Fundamental-Pazifismus und Real-Pazifismus

Seite 2: Waffenlieferungen: ja oder nein?

Eines sollten wir uns aber auch immer wieder klarmachen – auf welcher Seite wir auch stehen: Betroffen sind immer zuerst die Menschen in der Ukraine. Ihre jungen Männer werden getötet, ihre Frauen werden vergewaltigt, ihre Kinder und ihre Alten werden zur Flucht gezwungen. Da verbietet sich deutsche Besserwisserei.

Deutscher Pazifismus kann also nicht heißen, dass wir vom sicheren hiesigen Boden aus den Ukrainern vorschreiben könnten: Bitte, ergebt euch! Das wäre ein Pazifismus im Sinne des Aggressors. Es wäre ein "Pazifismus", der dem Aggressor noch die Tür aufhält.

Was dabei oft vergessen wird: Schon die österreichische Ur-Pazifistin Bertha von Suttner hielt Verteidigungskriege für legitim. Und der bekannteste deutsche Pazifist Albert Einstein differenzierte zwischen "vernünftigem Pazifismus" und "verantwortungslosem Pazifismus".

Jesus empfiehlt in seiner Bergpredigt: Leistet keinen Widerstand! Die Frage aber bleibt: Wo macht Widerstand Sinn und wo nicht? Wo ist Widerstand das kleinere Übel? Ist die These: "Je schneller die Ukraine Abwehr-Raketen erhält, desto rascher ist der Krieg zu Ende" wirklich abwegig? Ich erinnere mich an eine Situation in Israel, bei der die Lieferung deutscher Abwehr-Raketen dazu geführt hat, dass der palästinensische Raketen-Beschuss aufgehört hat. Abwehr-Raketen aus Deutschland haben Leben gerettet.

Für Pazifisten gilt wie für uns Journalisten: Unsere Fragen sind meist wichtiger als unsere Antworten. Es kann sein, dass es mehr Menschenleben kostet, sich nicht mit Waffen zu verteidigen, als sich mit Waffen zu verteidigen.

Wer sich als Christ in seinem Pazifismus auf Jesu Bergpredigt-Forderung "Leiste keinen Widerstand" beruft, muss bedenken, dass damit nicht gemeint ist, sich alles bieten zu lassen. Das wäre ein Pazifismus im Sinne des Aggressors – ein Pazifismus, der den Aggressor noch zur Aggression einlädt. Pazifismus heißt: Sei klüger als dein Feind.

In Tibet macht militärischer Widerstand tatsächlich keinen Sinn. Das wäre reiner Selbstmord. Deshalb ruft der Dalai Lama seit 60 Jahren zu gewaltfreiem Widerstand auf und droht sogar mit Rücktritt als geistliches Oberhaupt, wenn die Tibeter zur Gewalt greifen. Das ist aber in der Ukraine eine völlig andere Situation. Auch Real-Pazifismus ist situationsbedingt.

Pazifismus im Sinne des Bergpredigers kann nicht heißen, das eigene Denken, das eigene Urteilen und das eigene Entscheiden aufzugeben. Deutsche Abwehrwaffen können auch in der Ukraine Leben retten.

Andererseits ist mir ein deutscher Bundeskanzler, der beim Waffenexport grundsätzlich zögert und zaudert, lieber als ein Antreiber. Beim Thema Krieg und Frieden gilt für Pazifisten wie für uns Journalisten: Unsere Fragen sind wichtiger als unsere Antworten.

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