Gärtner mit ausladendem Geweih

Der Riesenhirsch ist 3.000 Jahre später ausgestorben als gedacht und hat vielleicht selbst lebensverlängernde Methoden angewandt

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Säbelzahntiger, Mastodons, Riesenhirsche und Mammuts – diese zotteligen Urviecher trabten Jahrtausende über unseren Planeten, bis sie am Ende des Pleistozän, also vor zirka 10.000 Jahren, ausstarben. Warum das so ist, ist nicht genau bekannt. Forscher diskutieren seit Jahren darüber, ob die weltweite Aussterbewelle am Ende der letzten Eiszeit durch Klimaveränderungen, Krankheiten oder den Menschen ausgelöst wurde. Britische Forscher haben sich die ökologischen Bedingungen dieses Prozesses genauer angesehen. Sie berichten im aktuellen Nature.

Wollige Zeitgenossen

Auch wenn Thomas Jefferson, der noch 1804 nach lebenden Mammuts suchen ließ, damit etwas zu optimistisch war, so haben doch einige Arten das große Artensterben am Ende der letzten Eiszeit länger überdauert als angenommen. Wie sich vor einigen Jahren herausstellte, siedelte z. B. das Wollhaar-Mammut (Mammonteus primigenius) noch bis vor 4.000 Jahren auf der Wrangell-Insel vor der sibirischen Küste. Die wolligen Eiszeitriesen waren damit sogar noch Zeitgenossen der alten Ägypter. Wie Anthony J. Stuart und seine Kollegen vom Institut für Biologie des University College in London jetzt berichten, hat noch ein weiterer dieser legendären Säuger länger durchgehalten: Auch der Riesenhirsch (Megaloceros giganteus, im Englischen irreführenderweise Irish Elk benannt) harrte im westlichen Sibirien 3.000 Jahre länger aus als bislang angenommen. Für Stuart und sein Team ein weiterer Beleg dafür, dass die Gründe für das Aussterben bei einzelnen Tierarten individueller und komplexer sind als vermutet.

Eiszeitliches Schwergewicht

Der Riesenhirsch war ein ziemlicher Brocken: Seine Schulterhöhe betrug gut zwei Meter, sein Haupt krönte ein ausladendes Geweih mit einer Spannweite von fast vier Metern und rund 40 Kilo Gewicht (bei der BBC gibt es hierzu einen Videoclip). Vor zirka 400.000 Jahren begann er weite Teile Europas – von Irland bis zum Baikalsee, von Skandinavien bis zum Mittelmeer – zu besiedeln. Stuart und seine Kollegen datierten fünf Skelette, darunter ein komplettes Skelett von einem männlichen Tier, mit der Radiokarbonmethode. Ihre Ergebnisse kombinierten sie mit der geographischen Verteilung der Riesenhirsche.

Ein vorzeitlicher Riese: Künstlerische Darstellung des irischen Elchs (Bild: Natural History Museum, London)

Sie fanden heraus, dass sich Megaloceros vor 15.000 Jahren, als die Eiszeit einen Höhepunkt erreichte, wahrscheinlich in die Steppen Zentralasiens zurückzog, um von dort aus, als die Eisdecken den Alpen und Skandinaviens in einer vorübergehenden Wärmeperiode (von 13.000 bis 12.600 Jahren) zusammenschmolzen, den Nordwesten Europas zu rekolonialisieren. Sein letztes Refugium fand er allerdings nicht wie bislang geglaubt in Irland, wo er vor zirka 10.500 Jahren starb, sondern in Sibirien, wo er sich noch 3.000 weitere Jahre herumtrieb.

Die Last mit dem Riesengeweih

Immer wieder werden die Jagd durch den Menschen und der Klimawechsel als Ursachen für das Aussterben von Tierarten genannt. Wie das Beispiel von Mammut und Riesenhirsch aber zeigt, gelingt es einigen Populationen, in manchen Winkeln dieser Erde deutlich länger auszuharren. Beim Riesenhirsch vermutet man, dass sein Gedeihen bzw. Sterben damit zusammenhing, dass er, mit seinem gewaltigen Geweih, das 8 Kilo Kalzium und 4 Kilo Phosphat enthielt, eine enorme "Ernährungslast" mit sich herumschleppte und deshalb nur dort überleben konnte, wo er ausreichend nahrhaftes Futter fand.

Vegetationswechsel brachte das Aus

Doch das Geweih war wohl nicht das grundlegende Problem. Stuart und sein Team verknüpfen das Auftauchen und Verschwinden des Riesenhirschs mit den paläobotanischen Informationen über die klimatischen Veränderungen. Gerade am Beispiel Irlands und der Isle of Man, so Stuart und Kollegen, ließe sich am besten ablesen, dass nicht die Bejagung durch den Menschen, sondern Veränderungen des Klimas und vor allem der Vegetation dem Riesenhirsch zugesetzt hätten.

Als sich auf den britischen Inseln mit dem Klima auch die Flora änderte, starben die Tiere dort aus, während sie im Ural und im Westen Sibiriens weiter gediehen. Besonders an den östlichen Hängen des Ural gab es Gras und Sträucher sowie lichte Wälder – kein Riesenhirsch hätte es mit seinem Geweih durch einen dichten Wald geschafft! Erst als ihr Lebensraum aufgrund der sich ausbreitenden trockenen Grassteppe und des Anwachsens der Wälder dahinschwand, starben sie aus.

Steinzeitliche Gartenpfleger

Wie John Pastor und Ron A. Moen von der Universität Minnesota in einem begleitenden News-and-Views-Artikel ergänzen, weisen Ökologen schon seit einigen Jahren auf das interessante Zusammenspiel zwischen den großen pflanzenfressenden Säugern und der sie umgebenden Pflanzenwelt hin. Nicht nur, dass die Tiere auf Veränderungen der Pflanzenwelt reagierten, sie kontrollieren sie sogar bis zu einem gewissen Grad mit. Indem sie beispielsweise Tundramoose niedertrampelten und durch Grasen das Wachsen von Gras stimulierten, förderten sie das von ihnen bevorzugten Steppenmilieu, obwohl das kühle Klima eher die Ausbreitung der moosigen Tundra begünstigte.

Dass sich die Tundravegetation schließlich durchsetzte, mag im Endeffekt dann aber womöglich doch am Menschen gelegen haben, der die Mammuts niederjagte und damit das sensible Gleichgewicht störte. Klimawechsel brachten zwar nachhaltige Veränderungen der Vegetation mit sich, für den Todesstoß aber sorgten die steinzeitlichen Jäger.