Für Wissenschaftler wertlos
Das Zählpixel der VG Wort
Seit 2007 bietet die Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort) für online publizierte Dokumente die Möglichkeit einer Ausschüttung von Tantiemen aus Zweitverwertungrechten nach Urheberrechtsgesetz. Ob man in den Genuss einer Ausschüttung kommt, hängt von einer kruden Technik ab, die Verfasser wissenschaftlicher Dokumente in den meisten Fällen von einer Vergütung ausschließt. Alternativvorschlägen von E-Publishing-Akteuren verschließt sich die VG Wort bislang.
Wer Texte im WWW publiziert, gleich ob Blogger, Journalist, Koch oder wissenschaftlicher Autor, kann prinzipiell eine Vergütung beziehen - solange der publizierte Text bestimmte Bedingungen erfüllt. Unter anderem dürfen die Texte weder kopier- noch passwortgeschützt sein, müssen (mit Ausnahme der Gattung Lyrik) eine Mindestlänge von 1.800 Zeichen und eine Mindestanzahl an Nutzungen pro Jahr aufweisen.
Die Höhe der Dokumentnutzung ermittelt die VG Wort über sogenannte Zählpixel, transparente Mini-Grafik-Dateien, die in HTML-Seiten eingebettet werden können. Der Aufruf der Pixel löst einen Impuls auf den Zähl-Servern eines Technik-Dienstleisters der VG Wort aus. Dabei versucht dieser Maßnahmen zu treffen, die eine künstliche Erhöhung der Zugriffszahlen, sei es durch indizierende Suchmaschinen-Robots oder gierige Autoren, die unentwegt eigene Texte aufrufen, auszuschließen. Zugriffe aus dem Ausland werden nicht mitgezählt, denn die VG Wort erzielt die Einnahmen, aus denen sie die Ausschüttungen bestreitet, aus sogenannten Geräteabgaben, die beim inländischen Verkauf von Kopierern, DVD-Brennern, Druckern und anderen Vervielfältigungsgeräten anfallen. Auch wenn die Zählpixeltechnik in reinen HTML- oder CMS-Umgebungen funktionieren mag, widerspricht sie doch drastisch der Art und Weise, wie elektronisches Publizieren in wissenschaftlichen Angeboten betrieben wird.
Wissenschaftliche Dokumente liegen meist in Form von PDF-Dateien vor, da diese (anders als HTML-Seiten oder dynamisch generierte Seiten) eine für Verweise und Zitate in vielen Disziplinen unerlässliche Seitenzählung ermöglichen. Zudem sind umfangreiche Werke wie Dissertationen, die häufig auf Hochschulschriftenservern und Open-Access-Servern zu finden sind, kaum zum Online-Lesen geeignet und werden daher bevorzugt als PDF-Version veröffentlicht.
Da es nicht möglich ist das Zählpixel in PDF-Dateien einzubinden, sind diese Dokumente quasi von der Zählung ausgenommen. Die VG Wort empfiehlt in diesen Fällen ein wenig praktikables Workaround und versucht dazu ein Spezifikum des elektronischen wissenschaftlichen Publizierens zu nutzen: Zitate, Referenzierungen und Verweise auf Dokumente zeigen im elektronischen wissenschaftlichen Publizieren nicht auf die Datei, die den eigentlichen Volltext enthält, sondern auf eine Datei, die teils Frontdoor, Splashpage oder Abstractpage genannt wird, und die dem Leser beschreibende Informationen zum eigentlichen Volltext in Form bibliographischer Angaben und anderer Metadaten liefert.
Diese Splashpage erfüllt zwei Funktionen: Zum einen kann sich der Nutzer nach ihrer Inspektion entscheiden, ob er den Volltext wirklich herunterladen mag, zum anderen wird die Zitierfähigkeit des Dokuments von seinem Dateiformat gelöst: Da die Splashpage zitiert wird und sie nur auf den Volltext verlinkt, kann sich dessen Format (etwa im Zuge einer Konversion des Datei-Formats zur Sicherstellung der Nutzbarkeit in zukünftigen Softwareumgebungen) ändern, ohne dass seine Zitierfähigkeit verloren ginge – unter der Bedingung, dass der Link von Splashpage zu Volltextdatei funktioniert. Die Zitierfähigkeit bleibt erhalten, egal ob der eigentliche Volltext gestern als Postscript-Datei, heute als PDF-Datei oder morgen als Plain-Text vorliegt.
Pferdefüße der Zählmethoden
Nach Vorschlag der VG Wort sollen Autoren bei der Verwendung von PDF-Dateien das Zählpixel in den Link von der Splashpage zur Volltext-Datei einbinden. Das Klicken dieses Links ruft nicht die Volltext-Datei auf, sondern löst einen Zählimpuls auf dem VG Wort Server aus, von wo aus per Redirect die Volltext-Datei aufgerufen wird. Allerdings ist dieses Procedere aus ganz verschiedenen Gründen unbrauchbar: Das Verfahren zählt nur Zugriffe, die per Anklicken dieses einen Links zwischen Splashpage und PDF erfolgen. Da aber die bei weitem meisten Zugriffe aus Suchmaschinen und Bookmarks oder anders gespeicherter Links direkt auf die PDF-Datei erfolgen, wird der größte Teil der Zugriffe ignoriert.
