Friedenscocktail aus Berlin

Kundgebung vor dem Hauptbahnhof. Bild: S. Duwe

Mit dem Berliner Friedenswinter ist es erstmals öffentlich zum Schulterschluss zwischen der alten und der neuen Friedensbewegung gekommen

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Der Konflikt um die Ukraine lässt die Sorge vor einem Krieg zwischen Ost und West in Europa anwachsen und treibt bundesweit in sechs Städten die Menschen auf die Straßen. Zu den Demonstrationen aufgerufen hat ein äußerst breites Bündnis, welches sich selbst als "Friedenswinter" bezeichnet und bis in das kommende Frühjahr hinein weitere Aktionen plant. Den Aufruf, der eine "umfassende Abrüstung" fordert und die "häufig tendenziöse Berichterstattung in den Medien, die zur Produktion von Feindbildern beiträgt", kritisiert, haben unter anderem Vertreter der Montagsmahnwachen, Rainer Braun von IALANA und Wiltrud Rösch-Metzler von pax christi ausgearbeitet.

Unter dem Namen Friedenswinter gehen somit Teile der alten Friedensbewegung mit den in diesem Jahr entstandenen Montagsmahnwachen zusammen - was in anderen Teilen der Friedensbewegung und linken Organisationen auf deutliche Kritik stößt. So hat das Forum gegen Rüstungsexporte Bensheim seine ursprüngliche Unterstützung für den Friedenswinter wieder zurückgezogen, weil der Friedenswinter mit Personen zusammenarbeite, die Verschwörungstheorien verbreiteten. Auch der Landesverband Berlin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hat sich wegen "der fehlenden Abgrenzung der Veranstalter*innen" gegenüber rechten Ideologien aus dem Umkreis der Montagsdemo distanziert, ebenso der VVN-BdA.

Zwar distanziert sich der Friedenswinter offiziell von rechtem Gedankengut. In einer Stellungnahme, die als Reaktion auf ein Video, das mit Reichsbürgerinhalten zum Friedenswinter aufruft, heißt es: "Antisemitische, neurechte, reichsbürgerliche, rassistische, nationalistische und faschistische Positionen lehnen wir ab. Diese und die sie vertretenden Menschen sind auf den Aktivitäten des Friedenswinters 2014/ 2015 nicht erwünscht und werden des Platzes verwiesen." Doch Teile der Friedensbewegung und der Linkspartei halten derartige Statements offenbar nicht für glaubwürdig.

Bild: S. Duwe

Hintergrund ist, dass auch führende Köpfe der Montagsmahnwachen wie Lars Mährholz den Aufruf zum Friedenswinter unterzeichnet haben und zu den Demonstrationen aufrufen. Lars Mährholz wurde seit Beginn der Montagsmahnwachen immer wieder Antisemitismus und Nähe zur so genannten Reichsbürgerbewegung vorgeworfen, die die Existenz der Bundesrepublik nicht anerkennt. Von diesen Vorwürfen hat sich Mährholz zwar wiederholt distanziert - wirklich glaubwürdig sind diese Distanzierungen jedoch nicht.

In der Vergangenheit entzündete sich die Kritik an Lars Mährholz vor allem deshalb, weil er über seine Facebookseite "Wo ist die Menschheit morgen" und seine Internetseite dabrain.biz verbreitete, dass den Rothschilds nahezu sämtliche Zentralbanken der Welt gehören würden - ein klassisches Argumentationsmuster des Antisemitismus. Mährholz' Thesen, auch sein Hang zu Inhalten der Reichsbürgerbewegung lassen sich heute nur noch im Internetarchiv nachlesen - aufgrund der massiven Kritik hat er die Seiten mittlerweile gelöscht.

Umso bemerkenswerter ist, dass die Rothschilds auch auf seiner aktuellen Internetseite mahnwache.info wieder Thema sind - auf den ersten Blick jedoch gut versteckt in einer Dokumentation des rechten US-Verschwörungstheoretikers Alex Jones mit dem Titel "Die NWO - keine Theorie mehr?!?", die Mährholz unter der Rubrik "Wissen und Nachrichten" empfiehlt. Dem Film zufolge hatten lediglich die "Rothschild-kontrollierten" Banken ein Interesse am Ausbruch des Ersten Weltkrieges - die Kriegsschuld wird der jüdischen Profitgier zugeschrieben. Auch heute hat Jones Film zufolge eine dunkle Machtelite Freude am Sterben der Menschen. Auf 10 bis 20 Prozent soll demnach die Bevölkerung reduziert werden; AIDS sei dafür zu langsam, Ebola könne das viel schneller erreichen. Verkauft wird das Bevölkerungsreduktionsprogramm angeblich als Umweltschutzprojekt. Dazu dienen laut Jones die Klimaschutzmaßnahmen zur Reduktion des CO2-Ausstoßes. Der Klimaschutz sei eine Lüge, bei dem die Menschen selbst über die Anordnung der Planeten im Sonnensystem belogen würden. Hinter dieser Lüge stecke: Rothschild.

