Für "einen Islam in, aus und für Deutschland"

Sehitlik-Moschee, Berlin. Bild: Zairon/CC BY-SA 4.0

Innenminister Seehofer eröffnet die Deutsche Islamkonferenz. Er will einen heimatlichen Islam

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Aufregungen verfliegen, neue kommen. Die Antwort auf die Frage, ob "der Islam" zu Deutschland gehöre, war beim Amtsantritt des Innenministers Seehofer im März 2018 noch ein Spektakel. Seehofer sagte damals "nein", die Bildzeitung fertigte daraus die Schlagzeile: "Der Islam gehört nicht zu Deutschland."

2018 war die AfD stark im Aufwind und die CSU agierte reflexhaft mit einer Anbiederung an die Positionen des Konkurrenten von rechts. Für Seehofer hieß das, bloß nicht den Aufreger-Satz von Wulff und Merkel wiederholen. Er betonte das Christentum und landestypische Kultur:

"Nein. Der Islam gehört nicht zu Deutschland. Deutschland ist durch das Christentum geprägt. (…) Die bei uns lebenden Muslime gehören aber selbstverständlich zu Deutschland. Das bedeutet natürlich nicht, dass wir deswegen aus falscher Rücksichtnahme unsere landestypischen Traditionen und Gebräuche aufgeben."

Neu: Der "Islam der deutschen Muslime"

Jetzt steht der "Islam der deutschen Muslime" auf der Agenda. Darum geht es "im wohlverstandenen Sinne" bei der 14. Runde der deutschen Islamkonferenz (DIK): "einen Islam in, aus und für Deutschland". Seehofer eröffnete heute die DIK-Tele-Konferenz mit vielen Dankbarkeits- und Höflichkeitsbezeugungen und Lob für alle.

Die Konferenz habe den gesellschaftlichen Zusammenhalt gestärkt, man habe wesentliche Schritte geschafft, er habe viel Respekt gewonnen. Die Situation sei deutlich entspannter als früher, so der Innenminister, die Zusammenarbeit trage Früchte. Die Finanzierung von Projekten sei gut angelegtes Geld.

Der letzte Punkt ist Teil der neuen Aufregung hinter der entspannten Atmosphäre. Im Mittelpunkt der aktuellen Islamkonferenz steht die Imam-Ausbildung in Deutschland. Die Brisanz lässt sich in zwei Fragen kondensieren: Wie viel Kontrolle soll der Staat darauf haben? Wie steht es mit den Imamen, die aus der Türkei kommen?

Die Imame aus der Türkei

Zunächst eine Zahl aus der Bestandserhebung zur Ausbildung religiösen Personals islamischer Gemeinden zum letzteren Punkt:

Insgesamt sind in den Gemeinden der DITIB laut Auskunft des Verbandes 1.170 hauptamtliche Religionsbeauftragte in Vollzeit tätig. 160 Religionsbeauftragte der DITIB sind Theologinnen und Theologen, die in Deutschland geboren und sozialisiert wurden.

Broschüre BAMF

Aus der zitierten Broschüre geht nicht deutlich hervor, ob die Religionsbeauftragten allesamt Imame sind. Das Ausbildungsprogramm "Religionsbeauftragte für Moscheegemeinden" bereitet "sowohl auf die Aufgaben eines Imams und Muezzins als auch auf die Rollen eines Predigers bzw. einer Predigerin, eines Gemeindeseelsorgers bzw. einer Gemeindeseelsorgerin sowie eines Gemeindepädagogen bzw. einer Gemeindepädagogin" vor, wird dort erklärt.

Auffallend ist das Verhältnis zwischen Religionsbeauftragten, die in Deutschland geboren und sozialisiert wurden, und den anderen: 160 gegenüber 1.170. Da ist noch ein weiter Weg zu beschreiten, wie es Seehofer umschrieb. Er war vorsichtig mit seinen Formulierungen, deutete nur an, dass es da Kontroversen gibt, lobte viel lieber, dass es nun auch ein deutsches Ausbildungsprogramm bei Ditib gibt. "Ein Schritt nach vorne".

Seehofers Ziel sind Imame, die mit einer deutschen Heimat verbunden sind. Er ist ja auch Heimatminister.

Politischer Einfluss auf Ditib: Wie steht es um die Meinungsfreiheit?

Ausgelassen hat er, dass die Ditib als verlängerter Arm Erdogans gilt. Die türkische Religionsbehörde Diyanet ist maßgeblich für die Auswahl der Imame zuständig, die in den deutschen Ditib-Gemeinden tätig sind.

Die Imame dieser Moscheen werden von Ankara geschickt und bezahlt, die Freitagsgebete aus Ankara werden zu 100% übernommen. Gepredigt wird dort der politische Islam. Bevor Diyanet 2016 den Vorstand und die Imame durch regierungstreue Vertreter ersetzte, zählte die seit 1982 existierende Berliner Sehitlik-Moschee zu den liberalen Gemeinden innerhalb der Ditib.

