Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland: "Es gibt nichts schönzureden"
Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit: Warnungen vor wirtschaftlichen Folgen des Rechtsextremismus in Ostdeutschland
Die Lebensverhältnisse zwischen den Bundesländern im Westen und im Osten hätten sich weiter angenähert, ist im Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2016 zu lesen. Vermutlich steht das alljährlich im Bericht.
Dieses Mal wurde aber bei der Pressekonferenz eine andere Entwicklung hervorgehoben, die als besorgniserregend und als wirtschaftsschädigend gekennzeichnet wurde. Im Bericht steht sie unter "Aktuelle Herausforderungen in Ostdeutschland" und folgt den Abschnitten "Innovationskraft stärken" und "Fachkräfte sichern". Die Einbettung des Themas "Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit" sagt schon einiges.
Im Jahresbericht wie in den Berichten zur Pressekonferenz wird eine Verknüpfung hergestellt, die in der bisherigen Debatte über die laute Rechte in den ostdeutschen Ländern nicht so stark herausgekehrt wurde: die negative Auswirkung rechtsextremistischer und fremdenfeindlicher Tendenzen auf die Wirtschaft im Osten Deutschlands.
Die Zusammenfassung der Wirtschaftsentwicklung im Osten auf der Webseite der Bundesregierung ist noch vorwiegend im positiven Ton gehalten.
Bildung und Beschäftigung - positive Aspekte der wirtschaftlichen Entwicklung
Dort heißt es, dass die Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Länder, Iris Gleicke, 26 Jahre nach der Wiedervereinigung in Ostdeutschland "viel erreicht sehe". Als positiv wird hervorgehoben, dass die Arbeitslosenquote in den Ostdeutschenländern in 20 Jahren um 4,7 Prozentpunkte gesunken sei. Die Zahl der Erwerbstätigen sei auf dem höchsten Stand seit 1992. Auch die Löhne seien gestiegen. Die tariflichen Entgelte lägen im Durchschnitt bei 97 Prozent des Westniveaus.
Als weiterer positiver Aspekt wird die vergleichsweise hohe Qualifikation angeführt. Während in Westdeutschland 29 Prozent der Erwerbstätigen einen Hochschulabschluss haben, sind es in Ostdeutschland 33 Prozent. Auch der Anteil der Erwerbstätigen ohne Berufsausbildung sei mit sieben Prozent nur halb so hoch wie im Westen.
Allerdings bestehe ein erheblicher wirtschaftlicher Aufholbedarf, so das Fazit, umso mehr als sich der Aufholprozess in den letzten Jahren abgeschwächt habe. Die Gründe hierfür sind dann im knapp über 100 Seiten starken Jahresbericht im Einzelnen genauer nachzulesen.
Problemzonen
Als Stichworte werden genannt: die ungünstigere Bevölkerungsentwicklung im Osten, die besondere Kleinteiligkeit der Wirtschaftsstruktur im Osten, der Mangel an Unternehmenszentralen, das Fehlen von großen Unternehmen, die dadurch mitbedingte geringen Aufwendungen für Forschung und Entwicklung und die zunehmende Verknappung von Fachkräften.
Um dieses zu kompensieren, legt der Bericht nahe, müssten die Bundesländer im Osten attraktiver werden, für Arbeitnehmer von außen und für größere Firmen und Unternehmen. An dieser Stelle kommt der Passus über den demonstrierten Fremdenhass in ostdeutschen Ländern.
Zwar habe es auch schreckliche Vorgänge im Westen gegeben, aber die Statistiken würden seit vielen Jahren eindeutig nachweisen, dass "in Ostdeutschland im Verhältnis zur Einwohnerzahl eine besondere Häufung von fremdenfeindlichen und rechtsextremen Übergriffen zu verzeichnen ist".
So liegen die im Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2015 dokumentierten, rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten bezogen auf eine Million Einwohner in Mecklenburg-Vorpommern (58,7), Brandenburg (51,9), Sachsen (49,6), Sachsen-Anhalt (42,6), Berlin (37,9) und Thüringen (33,9) deutlich über dem Durchschnitt der westdeutschen Länder (10,5).
Jahresbericht der Bundesregierung
Gesellschaftlichen Frieden in Ostdeutschland gefährdet
Die Entwicklung der letzten Monate, die sich in punkto demonstrierter Fremdenfeindlichkeit noch verschärft hat, bereitet der Bundesregierung Sorgen. Zumal nicht nur eine Erhöhung der extremistischen Straftaten im Jahr 2015 zu beobachten war, sondern auch ein anderes beunruhigendes Phänomen:
Bei den Protesten gegen die Aufnahme von Flüchtlingen wurde deutlich, dass die Grenzen zwischen bürgerlichen Protesten und rechtsextremistischen Agitationsformen zunehmend verschwimmen.
Jahresbericht der Bundesregierung
Das habe das Potenzial den gesellschaftlichen Frieden in Ostdeutschland zu gefährden, so der Bericht, der davon spricht, dass eine "lautstarke Minderheit" das Gesamtbild "dominiert und verzerrt".
Ein Bericht des Handelsblattes zum Jahresbericht mit Aussagen von Chefs von Wirtschaftsinstituten untermauert die These, dass dies eine ernste Bedrohung auch der wirtschaftlichen Entwicklung der ostdeutschen Länder ist. Zitiert wird unter anderem der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, der vor einer "massiven wirtschaftlichen Schwächung" von Teilen Ostdeutschlands warnt - durch die zunehmende Radikalisierung und Intoleranz.
Nicht nur Ausländer wollten nicht in fremdenfeindlichen Regionen leben. Auch gut qualifizierte Bürger sowie Unternehmen "werden diesen Regionen den Rücken kehren".
Handelsblatt
In der Pressekonferenz zur Veröffentlichung des Jahresberichtes schlug die Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Länder, Iris Gleicke, ganz ähnliche Töne an. Es gebe überhaupt nichts schönzureden, wird sie vom Spiegel zitiert: Der Rechtsextremismus stelle "in all seinen Spielarten eine sehr ernste Bedrohung für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung der neuen Länder dar". Ein nicht weltoffener Standort erleide ökonomische Nachteile.