Ken Jebsen. Bild: S. Duwe

Dass die Distanzierung von rechtsradikalen Reichsbürgern nur Show ist, zeigt auch ein Blick auf die "1. globale Friedensmahnwache in Wien", die am 6. und 7. Dezember in Wien stattfand und von den deutschen Mahnwachen-Promis Lars Mährholz und Ken Jebsen mit Reden bedacht und auf Facebook hochgelobt wurde. Doch ein Blick auf die offizielle Rednerliste zeigt: Reichsbürger aus Österreich waren ein geplanter und beworbener Bestandteil des Programms. So zum Beispiel Joe Kreissl. Er hält die Republik Österreich für eine Firma, aus der er ausgetreten sein will, wobei er sich darüber beklagt, dass das "System" nun "diverse heftige Attacken" gegen ihn durchführe. Kreissl, der sich selbst als "Freeman" bezeichnet, spricht auf verschwörungstheoretischen Kongressen unter anderem ganz im Stile des historischen Antisemitismus von den "Mechanismen der Zinssklaverei". Auch der selbsternannte "Souverän Tassilo" war offizieller Redner auf der Wiener "Friedenskundgebung".

Am 7. Dezember durften Aktivisten des so genannten "One People's Public Trust" (OPPT), Gudrun Knorrek und Marcus Steiner, eine offizielle Begleitveranstaltung zur Friedensmahnwache durchführen. Der OPPT behauptet, "die Elite" gepfändet zu haben - was deshalb funktioniere, weil alle Regierungen eigentlich Firmen sind. Der OPPT verbreitet antisemitische Verschwörungstheorien zu den Rothschilds [https://www.facebook.com/OpptOnePeoplesPublicTrust/posts/503001953176130] und betreibt unter dem Namen International Common Court of Justice (ICCJV) ein selbsternanntes, aber angeblich international anerkanntes Gericht in Wien. Das sitzt in einem Hof bei Hollenbach und nimmt für sich das Recht in Anspruch, Haftstrafen auszusprechen und mit einem eigenen "Sherrif" umzusetzen, was bereits zu einem Einsatz der echten Polizei beim ICCJV führte. In einer Art Stellenausschreibung sucht der ICCJV auf Facebook "Sheriffs, um verurteilte Richter und Politiker festzunehmen. Schließe dich den Schutz der Männer und Frauen an! Wir suchen Männer und Frauen mit Erfahrung in Kampfsport, Personenschutz, Militär- und Polizeiangelegenheiten. Auch rufen wir aktive Polizisten, Grenzschützer und Soldaten auf, sich zu melden. Wir suchen auch Menschen, die andere ausbilden können, um Festnahmen zu begleiten."

Derartige Bestrebungen sind alles andere als friedlich - doch Lars Mährholz und Ken Jebsen haben offenbar kein Problem mit Verschwörungstheoretikern, die mit kruden Argumenten zur Selbstjustiz aufrufen. Kritische Worte zu ihren Partnern von der Mahnwache Wien sind jedenfalls nicht bekannt - und das, obwohl die Nähe der Mahnwachen zur Reichsbürgerbewegung seit einem Dreivierteljahr in der Kritik steht.

Lars Mährholz. Bild: S. Duwe

Mährholz selbst brüstet sich auf Facebook damit, sich "von niemandem vorschreiben zu lassen mit wem ich zu reden habe und mit wem nicht" - und kündigt an, noch im Dezember ein Gespräch mit Michael Friedrich Vogt aufzeichnen zu wollen. Vogt drehte zusammen mit dem NPDler Olaf Rose einen geschichtsverfälschenden Dokumentarfilm über den Nazi Rudolf Heß, weswegen er seine Stelle als Honorarprofessor an der Universität Leipzig räumen musste.

Trotz der kritischen Diskussion im Vorfeld fanden sich laut Angaben der Veranstalter bis zu 3.500 Menschen zusammen, um gemeinsam zu demonstrieren. Zu sehen waren unter anderem auch zahlreiche Fahnen der GEW, obwohl deren Berliner Landesverband dazu aufgerufen hatte, der Demo fern zu bleiben, sowie Fahnen der Linkspartei.

