Für Oppositionelle gibt es in der Ukraine keine Menschenrechte
Auf einer Konferenz in Berlin sprachen kritische Journalisten und Politiker, die aber das Pech haben, nicht aus Russland zu kommen
Journalisten und Kriegsdienstverweigerter werden verfolgt, verprügelt und landen im Gefängnis. Kritische Zeitungen und Rundfunksender werden von der Regierung geschlossen oder von einem nationalistischen Mob belagert.
Nein, da ist nicht von Russland die Rede. Bei der knapp vierstündigen Konferenz der Linksfraktion ging es um Menschenrechte und Medienfreiheit in der Ukraine. Das Land wird in Deutschland von einer ganz großen Koalition von CSU bis zu den Grünen ausschließlich als Opfer russischer Expansionsinteressen gesehen.
Erst vor zwei Tagen hat die Grünen-Politikerin Marie Luise Beck bei einer Diskussion im Deutschlandfunk wieder eine Lanze für die Ukraine gebrochen. Für sie war ganz klar, dass sie gegen Putin ebenso verteidigt werden müsse wie die prowestliche russische Opposition, die Beck unterstützt.
Aber die vom Linken-Abgeordneten Andrej Hunko eröffnete Konferenz zu den Menschenrechten in der Ukraine machte deutlich, dass in dem Land Andersdenkende und Handelnde mindestens genau so stark verfolgt werden wie in Russland. Im ersten Panel berichteten Juristen und Vertreter von Menschenrechtsorganisationen über die repressive ukrainische Innenpolitik.
Die Leiterin des Instituts für Rechtspolitik und Soziales Elena Berezhnaya holte aus einer Tasche einen schmutzigen Lappen. Damit wollte sie zeigen, wie der ukrainische Präsident mit der Verfassung umgehe. Ein Maulkorb sollte die massive Einschränkung der Meinungsfreiheit symbolisieren.
Das bekommen auch oppositionelle Medienvertreter zu spüren, die im zweite Panel über vielfältige Repressalien berichteten. Das fängt bei Drohungen an und geht bis zur Ermordung von kritischen Journalisten. Wenn das in Russland geschieht, gibt es mit Recht einen großen Aufschrei in der westlichen Welt. Wenn es in der Ukraine geschieht, folgt das große Schweigen.
Die Namen, der in den letzten Jahren in der Ukraine ermordeten Journalisten sind hierzulande kaum bekannt. Es setzen sich anders als im Falle Russlands auch keine grünen Spitzenpolitiker für sie ein. Es waren zivilgesellschaftliche Aktivisten wie Lothar Eberhardt, die dafür gesorgt haben, dass der Name des Bloggers und Journalisten Ruslan Kotsaba einer größeren Öffentlichkeit bekannt wurde.
Er wurde inhaftiert, weil sich der überzeugte Pazifist klar gegen den Krieg der Ukraine gegen die prorussische Bevölkerung im Osten des Landes ausgesprochen hat. Die Kampagne für seine Freilassung hatte Erfolg. Doch nach seinem engagieren Vortrag, informierte Kotsaba darüber, dass die ukrainische Justiz eine erneute Anklage gegen ihn vorbereitet.
Es kann also sein, dass er bei seiner Rückkehr erneut inhaftiert wird. Eigentlich müsste der Pazifist Unterstützung auch von Grünen bekommen. Doch für Rebecca Harms und andere Freunde der Ukraine sind ukrainische Pazifisten suspekt, weil sie nicht zur Wehrbereitschaft beitragen.
Linke Oppositionelle fehlten auf der Konferenz
Die auf der Konferenz geäußerten Fälle von Menschenrechtsverletzungen werden nicht dadurch entwertet, dass ein Großteil der anwesenden Referenten Anhänger des durch den Maidan gestürzten Regimes waren.