Elke Dangeleit, Islamismus ist politischer Islam

Hier eine Grenzlinie zu ziehen, ist schwierig. Nur ein Beispiel aus der jüngsten Debatte um die Meinungsfreiheit. Erdogan positioniert sich eindeutig gegen die Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen. Und hat sich dabei nicht unter Kontrolle: Er beschied dem französischen Präsidenten Macron wegen dessen Vorgehens gegen den politischen Islam, dass er sich in psychiatrische Behandlung begeben solle. Macron will mit neuen Regelungen die Einreise türkischer Imame beschränken.

In Frankreich wurden in den letzten Tagen Minderjährige und sogar Kinder in Polizeigewahrsam genommen, denen das Vergehen der "Verteidigung des Terrorismus" vorgeworfen wird. Dabei kommt es zu bitterbösen, harten Szenen, etwa in Albertville, wo ein Polizeikommando 10-Jährige mit aufs Revier nahm.

Der Grund: Die Kinder hatten in der Schule bei einer Befragung danach, welche Reaktionen ihnen zu den Mohammed-Karikaturen einfallen, Antworten gegeben, die Lehrer dahingehend interpretiert haben, dass sie mit der Tötung eines Lehrers, der die Karikaturen zeigt, einverstanden seien. Das Klima an den französischen Schulen ist seit der Enthauptung des Lehrers Samuel Paty durch einen islamistischen Fanatiker hochempfindlich. Bei dem Fall kommt hinzu, dass die Schuldirektion an diesem Tag eine Todesdrohung bekam. Das Klima ist so aufgereizt, dass eine sonst übliche Toleranz gegenüber Äußerungen von Kindern ausgeschaltet ist.

Notwendige Erklärungsarbeit

Davon abgesehen zeigt sich eine Kluft zwischen der Freiheit der Meinungsäußerung, wie sie das laizistische Frankreich hochhält, und religiösen Empfindlichkeiten, die man, ohne sie zu werten, konstatieren kann. Wenn den Kindern in ihrem Elternhaus oder durch religiösen Unterricht beigebracht wird, dass die Beleidigung des Propheten mindestens eine Höllenstrafe nach sich zieht, dann ist noch viel Erklärungsarbeit bei Konfliktlösungen zu leisten.

Die Härte des Vorgehens der französischen Exekutive ist hier überzogen, aggressiv und destruktiv (letztlich müssen die Familien, um dem Mobbing ihrer Kinder in der Schule zu entgehen, umziehen). Aber wie viel Kompetenz, Bereitschaft und Verständnis für die notwendige Erklärungsarbeit zur Meinungsfreiheit bringen von Diyanet geschickte Imame aus der Türkei mit nach Frankreich oder Deutschland?

Seehofer lobte die Ausbildung von Ditib-Imamen in Deutschland. Er sieht da eine "Autonomie" im Entstehen, gemeint ist ein Abstand zu Ankara und eine Annäherung an das Ziel der Islamkonferenz, dem "Einbinden in die deutsche Gesellschaft". Er sprach davon, dass die Zahl der aus der Türkei geschickten Imame reduziert werden solle, dies aber nur Schritt für Schritt geschehe, was auf Widerstände in der Türkei schließen lässt. Als Argument ist zu hören, dass auch die Vermittlung der türkischen Kultur wichtig ist.

Milli Görüs

Außerdem gibt es kritische Anmerkungen seitens der Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) gegenüber dem anderen Projekt der deutschen Imam-Ausbildung, das Seehofer hervorhob: das sogenannte "Islamkolleg Deutschland in Osnabrück", das das Innenministerium mit einer Million Euro fördert.

Zwar betont der Innenminister, dass damit nicht Imame bezahlt werden - "die Moscheengemeinden müssen das selbst machen" -, sondern ein Projekt gefördert werde. Anders sei das auch wegen der freien Religionsausübung nicht zu machen. Dennoch gibt die finanzielle Förderung des Projekts "Islamkolleg Deutschland" für den IGMG-Generalsekretär Bekir Altas Anlass zur Kritik an einer "politisch motivierten Imamausbildung" und einer "erklärungsbedürftigen staatlichen Intervention":

Offenbar ist es so, dass die Ausbildungsstrukturen etablierter islamischer Religionsgemeinschaften der Politik nicht genehm sind - da vermeintlich zu "konservativ". Die Errichtung und Unterstützung von vermeintlich privaten Initiativen ist auch vor diesem Hintergrund entlarvend, zielt sie ganz offenbar darauf ab, eine "genehme" Alternative aufzubauen - mithin ist sie politisch motiviert. So drängt sich der Verdacht auf, als wolle man mit staatlichen Mitteln den Islam in Deutschland in eine ganz bestimmte Richtung be-"fördern".

IMGM

Die IMGM hat Erfahrungen, wie es hinter den Kulissen zugeht, sie weiß, wie die Politik außerhalb der freundlichen Konferenzgespräche versucht, mit Druck Einfluss zu nehmen. Das gilt aber nicht nur für Deutschland, sondern in ausgeprägtem Maße auch für die Türkei, die den Islam in Deutschland in bestimmte Richtung be-"fördern" will.