Zum Auftakt der Demo am Berliner Hauptbahnhof erklärte IALANA-Geschäftsführer Braun nochmals ausdrücklich, dass es keine Zusammenarbeit mit Rechtsextremen gebe. Zudem kritisierte er die Aufmärsche der Pegida.

Bild: S. Duwe

Zumindest der Friedenswinter-Ableger in Leipzig scheint jedoch keine so klare Haltung zu Pegida zu haben. Eine lange Stellungnahme der Montagsmahnwache Leipzig gegen Pegida auf Facebook wurde mittlerweile wieder gelöscht, nachdem sich ein regelrechter Shitstorm unter dem Post ergossen hatte. "PEGIDA ist eine gute Sache. Ihr glaubt den Medien und ihrer hetze nur zu viel", so begründete ein Kommentator seine Ablehnung. Die Inhalte lassen sich noch auf einem Screenshot nachvollziehen. Lutz Metzger, der den Kommentar auf der Seite der Mahnwache Leipzig veröffentlicht hat, ist nach eigenen Angaben anschließend als Administrator der Seite entfernt worden - weil sich die Mahnwache nicht eindeutig gegen die Pediga positionieren wollte. Zumindest ein Teil des Leipziger Friedenswinters hält demnach wenig von einer klaren Abgrenzung vom Rechtsextremismus.

Die Inhalte, die der Berliner Friedenswinter auf die Straße bringt, entsprechen weitestgehend denen der klassischen Friedensbewegung. Kritik wird vor allem an Bundespräsident Joachim Gauck geübt, dessen "Kriegsrhetorik" ist das durchgängige Thema der meisten Reden. Weitere Forderungen sind die nach einem Ende aller Auslandseinsätze der Bundeswehr, dem Abriss aller Produktionsstätten von Rüstungsgütern und einem Austritt Deutschlands aus der NATO. Zudem wird ein Ende der Propaganda in den Medien gefordert. Einige Demonstranten machen auf Schildern Werbung für das Buch über die "Gekauften Journalisten" von Udo Ulfkotte. Das im Faktencheck von Stefan Niggemeier glatt durchgefallen ist. Andere Demonstranten machen auf Schildern ihre Sorgen vor Chemtrails öffentlich.

Auf dem Weg vom Hauptbahnhof zum Schloss Bellevue haben die Montagsmahnwachen einen eigenen Lautsprecherwagen dabei, von dem die altbekannten Gesichter Reden halten: Pedram Shayar, Ken Jebsen und Lars Mährholz. Auch der Verschwörungs-Rapper "Photon", der einen Mordkomplott der Eliten an Michael Jackson wittert, weil dieser "für den Frieden" gekämpft habe, darf ans Mikrofon. Pedram Shayar warf dabei der Presse den Versuch vor, die Friedensbewegung zu spalten. Mit derartigen Vorwürfen reagieren Vertreter der Montagsmahnwachen regelmäßig auf Kritik an antisemitischen und verschwörungstheoretischen Inhalten der Mahnwache. Entsprechend wurde vom Lautsprecherwagen der Mahnwachen auch dazu aufgerufen, keine Nachrichten mehr zu lesen, sondern selber zu recherchieren. Kritiker der Mahnwachenbewegung gelten von vornherein als unglaubwürdig.

Bild: S. Duwe

Dabei ist Antisemitismus auch auf dem Friedenswinter sichtbar geworden. Ein kritischer Beobachter der Demo wurde von Demonstranten als "Volksverräter" beschimpft, weil er einen Pullover mit einer israelischen Flagge trug.

Auf der Abschlusskundgebung am Schloss Bellevue durfte schließlich der Infokrieger Kilez More spechen, der die Illuminati für die geheime Weltregierung hält, die die Menschheit mit Fluorid im Wasser und Chemtrails in der Luft vergiften. Applaus erhielt Kilez More für seinen Auftritt auch von den Vertretern der alten Friedensbewegung, die kaum wissen dürften, für welches Weltbild der Rapper steht.

Mit dem Berliner Friedenswinter ist es erstmals öffentlich zum Schulterschluss zwischen der alten und der neuen Friedensbewegung gekommen. Beide Gruppen haben auf der Demonstration betont, in Zukunft weitere gemeinsame Aktionen durchführen zu wollen. "Heute mischen wir den Cocktail der Friedensbewegung neu", so Shayar. Die Inhaltsstoffe dieses Cocktails dürften den meisten Teilnehmern in Berlin jedoch nicht bekannt sein.