"Früher herrschten die Gewalttäter, heute herrschen die Wohl-Täter"
Maternus Millett über gesellschaftliche Eliten und warum man sich als Opfer darstellen muss
Maternus Millett hat Stadtplanung studiert und eine Ausbildung zum Redakteur mit Schwerpunkt Finanzen, Gesellschaft und Ökologie durchlaufen. Nach Mitarbeit bei verschiedenen Medien hat er letztes Jahr den Roman "Alphacrash" veröffentlicht. In seinem neuesten Buch "Das Schlechte am Guten" will Millett zeigen, "weshalb die politische Korrektheit scheitern muss", sich das Gute ins Böse verkehrt und man lieber die Freiheit aushalten soll, als sich in Ideologien einzusperren.
Immer wieder beobachtet man in gesellschaftlichen Debatten dasselbe Schema: Wer sich selbst zu den Guten zählt, der neigt dazu Andersdenkende zu verteufeln. Auch wenn die Meinungsfreiheit in aller Munde ist, herrschen Denkverbote in diesen Debatten. Diejenigen, die sich jenseits der herrschenden Meinung bewegen, drohen aus den Debatten verbannt zu werden. Was für Auswirkungen hat die "politische Korrektheit" für die Gesellschaft?
Maternus Millett: Meinungsfreiheit, Demokratie und Pluralismus werden nach und nach ausgehöhlt. Gern bezieht man sich auf das Ideal der "Repressiven Toleranz", nach dem Motto: "Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit", analog zu "Wir kämpfen für den Frieden, erholen uns aus Leibeskräften und fordern Spontaneität!" Sogar jene, die offen bekennen, gegen Freiheit, Demokratie und Toleranz zu sein und nicht das Gegenteil heucheln, müssen dies sagen dürfen und sich einer Diskussion stellen. Ob sie daran teilnehmen wollen, ist eine andere Frage. Das Strafrecht steckt die Grenzen, innerhalb derer auch extreme Ansichten ausgedrückt werden dürfen. Die Exponenten des "Guten" sollten sich öfter an Voltaire erinnern, der sagte: "Ich teile ihre Ansicht nicht, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, damit sie es sagen dürfen." Und vor Voltaire hatte ich auch auf Rosa Luxemburg rekurriert: "Freiheit ist immer auch die Freiheit des Andersdenkenden". Das ist wichtig, weil viele "Gute" genau dieses linke Idol verehren.
Sie schildern in Ihrem Buch "Das Schlechte am Guten - Weshalb die politische Korrektheit scheitern muss", dass bisherige Versuche das Paradies auf Erden zu schaffen, oft zu Terror und Unheil geführt haben. Führt die Ideologie der politischen Korrektheit zu einer Art Gesinnungsterror, die das gesellschaftliche Klima vergiftet?
Maternus Millett: Diese Gefahr besteht absolut, zumal die zugelassenen Parteien sich kaum noch voneinander unterscheiden und die Wahlbeteiligung deutlich abnimmt. Die stärkste Fraktion sind längst die Nichtwähler. So sehr man Thilo Sarrazin kritisieren kann: Der enorme Zuspruch für sein Buch gegen die massiven Widerstände von Politik und Medien hat die Diskrepanz zwischen "Oben" und "Unten" und das Legitimationsdefizit des "Oben" aufgedeckt, welches man von "Oben" durch zunehmende Kontrolle, Manipulation und Repression auszugleichen versucht. Das hat dauerhaft noch nie funktioniert, wie man am Faschismus und Staatssozialismus sehen kann, die ebenfalls der festen Überzeugung waren, das absolut "Gute" zu tun und von einer Welterlösungsvision beseelt waren, die für das Paradies auf Erden kämpften, das sich nach der Vernichtung des "Bösen" einstellen sollte.
Die politische und gesellschaftliche Realität ist also Ihrer Meinung nach konstruiert?
Maternus Millett: Es handelt sich um einen völlig normalen Herrschaftsprozess. Zu allen Zeiten wurden alle Regierungen von Eliten gestellt, die ein bestimmtes "Mindset" und bestimmte Ideale und Interessen mitbringen und diese von oben nach unten implementieren, um die Welt zu machen, wie sie ihnen gefällt.
Sloterdijk sagte einmal, dass alle Wege von 68 letzten Endes in den Supermarkt führten. Was für eine Rolle spielen die Alt-68er bei der politischen Korrektheit?
Maternus Millett: Es spielt keine große Rolle, ob Herrschaft als "links" oder "rechts" oder sonst wie daher kommt. Alle Eliten verhalten sich gleich, sobald sie oben angekommen sind, bis sie von einer neuen Elite abgelöst werden. Auch Herrschaft evolviert und wurde immer subtiler und effizienter: Früher herrschten die Gewalttäter, heute herrschen die Wohl-TäterInnen mit sozialen Wohltaten und Warenkonsum, die die Beglückten in Abhängigkeit, Unselbständigkeit, Kontrollier- und Erpressbarkeit führen.
Gerade in der Debatte um Sarrazin konnte man trotz berechtigter Kritik erkennen, dass Zuschreibungen wie "Rassist" sehr schnell genutzt wurden, um den Gegenüber zu brandmarken und keine wirkliche und offene Diskussion über wichtige Themen zu führen. Bei einigen Sarrazin-Kritikern hatte man das Gefühl, dass deren Motto ist: "Er ist böse, also sind wir gut." Kann so eine Dialektik dazu führen, dass wirkliche rassistische Gruppen und Ideologien davon profitieren, indem sie sich als Opfer präsentieren können?
