den Kampf gegen das Übergewicht an. Bei den ins Netz gestellten Rezepten ist hiervon noch recht wenig zu merken, neben den "Burger personalities" ("Ready-To-Mambo-Burger und viele andere) findet sich hier der "Patriotic Pie", die "BBQ Dogs and Beans" und andere Leckereien. Klickt man sich allerdings zur Kraftschen "Obesity Initative" wird hier nicht nur eine "Expertenrunde", sondern auch den Produkten beigefügte "Dosierungshilfen" (weg vom Supersizing) und der sofortige Stopp alles Marketings an Schulen versprochen ("The elimination of all in-school marketing"). Man muss wissen: In den USA werden in Schulen Junk-Food Werbespots ausgestrahlt und Fast-Food Konzerne beliefern die dort aufgestellten Automaten. Einige McDonalds Filialen bieten neuerdings Obst an. *
* * Ein Kommentator in der "New York Post" spuckte Gift und Galle angesichts dieser Entwicklung der Dinge. Es sei doch lächerlich, dass Kraft sich von der "gleichen böswilligen Allianz aus Kids, Gesundheitsidioten, weinerlichen Fetten und gierigen Anwälten einschüchtern lasse, die schon das Übergewicht bei Kindern McDonalds Doppel-Cheeseburgern anlasten wollte".
Man wird zu fett, weil man zu viel isst und sich zu wenig bewegt. Da wird eine WAHL getroffen.
Da spricht die gestählte und informierte gehobene Mittelschicht. Je ärmer man jedoch laut Critsers gut recherchiertem Buch "Fat Land" ist, desto größer die Wahrscheinlichkeit, Übergewicht zu haben. Als er selbst einmal 20 Pfund abgenommen habe, so Critser , sei das nicht ein Triumph des Willens, sondern ein Triumph seiner wirtschaftlichen und sozialen Klasse gewesen, denn es habe ihn Zeit und Geld gekostet. Klasse und Armut seien sogar die Schlüsseldeterminanten für Übergewicht und gewichtsbezogene Krankheiten in einer elitären und individualistischen Gesellschaft.
Seit 1996 treten bei ärmeren Menschen wesentlich mehr Fälle von Typ-2-Diabetes auf; die Zahl der Neuerkrankungen stieg von 2-4 Prozent im Jahr 1992 auf 45 Prozent im Jahr 1999. Die Betroffenen sind meist Afroamerikaner und Latinos. Auch die Rolle des Kokons würde unbewusst eine Rolle spielen. Während die Reichen durch ihr privilegiertes Leben einen psychologischen Puffer hätten, müssten die Armen sich ins schützende Fett retten.