Auch die Presseverantwortliche der früheren Regierung meldete sich zu Wort und beteuerte, dass man es damals nicht nötig gehabt habe, gegen kritische Journalisten repressiv vorzugehen. Man hätte andere Mittel gehabt.
Der Stipendiat der Rosa-Luxemburg-Stiftung und Soziologe Taras Salamaniuk kritisierte, dass bei der Auswahl der Referenten die "neue Linke" nicht berücksichtigt worden sei und einige der Redner auf der Konferenz keine Probleme mit Abwertung von Schwulen und Lesben haben.
Man kann sagen, dass sie ein instrumentelles Verhältnis zu Menschenrechten haben und sich nur beklagen, wenn sie oder ihr nächstes Umfeld davon betroffen sind. Salamaniuk hat sich in einer Untersuchung mit der Rolle der Linken beim Maidan und Anti-Maidan befasst. Dabei kommt er für beide Bewegungen zu einen ernüchternden Fazit:
Hervorzuheben ist, dass der Anti-Maidan in Charkiw dank der starken Stellung von Borot ́ba und im Unterschied zu Kiew die Forderungen der Linken berücksichtigt hat. Diese haben dort nicht bloß Flugblätter verteilt oder ein kleines Agitationsgrüppchen organisiert, sondern ganz gezielt Propaganda von der Bühne herunter betrieben.
Als Folge sind einige progressive Forderungen, wie das Verbot ausbeuterischer Arbeitsverhältnisse und die Priorität für kollektives Eigentum, in die Erklärung der "Charkiwer Volksrepublik" aufgenommen worden.
Es ist aber umgekehrt nicht zu vergessen, dass diese erfolgreiche Zusammenarbeit und die engen Beziehungen zwischen Borot ́ba und den anderen, teilweise chauvinistischen Anti-Maidan-Organisationen in Charkiw noch umstrittener waren als die Teilnahme von Linken an der Maidan-Bewegung.
Taras Salamaniuk
Wenn EU-Freunde das Ende der Sowjetunion bejubeln
Doch unabhängig von diesen für die Formierung einer neuen Linken, die nichts mit den alten oligarchischen Machtblöcken zu tun hat, wichtigen Klärungsprozess sollte man bei der Frage der Menschenrechte endlich in der Ukraine den gleichen Maßstab wie in Russland anlegen.
Der Journalist Ulrich Heyden, der sich sehr engagiert dafür einsetzte, redete aus eigener Betroffenheit. Er war einer der wenigen deutschsprachigen Journalisten, die mit den Angehörigen der Menschen gesprochen haben, die am 2. Mai 2014 beim Sturm von Nationalisten auf das Gewerkschaftshaus von Odessa, in das sich Angehörige des Anti-Maidan geflüchtet hatten, ums Leben kamen.
Heyden schuf mit Lauffeuer einen der wenigen deutschsprachigen Filme, die sich mit dem blutigen Geschehen befassen. In den meisten Medien wurde der Film ebenso verschwiegen, wie die Proteste ausblieben, als Heyden aus der Ukraine ausgewiesen wurde.
Wäre das in Russland geschehen, wäre Heyden der Held aller Talkshows gewesen und hätte die Unterstützung von allen Parteien bekommen. Doch die doppelten Standards beginnen schon früher.
Alle, die es so begrüßen, dass sich die Ukraine selbstständig gemacht haben, jubelten über das Ende der Sowjetunion. Dabei war sie wie die EU ein Bündnis verschiedener Staaten. Es gab keine Außengrenzen mehr. Die Menschen mussten keine langen Ausweisprozeduren auf sich nehmen, wenn sie innerhalb der SU reisten.
Nach dem Ende der SU entstanden ganz viel neue Nationalstaaten, die teilweise überhaupt keinen Kontakt untereinander haben und durch teilweise starre Grenzen getrennt sind. Diesen Aspekt wollen viele EU-Anhänger, die das Ende der Sowjetunion begrüßten, nicht sehen. Das ideologische Feindbild verhinderte es.