Maternus Millett: Das versuchen die Rechtsextremisten mit dem Verweis auf staatliche Repression und auf tatsächliche oder vermeintliche Kriegsverbrechen an Deutschen andauernd. Man muss heutzutage "Opfer" sein, am besten ein mehrfach diskriminiertes, um Gehör zu finden, "Ansprüche" zu stellen und letztlich moralische Macht auszuüben.
Sie stellen in Ihrem Buch auf provokante Weise eine Parallele zwischen der Aufhebung der Sklaverei und der Emanzipation fest.
Maternus Millett: Man kann fragen, ob die Aufhebung der Sklaverei nach Jahrtausenden Sklaverei aus Mitgefühl mit den Sklaven erfolgte oder nicht vielmehr, weil man Arbeitnehmer brauchte, die wesentlich flexibler und billiger eingesetzt werden können als Sklaven. Fakt ist, dass es den ehemaligen Sklaven nach deren "Befreiung" ökonomisch mindestens ein Jahrhundert lang wesentlich schlechter ging als zu Zeiten der Sklaverei, als sie zwar offensichtlich unfrei, aber als Eigentum auch "werthaltig" waren, weil Krankheit oder Tod eines Sklaven einen erheblichen Verlust für den Sklavenhalter bedeutete. Vor allem wurden Sklaven auch dann versorgt, wenn es keine Arbeit für sie gab. Die Sklaven wurden dann zu "freien" Wirtschaftssubjekten, zu Arbeitskräften, die man nach Belieben feuern und ihrem Schicksal überlassen konnte; sie verloren also die Wertschätzung, die sie als Eigentum genossen.
Sogar viele "Gute" behandeln ihr Eigentum und ihre Haustiere besser als ihre "freien, eigenverantwortlichen" Mitmenschen. Ähnlich verhält es sich mit den "Emanzipierten", die aus einer feudalen Abhängigkeit zur Lohnabhängigkeit befreit wurden, wobei die feudale Abhängigkeit auch Sicherheit mit sich brachte, denn der Bediente ist vom Dienenden ebenfalls abhängig und im eigenen Interesse zur Fürsorge verpflichtet. Die Frage ist auch, inwieweit sozialstaatliche Ansprüche, Verwaltungsakte und Geldzahlungen die sozialen Bedürfnisse nach menschlichem Kontakt, Bindung und Verbindlichkeit befriedigen.
Sie reflektieren auch kritisch über die Gender-Theorie. Welche Auswirkungen hat die Gender-Theorie auf die Gesellschaft?
Maternus Millett: Die Gender-Theorie versucht, die Zweigeschlechtlichkeit des Menschen als Normalfall in Frage zu stellen und stellt nicht nur die Geschlechterrollen, sondern sogar den "Geschlechtskörper", also die anatomisch-physiologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau, als soziokulturelles "Konstrukt" dar. Sie geht davon aus, dass wir als sexuell-erotisch unbeschriebene Blätter zur Welt kommen und erst durch Erziehung, Imitation usw. zu Männern und Frauen geformt werden und interpretiert dies als "Repression", als Unterdrückung und Deformierung der angeblich ursprünglich multisexuellen "Natur" des Menschen.
Diese Ideologie wird als "wissenschaftlich" verkauft und auf staatlicher Ebene von oben nach unten implementiert, indem die Geschlechterrollen "dekonstruiert" werden, d.h. politisch gewollt Geschlechtsverwirrung gestiftet und heterosexuelle Geschlechtsidentitäten zerstört werden sollen. Es handelt sich hier um einen gesamtgesellschaftlichen Groß-Menschenversuch mit ungewissem Ausgang, eine Sozial-Großtechnologie ohne wissenschaftliche Folgenabschätzung und Ethikkommissionen, wie sie bei Atomtechnologie und Genmanipulation Standard sind.
Auf jeden Fall ist zu beobachten, dass heterosexueller Geschlechtsverkehr immer seltener stattfindet und dass sich die Geschlechter auch physisch aneinander angleichen, bei abnehmender Fruchtbarkeit und zunehmender Vereinzelung, sexueller Frustration und Impotenz nicht nur bei Männern.
Die Webseite PI-News vermarktet sich erfolgreich unter dem Label "politcally incorrect". Sie hetzt dabei aber systematisch gegen Muslime. Besteht die Gefahr, dass Gruppen unter dem Deckmantel der "Politischen Unkorrektheit" fremdenfeindliche und islamfeindliche Gedanken verbreiten?
Maternus Millett: : Die politische Korrektheit als das "absolut Gute" hat das gesellschaftliche Klima bereits so weit polarisiert und vergiftet, dass auch eine kritische Diskussion des "absolut Guten" - also des Versagens der Bildungs- und Integrationspolitik, der selektiven Toleranz Straftaten von Immigranten gegenüber, der bedingungslosen Sozialleistungen für alle - kaum noch möglich ist. Folglich können alle, die provokante Kritik anmelden, sehr leicht moralische Empörung auslösen und sich als Rebellen gegen das neue, linke, permissive Establishment und als "Opfer von Repression" darstellen. Eine absurde Situation, und mit Sicherheit pures Gift für Demokratie, Pluralismus und den sozialen Frieden, die zunehmend durch ein "Die oder wir!" und "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns" ersetzt werden.
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