In Kombination mit der für wissenschaftliche Texte eh schon unrealistisch hoch angesetzten Zugriffszahl, ab der eine Vergütung erfolgt, macht die VG Wort eine Ausschüttung für wissenschaftliche Texte, die vom Browser nicht als HTML interpretiert werden, nahezu unmöglich: Für Dokumente mit weniger als 1.500 Nutzungsvorgängen erfolgt keine Vergütung, werden Dokumente zwischen 1.500 und 2.999 mal genutzt wird eine Vergütung von 20 Euro ausgeschüttet, über 2.999 Nutzungen 25 Euro und über 10.000 Nutzungen 30 Euro.
Ein weiterer Pferdefuß der Zählpixel-Technik: Bei einem Ausfall der Zählpixelserver schlügen alle Versuche Volltexte von den Splashpages aufzurufen fehl. Vorschläge, akkurate Zugriffszahlen ermitteln zu wollen, indem generell nur noch auf das Zählpixel eines Dokuments verwiesen wird, von wo nach Auslösen des Zählimpulses auf die Datei weitergeleitet wird, sind unpraktikabel. Einerseits weil weiterhin ein guter Teil der Zugriffe direkt erfolgen wird, andererseits weil dies ein blindes Vertrauen in die Verlässlichkeit der Zählserver verlangte: Wären die Zählpixel-Server zeitweise nicht erreichbar oder änderte der technische Dienstleister das technische Verfahren liefern alle Zitate und Links ins Leere.
Alternative Verfahren wären möglich
Trotz aller Argumente gegen die Verwendung der skizzierten Technik blockt die VG Wort Diskussionen um alternative Verfahren ab. Dies musste auch die Arbeitsgruppe Elektronisches Publizieren der Deutschen Initiative für Netzwerkinformation, die sich um Weiterentwicklung und Standardisierung des elektronischen Publizierens an deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen bemüht, erfahren. Unter anderem verhandelte man mit der VG Wort über eine Art Proxy-Technik, die bei Aufruf einer PDF-Datei auf dem Webserver des Hosts den Zählimpuls bei der VG Wort auslösen sollte. So wäre nicht nur die Zählung aller Zugriffe auf PDF- und andere Nicht-HTML-Dateien möglich, auch die Zitierfähigkeit und Persistenz der Dokumentadressen wären gesichert und die Erreichbarkeit der Dokumente wäre unabhängig vom Zählpixel-Server der VG Wort. Da die Lösung der Dokumentauslieferung von der Initiierung des Zählimpulses prinzipiell Manipulationsmöglichkeiten seitens der Betreiber von Publikationsservices eröffnet, schlug man vor, Vereinbarungen zum lauteren Verhalten zwischen VG Wort und Publikationsservice formal zu fixieren.
Obwohl die Verhandlungen über dieses alternative Vorgehen weit gediehen waren, zog sich die VG Wort überraschend darauf zurück, nur das von ihr vorgegebene Verfahren akzeptieren zu wollen. Dies überrascht umso mehr, als in den Verhandlungen anscheinend auch seitens der VG Wort die offensichtlichen Mängel des Zählpixel-Verfahrens eingestanden wurden. Begründet wurde das Beharren mit der Gefahr, manipulierte Nutzungsinformationen zu erhalten, sowie mit dem Aufwand für die Implementierung der beschriebenen Proxy-Lösung. Uwe Müller vom Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin und Sprecher der besagten AG zieht dazu eine enttäuschte und enttäuschende Bilanz: "Die VG Wort wird ihrem Auftrag, die Vergütung wissenschaftlicher Autoren zu gewährleisten für elektronische Publikationen nicht gerecht. Stattdessen hält sie wider besseres Wissen an einem technisch völlig unzulänglichem Zählverfahren fest."
Eine enttäuschende Situation nicht nur für Betreiber von Publikationsservices, sondern vor allem für wissenschaftliche Autoren: Die VG-Wort-Technik wird ihnen Ausschüttungen, die sich an der Höhe der Dokumentnutzung orientieren, auf Sicht vorenthalten. Ihnen bleibt die wenig lukrative Option der jährlichen Sonderausschüttung der VG Wort für Dokumente in elektronischen Publikationsumgebungen, die das Zählpixelverfahren nicht unterstützen: Hier erhält der Autor zwölf Euro für die erste Veröffentlichung und sage und schreibe drei für die folgenden. Der Krücke Sonderausschüttung wird aber voraussichtlich ein langes Leben beschieden sein, denn im Wissenschaftskontext findet das Zählpixel angesichts der sehr problematischen Methodik kaum Verbreitung.