Frieden durch Freihandel
Zu McDonald's oder zu Burger King? Der "Spaziergang für globalen Kapitalismus"
Organisatoren des ersten internationalen "Spaziergangs für globalen Kapitalismus", dem Walk for capitalism, sprechen nach eigenen Aussagen von einem "Erfolg". Demonstranten in 117 Städten weltweit setzten sich am vergangenen Sonntag für Neoliberalismus und Turbokapitalismus ein. Den größten Walk stellten die Schweden in Stockholm auf die Beine. 400 bis 500 Personen nahmen teil. In Seattle mischten sich 50 Gegendemonstranten unter 50 Demonstranten und konterten Plakaten mit Aufdrucken wie "Für Freihandel" und "Für individuelle Rechte" mit "Für Kinderarbeit" und "Für Völkermord". In Berlin trafen sich 25 Personen. Auch in München, Stuttgart und Dorsten verliefen die Veranstaltungen erwartungsgemäß friedlich. Sieger des Capitalism Award ist Bill Gates, da er "für die Menschheit mehr erreicht hat, als Tausend Mutter Teresas zusammen".
Die Sektkorken knallen etwas später als geplant. "Kapitalisten müssen sich Sonntags eben ausschlafen von der harten Arbeit der Woche", meint Wirtschaftsdoktorand Oliver Knipping (30) gelassen. Er ist einer der Organisatoren des "Spaziergangs für globalen Kapitalismus", der diesen Sonntag also erst um Viertel nach zwei Uhr vor der Berliner Nobelabsteige "Adlon" losgeht. Kalt ist es. Die "soziale Kälte" kriecht einem durch die Ärmel in den Mantel. Doch die Stimmung könnte besser nicht sein. 25 Teilnehmer veranlassen Passanten zu neugierigen Kommentaren: "Lustig, dass es auch mal Pro-Globalisierungs-Demonstrationen gibt, wenn auch ein bisschen klein." Aber an diesem Sonntag geht es ums Prinzip.
"Für welches Gesellschaftssystem soll man sich denn sonst einsetzen?"
Oliver Knipping ist mit seiner Baskenmütze optisch nicht als Anhänger des Turbokapitalismus zu erkennen. Demonstrieren für eine Entwicklung, die ohnehin stattfindet? Nicht ganz, denn für Knipping und seine Brüder und Schwestern im Geiste kann es nicht freiheitlich und staatlich ungeregelt genug sein. Also wird demonstriert, Entschuldigung, spaziert. Demonstrationen hat Sascha Tamm (36) als ehemaliger DDR-Bürger nämlich satt. Der Referent einer politischen Stiftung ist übrigens der andere Organisator.
Nicht alle sind so gemäßigt wie Knipping und Tamm. Die Mitglieder der Gruppe "Eigentümlich Frei" gehören zum libertären Flügel der Kapitalismus-Spazierer. Als Anhänger des Libertarismus (Vgl. Es klingt wie eine Mischung aus "liberal" und "pubertär"), einer Hybris aus Liberalismus und Wirtschaftsanarchismus, sind Steuern für sie Diebstahl, "vergleichbar mit einer Schutzgelderpressung beim Pizzaservice". Als Verfechter uneingeschränkter persönlicher Entscheidungsfreiheit fordern sie sogar die Wahl, welcher Polizei sie sich anvertrauen. Sie haben eine Flüstertüte mitgebracht und überbieten sich beim Erfinden von Slogans. Die Höhepunkte des Einfallsreichtums: "Lieber Boss als Genoss" und "Nur frei gehandelt ist auch fair gehandelt".
Der Protest richtet sich zum Beispiel gegen die Gewerkschaften. Und da mittlerweile die Mägen knurren, geht's auf zum DGB-Gebäude. Hier ist das globale Picknick geplant. Hier sollen alle Klischees bedient werden. Italienisches Brot, spanischer Schinken und russisches Baisee werden ausgepackt. Wichtig dabei sind auch die Schoko-Goldtaler aus dem Aldi. "Schließlich erwarten unsere attac-Zaungäste", die sich - obwohl angekündigt - nicht blicken lassen, "dass wir böse, geldverzehrende Kapitalisten sind." So stand es im Versammlungsaufruf.
