Für Waffenlieferungen! Gegen Streik!
Arbeitskampf am Montag folgten Rufe nach Einschränkung eines Grundrechts. Beistand von unerwarteter Seite. Warum, das wusste einst ein jüdischer Österreicher.
Viel wurde von dem Mega-Streit an diesem Montag gewarnt. Am Ende blieb das große Chaos aus. Die Debatte über Arbeits- und Verteilungskämpfe aber hat gerade erst begonnen. Dabei geht es nicht nur um die Lage in Deutschland, sondern immer stärker auch um die politische und wirtschaftliche Einbettung Deutschlands in den internationalen Kontext.
Der bundesweite Warnstreik von Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und Eisenbahnergewerkschaft EVG hat in der montagmorgendlichen Hauptverkehrszeit nur in wenigen größeren Städten und Regionen Deutschlands zu massiveren Staus geführt. Nach einer Analyse für die Deutsche Presse-Agentur (dpa) lag die durchschnittliche Wegezeit nur in vier von 27 Städten um mindestens zehn Prozent höher als bei der letzten Messung.
Wer also im regnerischen Süden Deutschlands den Morgennachrichten in seinem Pkw länger folgen konnte, wurde auch darüber informiert: Die Tarifpartner haben in Potsdam zeitgleich die dritte Verhandlungsrunde für den öffentlichen Dienst aufgenommen.
Die Positionen sind verhärtet und es ist derzeit völlig offen, ob bei den auf drei Tage angesetzten Gesprächen eine Lösung gefunden werden kann. Schwierig gestalten sich auch die Verhandlungen der EVG mit verschiedenen Bahnunternehmen, vor allem aber mit dem Branchenriesen Bahn AG.
Verdi-Chef Frank Werneke jedenfalls zeigte sich zunächst zufrieden. "Alle, wirklich alle Mitglieder, die wir heute zum Arbeitskampf aufgerufen haben, beteiligen sich an diesem Streik", zitiert ihn die dpa. Es sei "einfach Druck auf dem Kessel, weil die Beschäftigten es leid sind, jeden Tag mit warmen Worten abgespeist zu werden, während die Arbeitsbedingungen immer schlechter werden und viele Stellen unbesetzt bleiben".
Die Forderungen liegen weit auseinander. Während die Gewerkschaften einen Inflationsausgleich von rund elf Prozent fordern, bieten die Arbeitgeber nur einen Bruchteil davon.
Die Warnstreiks werden von der Mehrheit der Deutschen unterstützt. Rund 55 Prozent der Befragten halten die Streiks von Verdi und EVG "eher" oder "voll und ganz" für gerechtfertigt. Das ergab eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov im Auftrag der dpa.
Im Gegensatz dazu steht eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa im Auftrag des CDU-Wirtschaftsflügels. Demnach befürworten vor allem Befragte, die bei der nächsten Bundestagswahl die Unionsparteien oder die Grünen wählen wollen, eine Einschränkung des Streikrechts. Unter den Anhängern der Grünen sprechen sich 53 Prozent dafür aus. Bei den Unionsanhängern sind es 45 Prozent.
Die Brisanz dieser Positionen zeigt sich nicht nur in der Debatte um die Einschränkung des Grundrechts auf Streik. Betrachtet man die aktuellen Arbeits- und Sozialkämpfe in Europa vor dem Hintergrund geopolitischer Konflikte, wird die ganze Dimension des Problems deutlich.
Im aktuellen Kräftemessen mit Russland, den Sanktionen gegen Moskau und den Waffenlieferungen an die Ukraine sind es neben der FDP vor allem die Grünen, die eine größere Opferbereitschaft der breiten Bevölkerung einfordern, ihre Anhängerschaft aber eher im Milieu der Besserverdienenden rekrutieren.
Gleichzeitig treten Grünen-Wähler inzwischen noch stärker als Christdemokraten für eine Einschränkung des Streikrechts ein. Nicht nur für die politische Linke deutet sich damit an, dass viele klassische Positionen und Zuschreibungen in naher Zukunft neu verhandelt werden müssen: Was ist links? Was rechts? Wer ist systemtragend, wer systemkritisch?
Es drängt sich der Eindruck auf, dass die klassenpolitische Positionierung mit einer geopolitischen Parteinahme einhergeht. Das ist keineswegs neu: Schon in den Kriegen des 18. und 19. Jahrhunderts forderten der Staat und die Verfechter der kaiserlichen Regime von der Bevölkerung Opferbereitschaft für die vermeintlich hehre nationale Sache, was bekanntlich in der Parole "Für Gott und Vaterland" mündete und wovon heute überall Gedenksteine für "unsere gefallenen Helden" zeugen.
Heute steht die westeuropäische, supranationale Sache im Vordergrund. Die Situationen sind historisch nicht vergleichbar, aber sie eint eine propagandistische Unschärfe: "Unsere Freiheit" steht heute auf den noch gefühlten Koppelschlössern, wenn der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine mit dem heftigsten Wirtschaftskrieg Westeuropas seit 1945 – immer kongruent mit der Nato – beantwortet wird.
Die Russen wurden nicht gefragt, ob sie diesen Krieg wollen, die Ukrainer ohnehin nicht. Aber auch die Westeuropäer wurden nicht gefragt, ob sie einen Wirtschaftskrieg wollen.
Also kommt die Antwort jetzt um die Ecke, in Form von Tarifauseinandersetzungen und Arbeitskämpfen. Gefordert wird ein Inflationsausgleich, was im Grunde nicht zu viel verlangt ist, denn unter dem Strich stünde für viele der arbeitenden Menschen in diesem Land eine schwarze Null.
Dass das Gerechtigkeitsempfinden der Menschen viel stärker betroffen ist, als man zunächst vermuten würde, zeigen die zahlreichen Anspielungen auf die Situation in Frankreich, die in diesen Tagen in Straßenumfragen zu hören sind. Man müsse antworten, heißt es dann, "wie die Franzosen". Aber die Situation dort ist zugespitzter, die Erfahrung der Beteiligten an Sozialkämpfen konkreter.
Schaut man sich also das gesamte Panorama der machtpolitischen, militärischen und infolge wirtschaftlichen Konflikte in Europa an, erscheinen Zeilen des großartigen österreichisch-jüdischen Liedermachers Georg Kreisler beklemmend aktuell. Der nämlich sang einst:
Verteidig' meine Freiheit mit der Waffe in der Hand
Und mit der Waffe in den Händen deiner Kinder
Damit von deinen Kindern keines bei der Arbeit je vergisst
Was Freiheit ist.
Meine Freiheit sei dir immer oberstes Gebot
Meiner Freiheit bleibt treu bis in den Tod
Wenn dir das vielleicht nicht logisch vorkommt, denk an eines bloß:
Ohne meine Freiheit bist du arbeitslos.
Dieser Kommentar erscheint anstelle der "Themen des Tages" vom 27.03.2022
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