Gaskrise: Reicht die europäische Solidarität auch über den Winter?

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Die EU-Staaten einigten sich darauf, Gas einsparen zu wollen. Ob sie im Ernstfall auch einander beistehen, ist fraglich. Ökonomen empfehlen, Deutschland solle den solidarischen Beistand mit Geld absichern.

Die Länder der Europäischen Union haben am Dienstag für einen EU-Notfallplan in der Gaskrise gestimmt. In erster Linie haben sich die Staaten damit bereit erklärt, ihren Verbrauch von Erdgas zu reduzieren, auf freiwilliger Basis, im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 31. März 2023.

Sollte es dennoch zu weitreichenden Engpässen kommen, dann soll es möglich werden, einen Unionsalarm auszulösen. Wohlgemerkt: Dieses Recht besteht bislang nur in der Theorie. Die EU-Länder stimmten lediglich dafür, dass die Möglichkeit zum Auslösen des Alarms geschaffen wird.

Wann der Alarm ausgerufen wird, wer von ihm betroffen sein wird und wer ihn letztlich durchsetzt – das sind Fragen, bei denen sich die EU-Kommissionen gegenüber den Mitgliedsstaaten nicht durchsetzen konnte. Im Vergleich zum ersten Entwurf der Kommission sind deutlich mehr Ausnahmen möglich. Auch die Hürden für das Einführen verbindlicher Einsparziele wurden erhöht. Durchsetzen soll es am Ende nun der Europäische Rat und nicht die EU-Kommission.

Der Beschluss wurde von deutscher Seite begrüßt. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) erklärte zu dem Beschluss: "Insgesamt ist es ein vernünftiger, guter, weiterer Schritt". Er zeige, dass Europa geschlossen sei, und die Einigung sende ein "starkes Zeichen gegen alle Spötter und Verächter der EU".

Wirtschaftsstaatssekretär Sven Giegold (Grüne) schrieb auf Twitter, die "EU-Gaseinsparverordnung" sei ein beispielloser Schritt. "Mitgliedsstaaten, die keinerlei russisches Gas importieren, zeigen sich solidarisch und verpflichten sich zum Konsumverzicht", kommentierte er. Das habe es noch nie gegeben.

Solidarität innerhalb der EU nicht sicher

Eine andere Frage ließen Habeck und Giegold allerdings offen: Wird die Solidarität unter den einzelnen EU-Ländern auch so weit gehen, sich in einer Mangellage gegenseitig mit Gaslieferungen zu unterstützen? Daran gibt es Grund zum Zweifeln.

Ungarn hatte zum Beispiel als einziges EU-Land gegen den Notfallplan gestimmt. Außerdem will es überhaupt keine Energie mehr über seine Grenzen an die europäischen Nachbarn exportieren.

Auch die polnische Energieministerin Anna Moskwa hatte sich dagegen verwahrt, dass die Europäische Union ihrem Land etwas aufzwingen wolle. "Ich glaube, wenn es um Energiesicherheit geht, ist das hauptsächlich die Verantwortung der nationalen Regierungen", erklärte sie. Wenn Polen über Solidarität rede, dann sei damit die Freiheit gemeint, selbst zu entscheiden.

Einen Seitenhieb gegenüber Deutschland konnte sich Moskwa nicht verkneifen. Polen habe sich rechtzeitig von russischer Energie unabhängig gemacht, sagte sie. Dabei vergaß sie zu erwähnen, dass ihr Land bis zum 1. Juli 2022 russisches Erdgas über Deutschland geliefert bekam.

Vor allem für Deutschland wäre es ein Problem, wenn sich andere EU-Staaten ihre Energieversorgung abschotten, heißt es in einem Brief des Wissenschaftlichen Beirats des Bundeswirtschaftsministeriums an Minister Habeck. Das Handelsblatt berichtete am Donnerstag über dieses Schreiben.

Ökonomen schlagen vor: Deutschland soll Geld bieten für Solidarität

Um sich der Solidarität der anderen EU-Staaten zu versichern, solle die Bundesregierung tief ins Portemonnaie greifen. Die 38 Ökonomen schlagen in dem Brief Kompensationszahlungen an andere EU-Länder vor, wenn sie Gas nach Deutschland liefern sollten.

"Wir haben zu Beginn der Coronapandemie gesehen, wie schnell es zu Alleingängen in einer Krise kommen kann", wird Klaus Schmidt im Handelsblatt zitiert, der dem wissenschaftlichen Beirat im Wirtschaftsministerium vorsitzt. "Das hat die Krise erheblich verschlimmert, was wir keinesfalls wieder zulassen dürfen."

Die Ökonomen warnen nun vor reinen Solidaritätsbekundungen. Deutschland müsse vielmehr für den Rest Europas klare Anreize schaffen, um im Krisenfall tatsächlich Unterstützung zu erhalten. "Wenn die europäische Kooperation hier funktionieren soll, wird Deutschland auf die anderen europäischen Staaten zugehen und Kompensationszahlungen anbieten müssen", heißt es dem Bericht zufolge in dem Brief.

Es bleibt abzuwarten, ob Habeck den Rat annimmt. Vielleicht schmettert er den anderen EU-Staaten im Notfall aber auch entgegen: "Die kriegst du nicht, Alter". Und vielleicht erklärt er dann auch in ähnlicher Weise wie im Interview mit dem ZDF: Er wolle nicht in einer Union leben, in der man sich nur noch bewegt, wenn es dafür Bares gibt. Ausgeschlossen ist das alles nicht, wie die zunehmende Frustration von Ökonomen zeigt, deren Ratschläge von Habeck ignoriert werden.

Deutschland soll mehr Gas einsparen als vereinbart

Entschlossen zeigte sich Habeck aber beim Sparen von Erdgas. Deutschland könne noch mehr einsparen als die vereinbarten 15 Prozent, erklärte er. Wie das umgesetzt werden soll, muss noch im nationalen Notfallplan festgelegt werden. Fest steht bislang, dass private Verbraucher, die Industrie und die öffentliche Verwaltung in die Pflicht genommen werden sollen.

Das Einsparen vom Gas ist der Schlüssel, um einen Gasmangel zu vermeiden – darin sind sich die Ökonomen einig. In "marktgerechten", also steigenden Preisen, sehen sie einen Weg und in Prämien und Entschädigungen für Industrien und private Haushalte.

Mit steigenden Preisen müssen die Verbraucher auf jeden Fall reichen. Udo Sieverding, Energieexperte der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, empfiehlt: "Geld zur Seite legen und Energie sparen". Mit der nächsten Abrechnung könnten die Abschläge auf das Drei- bis Vierfache steigen, sagte er der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Laut Bundesnetzagentur zahlten Haushaltskunden 2021 im Schnitt 6,68 Cent je Kilowattstunde Erdgas – demnächst könnten es 25 Cent sein.

Am Ende hängt aber alles davon ab, auf welchem Niveau die russischen Gaslieferungen erfolgen. "Sollte es bei einer auf 20 Prozent reduzierten Liefermenge bleiben, ist eine ausreichende Befüllung der Gasspeicher in unseren Augen nicht realistisch", sagte laut dpa Tim Kehler, Vorstand des Branchenverbandes Zukunft Gas.