Ein Teilnehmer nimmt gleich echtes Geld und wirf eine Handvoll Pfennige vor den Haupteingang des DGB-Gebäudes. Der junge Mann trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift "I LOVE SHOPPING". In der einen Hand hat er eine US-Fahne (als Symbol der freien Marktwirtschaft), in der anderen einen Golfschläger (als Symbol des Lebensstils der Menschen, die "Wohlstand durch Leistung" erreichen). Natürlich sei das schon ein bisschen platt, stimmt Sascha Tamm zu, doch die Gegenargumente seien auch platt. Dass durch den ungebremsten Kapitalismus die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher würden, ist für ihn kein tragendes Argument. Kritik, dass Kapitalisten wie er blind auf die Medizin des Eigennutzes vertrauten und Widersprüche kaum zur Kenntnis nähmen, begegnet er mit der Feststellung, dass die ärmsten Menschen immer in Ländern lebten, in denen sich "nur Eliten bereichern".
"Nicht die Freiheit macht arm, sondern die Knechtschaft."
Die im Internet veröffentlichte Bernstein Deklaration geht ins Detail. Sie wurde von dem australischen Radiomoderator Stefanos Nicholaou Marinakis veröffentlicht. Dieser hat mit seinem Ein-Mann-Institut Prodos den Walk for capitalism an diesem 2. Dezember 2001 in 117 Städten weltweit ins Leben gerufen. Dem Manifest zufolge ermöglicht nur der freie Geist den erstaunlichen Erfolg des Kapitalismus und somit Wohlstand. Nicht umsonst seien die größten Errungenschaften des Menschen in Zeiten größter Freiheit erreicht worden.
Dass die "absolute Freiheit nicht realistisch" sei, gibt Tamm gerne zu. Deshalb würde er als erstes die Wehrpflicht abschaffen. Dann alle Sozialversicherungen. Der Staat bräuchte nur für "Sicherheit und Schutz nach Außen" zu sorgen, und für "öffentlichen Transport und Verkehr" vielleicht noch. Doch Subventionen bräuchte kein Mensch, "den ganzen EU-Agrarmarkt" könne man ohne ein "Übergangsproblem" sofort abschaffen. Das alles, und noch viel mehr, würde er machen, wenn er König von Deutschland wäre.
Doch an diesem Tag wird das nichts mehr. Es wird auch nicht wärmer hier draußen. Auf dem Programmplan steht nur noch eine Sache. Ein solcher Tag darf nicht ausklingen, ohne bei McDonald's, dem Symbol des Free Market schlechthin, auf ein Sesambrötchen einzukehren ("Hat einer reserviert?"). Auch hier schauen die Unbeteiligten nicht schlecht, als die fröstelnde Runde, immer noch mit einem Kamerateam im Schlepptau und mit den Transparenten hereinspaziert. Auf einem steht: Staaten mit McDonald's führten miteinander noch nie Krieg. Statt "miteinander" hätte da wohl besser "gegeneinander" gestanden. Die Leute haben es trotzdem verstanden. "Wenn das so ist brauchen wir schleunigst McDonald's in Kabul", witzelt ein Gast. Die Besitzerin des Franchise-Ladens, die die Plakate "beschlagnahmt" und dem Kamerateam andeutet, "sofort" hier zu verschwinden, wird sich das Plakat nicht durchgelesen haben. Den Big Mac darf trotzdem jeder aufessen.
Natürlich soll auch nächstes Jahr wieder ein "Spaziergang für globalen Kapitalismus" stattfinden. Dann geht's aber nicht wieder zu McDonald's, sondern zu Burger King.